Walpurgisnacht: Niederbayern-Krimi (German Edition). Karoline Eisenschenk
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Kapitel 2
Das dunkelblaue Cabriolet stand mit ausgeschaltetem Motor auf der kleinen Anhöhe. Von hier hatte man einen wunderbaren Ausblick auf die Wiesen und Felder der Umgebung. Alles stand in voller Blüte und die Vögel zwitscherten regelrecht um die Wette. Dort, wo Spargel angebaut wurde, tummelten sich bereits zahlreiche Erntehelfer, denn bis zur Hauptsaison dauerte es nicht mehr lange. In der Ferne konnte man sogar noch die Kirchtürme und die Rathausgiebel von Altenberg, der nächsten Kreisstadt, erkennen. Rechter Hand lag Neukirchen, aber eine kleine, dicht bewachsene Waldfläche versperrte die ungehinderte Sicht auf das Dorf.
Annabelle Rehberg schenkte ihrer malerischen Umgebung und dem allgemeinen Frühlingserwachen jedoch keine Aufmerksamkeit. Wie hypnotisiert blickte sie durch das kleine Fernglas, das direkt auf den Acker der Eichingers gerichtet war.
Seit fast einer Stunde stand sie nun neben ihrem Auto und beobachtete den Traktor und seinen Fahrer. Sogar von hier oben war zu erkennen, wie selbstgefällig er hinter dem Steuer saß. Als ob ihm die ganze Welt gehören würde und er nur mit den Fingern schnippen müsste, damit alle nach seiner Pfeife tanzten.
Wie hatte dieses kleine Nichts, das wahrscheinlich sein ganzes Leben noch nicht aus diesem elenden Nest herausgekommen war, sie nur so bloßstellen können? Sie wusste in diesem Augenblick nicht, wen oder was sie eigentlich mehr verabscheute. Das Höllendorf, das Klaustrophobie bei ihr auslöste, oder den gut aussehenden jungen Mann auf dem Traktor, der diesen mit Leichtigkeit zu beherrschen schien. Ihm fiel so vieles leicht: Er konnte ein nervös tänzelndes Pferd reiten, in Rekordgeschwindigkeit Holz hacken, ohne dass dabei auch nur eine Spur Anstrengung in seinem Gesicht zu lesen war, und seine Gegner so geschickt ausspielen, dass alle Zuschauer auf dem Fußballplatz ungewollt applaudierten.
Und er kriegt alle Frauen herum, die sich nicht zu schade sind, mit diesem Dorf-Gigolo ins Bett zu steigen.
Benedikts Worte dröhnten immer noch in ihren Ohren, als hätte er sie ihr gerade erst entgegengebrüllt.
Du warst es doch, der mich hierher gebracht und mich in dieser grauenhaften Einöde dann allein gelassen hast, hatte sie zurückgeschrien, aber das Ganze damit nur noch schlimmer gemacht. Er hatte am Ende nur noch Geringschätzigkeit für sie übrig gehabt. Und Mitleid – sie glaubte sogar einen Funken Mitleid in seinen Augen zu erkennen.
Wie konnte dieses Nichts es nur zulassen, dass sie so erniedrigt wurde? Hatte es ihm nicht gereicht, sie einfach abzuservieren? Musste er vor Benedikt auch noch den entsprechenden Kommentar fallen lassen?
Sie löste sich für einen Augenblick von ihrem Fernglas und sah auf den Gegenstand, der die ganze Zeit auf dem Beifahrersitz gelegen hatte. Mut, sie brauchte nur ein kleines bisschen Mut, um sich zu überwinden. Danach würden sie von hier wegziehen und alles würde wieder gut werden. Wenn sie nur den Mut aufbrächte …
Plötzlich stand eine Frau mit ihrem Fahrrad gefährlich nahe hinter dem Pflug. Sie schien wie aus dem Nichts gekommen zu sein. Durch das Fernglas war das, was sich dort unten abspielte, jedoch gut zu beobachten. Zu ihrem großen Missfallen erkannte Annabelle in der Frau Tanja Rohrbach. Sie arbeitete in einem Friseursalon in Altenberg und hatte zudem mit ihrer Mutter zusammen ein kleines Kosmetikstudio in Neukirchen. Erst gestern war sie zur Maniküre dort gewesen. Mit ihr hat er also auch etwas angefangen, dachte sie. Wut stieg in ihr hoch. Wenn sie das gewusst hätte, hätte Annabelle diesen Laden bestimmt niemals betreten. Tanja Rohrbach war gertenschlank, bildschön und, was weitaus schwerer wog, bestimmt fünfzehn Jahre jünger als sie selbst.
Allerdings verlief ihr Zusammentreffen mit Sascha nicht unbedingt harmonisch, wie Annabelle mit einem Anflug von Genugtuung feststellen konnte. Steh doch auf, du dummes Ding. Steh doch auf und mach dich nicht so klein vor ihm. Aber ihre Gedanken vermochten Tanja nicht dazu zu bewegen, von der Straße aufzustehen. Die zweite junge Frau auf dem Fahrrad hatte da schon mehr Glück. Die hellroten langen Haare kamen Annabelle ebenfalls bekannt vor, aber sie konnte der Person im Moment keinen Namen zuordnen.
Sie richtete das Fernglas nochmals auf Sascha Eichinger und drehte es unweigerlich schärfer. Das selbstgefällige Grinsen war verschwunden. Verzweiflung – in seinen Augen, die starr auf die junge Frau mit den hellroten Haaren gerichtet waren, stand die pure Verzweiflung. In diesem Augenblick wusste Annabelle, um wen es sich handelte und was sie selbst zu tun hatte. Mit einer resoluten Handbewegung packte sie das Jagdgewehr auf dem Beifahrersitz und sperrte es in den Kofferraum. Der Motor heulte laut auf und kleine Erdklumpen und Kieselsteine spritzten, während der Wagen mit Vollgas zurück nach Neukirchen fuhr.
*
Der Applaus wollte schier kein Ende nehmen. In Ramonas Augen glitzerte es verdächtig und sie wischte sich verstohlen mit der Hand über das Gesicht. Tom hatte ihn die ganze Zeit gefilmt und winkte jetzt fröhlich mit der Kamera. Tabea sah für einen Moment tatsächlich so aus, als wollte sie ans Podium stürmen, um ihn zu umarmen. Cornelius musste sich eingestehen, dass es ihm nichts ausgemacht hätte – ganz im Gegenteil. Aber sie scheuchte nur Tom, der sich nach vermeintlich getaner Arbeit endlich setzen wollte, samt Kamera energisch zurück auf seinen Posten.
Von Greifenberg hatte ein paar Sekunden huldvoll in die Hände geklatscht und Cornelius dann mit einem fast schon väterlich anmutenden Lächeln zugenickt, das ihm wohl sagen sollte, dass er seine Sache zwar nicht brillant, aber immerhin ganz akzeptabel gemacht habe. Cornelius fackelte nicht lange, sondern erklärte den Sektempfang spontan für eröffnet. Er brauchte jetzt dringend etwas zu trinken, und nach Möglichkeit nicht in der Nähe des von Greifenbergschen Duos. Der Hut der werten Frau Baronin hatte in seinem leuchtenden Pink und der vogelnestähnlichen Aufmachung während seiner ganzen Rede wie ein Fixpunkt auf Cornelius gewirkt und ihn an die abenteuerlichen Hutkreationen der englischen Adelsdamen beim Pferderennen in Ascot erinnert. Warum hatte sich Ramona vergangenes Jahr nur im Golfclub anmelden müssen?
Nachdem Tom gefühlte fünfhundert Fotos von ihm und den anderen Gästen gemacht hatte, er unzählige Hände geschüttelt und mit ebenso vielen Sektgläsern angestoßen hatte, gab es kein Entrinnen mehr. Von Greifenberg gab ihm genau fünf Sekunden, dann …
»Was muss ich da von Ihrer reizenden Gemahlin hören? Sie wollen uns nicht auf die Kreuzfahrt begleiten?«
Also hatte Ramona es ihnen schon gesagt. Man hätte auch eine bessere Gelegenheit wählen können, aber ein Blick in ihre Augen sagte Cornelius, dass ihr das Duo keine Chance gelassen hatte.
Und in der Tat …
»Ich habe gerade zur lieben Ramona gesagt, dass Sie und Richard unbedingt am Tontaubenschießen teilnehmen müssen, wenn wir an Bord sind, als sie uns doch tatsächlich von Ihrer Absage berichtete«, ereiferte sich das Vogelnest in diesem Augenblick. »Wollen Sie es sich denn nicht noch einmal überlegen?«
»So leid es mir auch tut, aber ich muss auf diese Reise verzichten. Notorische Seekrankheit, die mich spätestens in der stürmischen Biskaya in die Knie zwingen würde.« Cornelius war selbst erstaunt, wie freundlich seine Antwort klang.
Was aber noch viel besser war: Er hatte nicht einmal lügen müssen, um diesem zweifelhaften Urlaubsvergnügen zu entgehen, in das ihn Ramona mit einer Buchung hinter seinem Rücken hineinzumanövrieren versucht hatte. Ihm wurde schon schlecht, wenn er an das Wort »Schiff« nur dachte, und mit Schaudern erinnerte er sich an sein bisher einziges Seeabenteuer, das ihn einst als jungen Studenten von Calais nach Dover gebracht hatte. Er hatte danach sein letztes Erspartes investiert, um von England aus zurückfliegen zu können – und wäre notfalls auch durch den Ärmelkanal geschwommen. Nichts und niemand hätten ihn damals noch einmal auf eine Fähre gebracht. Und kein noch so geschickter Schachzug seiner Frau brachte