Helle und die kalte Hand. Judith Arendt

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Helle und die kalte Hand - Judith Arendt Helle Jespers ermittelt

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abgeschmettert hatte, war ihr Sören Gudmund zu Hilfe gekommen. Er hatte sich dafür eingesetzt, dass Skagen den Anschluss an das digitale Zeitalter bekommen würde und vor allem: ins System eingegliedert wurde, sodass Helle und ihre Kollegen Zugriff auf zentrale Ermittlungsergebnisse hatten. Bislang waren sie ein Wurmfortsatz des Polizeiapparates in the middle of nowhere. Helle war auf die Idee gekommen, dafür ihre ehemalige Polizeianwärtern anzufordern – zum einen, weil sie Amira wirklich vermisste, zum anderen, weil ihre eigenen Kinder ihr fehlten und sie es sich schön vorstellte, wieder jemand Junges im Haus zu haben. Darüber, dass es für Amira vielleicht noch nicht Zeit war, an den Ort ihres Traumas zurückzukehren, hatte sich Helle nicht allzu viele Gedanken gemacht. Es hatte ihr genügt, dass sie eingewilligt hatte.

      Amira drehte die Musik lauter. »Was ist das?«

      »Tim Buckley. Kennt heute keiner mehr. Nur den Sohn.«

      »Schön.« Amira rieb sich über die Oberschenkel, eine Geste, die Helle so gut von ihr kannte.

      »Mach dir keine Gedanken, Helle. Ich freu mich, euch alle wiederzusehen.«

      Anscheinend konnte Amira Gedanken lesen.

      »Marianne kocht und backt seit Tagen. Sie denkt wohl, du bekommst in Kopenhagen nichts zu essen.«

      Marianne, die gute Seele der Wache. Sie war seit mehr als dreißig Jahren dort als Sekretärin und Empfangsdame angestellt. Aber sie war so viel mehr als das. Sie fühlte sich verantwortlich für das körperliche und seelische Wohl der Polizisten, besonders für Amira hatte sie mütterliche Gefühle entwickelt.

      Nun bog Helle in die schmale Anliegerstraße ein, die zu ihrem Haus führte. Die Familie Jespers wohnte am Rand von Skagen, in einem Haus in den Dünen. Hier war das Ende der Welt, eine Sackgasse am Ende eines Landes, danach kam nur noch das Meer. Oder eher: die Meere, denn nur wenige Kilometer nördlich von hier gelangte man nach Grenen, dem Strandabschnitt, an dem sich Kattegat und Skagerrak begegneten.

      Zu Helles großer Enttäuschung lag das große Holzhaus dunkel da. Bengt war also noch nicht zu Hause. All ihre Hoffnung auf einen warmen Empfang zerschlugen sich, und Helle hatte Mühe, ihren Frust darüber hinunterzuschlucken.

      Während Helle die Rampe ausklappte und den muffeligen Hund aus dem Kofferraum entließ, zerrte Amira ihren Rucksack von der Rückbank.

      »Zum Glück hast du Bengt«, sagte sie.

      »Wie meinst du das?«

      Amira richtete sich auf und sah Helle verwundert an. »Na, wie ich es sage. Zum Glück hast du Bengt.«

      Helle lachte verlegen. »Jaja, das stimmt schon, aber ich meine, wie kommst du jetzt darauf?«

      »Weil es sonst bei dir zu Hause genauso aussehen würde wie in diesem Schrotthaufen.«

      Amira stellte sich unter das schützende Vordach, während Helle die vermaledeite Rampe wieder ins Auto bugsierte. Dreißig Sekunden ohne Kapuze, und schon war ihr Kopf tropfnass. Das Wasser lief ihr von den Haaren in den Kragen, und Helle wünschte sich jetzt nichts sehnlicher als eine heiße Badewanne und danach ein Glas Wein am Kamin, eingemummelt in viele Decken und dicke Socken. Emil würde heute Nacht jedenfalls keinen Spaziergang mehr bekommen. Wenn er dringend musste, würde sie lieber nachts kurz aufstehen und ihn rauslassen.

      Das Haus war über den Tag ausgekühlt. Sie heizten noch nicht, aber der große Raum mit der offenen Küche und der Sofalandschaft wurde schnell warm, wenn der Kamin erst ordentlich loderte und jemand kochte.

      Helle machte alle Lampen an, stapelte Holz im Kamin und entzündete es. Die nassen Jacken und Schuhe hatten sie im Windfang gelassen, Amira verstaute ihren Rucksack in Leifs Zimmer, in dem sie während der vier Wochen in Skagen wohnen sollte.

      Helle verschwand im Schlafzimmer, um sich die klammen Sachen vom Körper zu reißen und in einen Hoodie sowie mollige Jogginghosen zu schlüpfen. Dabei streifte ihr Blick den Spiegel. Eine fremde Frau sah sie gehetzt an. Ein trauriger Blick aus verschatteten Augen, triefnasse dünne Haarsträhnen klebten an Wangen und Stirn. Unter dem Sport-BH wölbte sich ein weißer Bauch in mehreren Rollen, der zu kleine Baumwollschlüpfer verschwand fast darunter.

      Helle hielt inne und richtete sich auf. Sie zwang sich, der Frau im Spiegel in die Augen zu blicken. Wer war das? Und warum zum Teufel ging es der so schlecht?

      War sie krank? Nein.

      Jemand gestorben? Auch nicht.

      Musste sie auf der Straße leben? Helle schüttelte den Kopf und sah weg. Stell dich nicht so an, Helle Jespers, dachte sie. Was ist denn verdammt noch mal mit dir los?

      Dabei wusste sie ganz genau, was los war. Sie hatte sich gehenlassen. Der fürchterliche Fall vor einem Dreivierteljahr, die Anspannung wegen Leifs Abitur, die Abwesenheit gleich zweier Kollegen – Amira und Jan-Cristofer – und, last but not least, die Erkenntnis, dass Leif nun auch erwachsen war und sie verlassen würde, hatten dazu geführt, dass sie in ihrem eigenen Leben keine Rolle mehr gespielt hatte.

      Sie war müde und fühlte sich ausgelaugt. Helle setzte sich aufs Bett und starrte die Frau im Spiegel an.

      So nicht, dachte sie.

      Morgen würde sie Unterwäsche kaufen. Immerhin ein Anfang. Sie rubbelte sich die Haare halbtrocken und kramte aus der Schminkschublade ein altes Cremerouge hervor. Es roch ranzig, aber Helle schmierte sich trotzdem ein paar Tupfer auf die Wangenknochen. Sie sah gleich frischer aus. Was fand Bengt nur immer noch attraktiv an ihr? Nach zwanzig Jahren Ehe. Sie nahm sich vor, sich ein bisschen mehr Mühe zu geben. Mit sich, aber auch mit ihrem Mann. Er war – neben Emil – einer der wenigen, die sie noch aushielten.

      Sie hatten ein Abendessen improvisieren müssen, denn Helle hatte nichts eingekauft – in der irrigen Annahme, das würde wie immer Bengt übernehmen. Als der schließlich nach Hause kam, hatten sie fast alles aufgegessen: geröstete Roggenbrote mit Sardinen aus der Dose, stinkigen Käse, selbst gemachte Hagebuttenmarmelade und Ziegenfrischkäse mit gegrillter Paprika. Ein Kopf Salat hatte sich noch in der Gemüseschublade versteckt, Helle peppte ihn mit geriebener Karotte, dem Rest Gurke, einer Handvoll Kerne, hart gekochtem Ei und leckerem Dressing auf. Ein wahres Festmahl – der Kühlschrank war nun wirklich ratzekahl –, zu dem der schwere Bordeaux wunderbar schmeckte. Amira blieb wie üblich bei Tee.

      »Ich musste noch zu Papa.« Bengt kam aus dem Windfang herein, rotbäckig, dampfend vor Wärme in dem kalten Regen, in seinem Bart glitzernde Feuchtigkeit. Er brachte zwei große Tüten aus dem Bioladen mit hinein, stellte sie ab und begrüßte seine Frau mit einer liebevollen Umarmung und einem Kuss. Bevor er sie losließ, kniff er die Augen zusammen und musterte sie.

      »Du siehst gut aus.«

      Helle grinste. Ranziges Rouge vermochte Wunder zu vollbringen.

      Amira freute sich sehr, Helles Mann wiederzusehen, und ließ sich bereitwillig von dem gut gelaunten Wikinger drücken.

      »Und dir tut die Großstadt auch gut, wie ich sehe.«

      Bengt zwinkerte Amira zu, während er sich mit der einen Hand ein Brot in den Mund stopfte und mit der anderen sein Weinglas füllte.

      »Kopenhagen ist super, wirklich.« Amira rieb sich wieder die Oberschenkel. »Und ich habe wahnsinnig nette Kollegen.«

      »Pah!« Helle machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ricky

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