Zwei Räder, ein Land. Martin C Roos

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwei Räder, ein Land - Martin C Roos страница 5

Zwei Räder, ein Land - Martin C Roos

Скачать книгу

entlang jenes Elbabschnitts, den südlich das Land Niedersachsen begrenzt. Allein zwanzig Fischer lebten in Hohnstorf. Heute gibt es noch fünf in ganz Niedersachsen, also auf knapp 250 Elb-Kilometern.

      Seine berufliche Wende verortet Panz im Jahr 1999, da war er 33 Jahre alt. »Nachdem die ganzen Dreckschleudern im Osten dicht gemacht hatten, hatte sich die Elbe tatsächlich erholt, damit hatten selbst die Biologen nicht gerechnet.« Also übernahm er doch das Revier vom Vater, das vom ›Fischerzug‹ 18 Kilometer flussabwärts reicht und sieben aufwärts. Panz fischt Aal, Zander und etliches mehr. Meerforellen, erklärt er, sind kräftige Lachsartige, die sogar die Fischtreppe am Wehr Geesthacht meistern – anders als der verwandte Stint. »Mit dem sieht es jetzt ganz schlecht aus, sagt der Kollege in Hoopte.« Und schon sind wir bei Flussthema Nummer eins für Hamburgs Einzugsgebiet. Das Thema ist nicht Elphi sondern Elbvertiefung – dieses Jahr die insgesamt zehnte, sagt Panz. »Ganz früher war die Elbe im Hafen vier Meter tief, jetzt sind es sechzehn. Was an Fischlarven nicht allein durchs Baggern kaputt geht« schildert Panz die Konsequenzen »das reißt jetzt die immer stärkere Strömung mit.« Meine abschließende Frage, wie es in seiner Familie wohl weitergeht mit der Fischerei, beantwortet Panz ausweichend. »Der Sohn geht noch zur Schule – die Fischerei muss man in den Adern haben!« Ein Auto hält vor dem Haus, Kunden holen vorbestellten Fisch. Die Stammkundschaft kommt zu Panz nicht nur samstags auf den Markt in Uelzen, sondern täglich auch direkt in den Fischerzug an der Elbe. Wie sagt doch Panz am Schluss – und es klingt leicht verbittert: »Jahraus jahrein sechs Wochentage Arbeit, und dann am siebten Tag alles ausgeben.«

      Der Fischer: Eckhart Panz, einer der letzten seiner Zunft, an der niedersächsischen Elbe vor seinem Fischerboot.

      Mittag naht, ich denke an die üppigen Meerforellen. In Hoopte, weiß ich von Panz, betreibt sein Kollege ein Fischrestaurant. Doch bis dahin fehlt eine knappe Stunde Fahrt – bei normalem Gegenwind. Was sich mir auf dem Deich hinter Hohnstorf bietet, verdient eher die Bezeichnung Sturm. Ich hänge den Körper über den Lenker, schaue rechts zu Elbe: imposant, mitreißend ihre Wasser. Für mich schwimmt ein Schluck Heimat mit, H2O aus Sachsen, Stammland eines Teils meiner Familie, wohin wir jedes Jahr per Interzonenzug fuhren. Start war stets Nordbayern, dessen Flüsse in den Rhein entwässern. Ziel aber war das Einzugsgebiet der Elbe, die sich mir als braun und schlammfarben einprägte, ähnlich gefärbt wie die Ufermauer gegenüber von Hohnstorf. Dort liegt Lauenburg. Heute gehört es zu Holstein, war einst aber sächsisch. Unter August von Sachsen-Lauenburg traf 1627 Wallenstein oben auf dem Schlossberg ein, wo Tilly Quartier genommen hatte. Man beratschlagte, stellte dem dänischen König unannehmbare Bedingungen, denn wirklich verhandeln wollten die Kriegsfürsten nicht, sondern möglichst rasch die Waffen sprechen lassen. Unter dieser Hau-drauf-Mentalität leidet noch unsere Kultur, so die Meinung von Heinrich August Winkler. ›Diese Art von politischer Debatte im Geiste der Religionskriege ist ein Stück der deutschen Pathologie‹ sagte er in einem Interview mit der Welt am Sonntag.

      Anders als Tilly und Wallenstein, die ohne großen Widerstand vorankamen, kämpfe ich hier und heute vergeblich gegen Böen, die mich manchmal fast zum Stillstand bringen. Ich verlasse den Elbdeich, verlege meine Route auf kleine Fahrwege – fast zu klein hinter Artlenburg, wo ich mich über einen Ackerweg quäle. Danach offeriert die Elbmarsch herrlichstes Radrevier: Baumgruppen, unzählige Kanalbrücken, die Route ist schick und kurvig.

      Kilometer 49, ich bin hungrig, erreiche die ›Milch Tankstellen‹. Es gibt eine Abfülleinrichtung sowie einen Automaten, bestückt mit Feststoffen. Aber Fehlanzeige: Es wird dringend geraten, die Rohmilch vorher abzukochen, und über ungekochte Eier oder rohes Fleisch würde ich mich, wie ich jetzt weiß, erst auf Etappe 14 meiner Deutschlandfahrt hermachen, als ich in Franken vor Hunger fast vom Rad kippe.

      Hoffnung schöpfe ich einen Kilometer weiter, in Hunden, ein Hofcafé naht. Puuuhh, öffnet erst 14 Uhr, da wünschte ich mir die Berliner Stutenmilch, die mir gestern stundenweise schmelzenden Nachschub lieferte. Heute ist Tag zwei und schon muss ich an meine Notreserven, lehne das Rad ans Holzgerüst mit der Café-Werbung. Tief grabe ich die Packtasche um, auf der Suche nach den geheiligten Kohlenhydraten. Es ist zum Verzweifeln, wo sind die denn? – So, alles rausgezerrt aus der Tasche!

       Du solltest mehr Sorgfalt walten lassen. Warum hast du dich denn überhaupt auf so wenig Packplatz versteift?

      Ständig fehlt es dir an Proviant.

      Jetzt weiß ich das auch. Konnte ich ahnen, dass es so schwierig sein würde, auf dem Land an Futter zu kommen? Langsam verlier ich die Geduld – autsch, mein Daumen! Von Blut rötet sich der Nagel. Dass der Packsack innen dieses scharfe Ende aus Plastik hat… . Aber muss mich das weiter aus der Ruhe bringen? – »Alles gut?« Eine Radfahrerin hat neben mir gehalten. Ob ich eine Panne hätte. Alles okay, sage ich, meinen Krempel wieder einpackend. Ich rede mir die Stimmung wieder schön und erzähle der Frau, wie gut mir die offene Naturlandschaft gefällt.

      Von wegen Naturlandschaft, da sei ich aber auf dem Holzweg. Ich durchfahre, erklärt mir die Radfahrerin, seit Kilometern das Gebiet einer menschengemachten CO2-Katastrophe. »Das kommt daher, weil aus Natur- Kulturlandschaft wurde. Die moderne Industrie und Verbrennungsmotoren haben damit erst einmal nichts zu tun.« Vor Generationen wurden die Sümpfe der Elbmarsch trockengelegt, um Acker- und Weideland zu gewinnen. Mit dem abgeflossenen Wasser entschwand sozusagen die Schutzflüssigkeit, sagt die Frau, Geochemikerin am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Wasser schütze davor, dass Sauerstoff auf den Kohlenstoff der Pflanzen einwirkt. »Pflanzenreste plus Sauerstoff ergeben Kohlendioxid, lautet die Faustformel. Überall auf der Welt, wo Feuchtgebiete entwässert werden, bildet sich so aus dem Boden massenhaft Treibhausgas.« Man begreife erst jetzt das Ausmaß, mit dem das so entstandene CO2 den Klimawandel befeuert hat.

      Mit dem Wind saust die Geochemikerin gen Osten, gegen den Wind kämpfe ich mich westlich durch das letzte Stück der ›Samtgemeinde Marschland‹. In Zeitlupe nur rückt der Elbdeich näher. Die Orte nebendran verhöhnen meinen Endspurt zur Fähre: Laßrönne! Haue! In Hoopte erwische ich die Fähre Sekunden, bevor sie ablegt, gelange binnen Minuten über die Elbe, ins vierte Bundesland.

       Die 24 Orte markieren den Start zu den 24 Radetappen durch alle Länder. Geographische Extrempunkte auf der Gesamtdistanz von 2451 Kilometern: West – Niedergailbach (nahe 11), Süd – Beuren/Hechingen (südlich von 14), Ost – in Berlin (22), Nord – Barkau (nördlich von 1). GPS-Tracks zugänglich unter www.tinyurl.com/alle16d

       Apfelerbe, Knappmannsdörfer, Lagerstätten

      Die teuerste Pflanze Deutschlands wächst in Hamburg und heißt Schierlings-Wasserfenchel. Einige wachsen noch an Elbufern – unverkäuflich natürlich! Die gut 50000 Euro pro Wasserfenchel errechnen sich nach Kosten zur Arterhaltung: rund zehn Millionen Euro für etwa zweihundert Exemplare. Das Geld fließt in Verbauungen und Pflanzungen, die die Stadt wegen der Elbvertiefung durchführt. Unweit des Anlegers, wo ich von der Fähre rolle, soll dieser Fenchel noch natürlich wachsen, heißt es. Nicht jedoch diese, sondern andere botanische Raritäten locken mich in den Südzipfel Hamburgs. Ich komme wegen 31 Obstbäumen, die Angelika und Walter Melau anpflanzten. Das Ehepaar vermachte der Nachwelt unter anderen ›Kaiser Wilhelm‹, ›Ruhm von Kirchwerder‹ und ›Wohlschmecker von Vierlanden‹. Die Obstsetzlinge dazu kauften die beiden nach mehrjähriger Recherche und pflanzten sie 2012 entlang eines Ackerwegs.

      Der Weg ist für Unkundige schwer zu finden, kein Schild weist die Route zum Apfelvermächtnis der Melaus. Vom Anleger folge ich der Elbe, fahre durch eines von drei Dutzend Naturschutzgebieten im Stadtstaat; zehn Prozent Hamburgs stehen zumindest dem Papier nach unter Schutz. Über die Deichvogt-Peters-Straße gelange

Скачать книгу