Zwei Räder, ein Land. Martin C Roos
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›Kommen Sie vorbei und klingeln einfach, es sollte jemand da sein‹ hatte mir die Kempowski Stiftung vorab geschrieben. Das berühmte Archiv lagert zwar nicht mehr in ›Haus Kreienhoop‹ – zwei Jahre vor Kempowskis Tod zog es nach Berlin. Aber ich selbst suche in der Arbeitsumgebung des Autors von ›Tadellöser & Wolff‹ und ›Echolot‹ auch etwas: Inspiration.
Niemand öffnet, Knappmannsdörfer! So schimpfen Charaktere im ›Tadellöser‹. Aber ein lauter Fluch, bloß weil ich keinen Einlass bekomme, beschämte mich. Es ist so wunderbar ruhig hier nach meinem halbtägigen Straßenritt. Die Villa liegt am Dorfrand, umfangen nur von Vogelstimmen. Vielleicht kommt noch jemand von der Stiftung? Ich drehe eine Kreienhoop-Warteschleife im Internet, scanne Informationen zu Kempowski. ›Rostock… Dorfschullehrer… Zeitgemälde collagierte.‹ Hey, das ist ein herrliches Stichwort für meinen Deutschlandreport, Collage! Ursprünglich schwebte mir ein Mosaik vor, dessen Steine ich in den Ländern sammle. Aber am Mosaik missfällt mir, dass die Steine in den Hintergrund treten für Betrachterinnen und Betrachter. Beim Mosaik zählt das Gesamtbild; die Steine sind nur funktionell. Was ich im Kleinen aufklaube in Deutschland, soll aber sichtbar und für sich bedeutsam bleiben. Lieber bastle ich eine Collage, wo die Deutschland-Schnipsel ihre Eigenständigkeit behalten.
Wetten, du schwadronierst nun schnulzenhaft über den Wink des Schicksals und über Kausalverkettung, die dich in Nartum in die Warteschleife führten? Hüte dich mal vor Überinterpretation.
Ich verzichte. Zumindest auf das Navi, weil ich denke: In die Dorfmitte, wo ich mich aus der Radroute ausklinkte, finde ich spielend ohne GPS zurück. Aber Fehlanzeige, ich bin nach Steinfeld abgebogen.
Zurück nach Nartum? Ich frage einen Förster, der feldseitig in seinem Wagen wurschtelt. Auf dem Rücksitz erspähe ich Exemplare der Broschüre ›Willkommen Wolf‹. Wie akzeptiert hier die Bevölkerung den neuen Mitbewohner, der sich vornehmlich entlang der Achse Sachsen-Niedersachsen ausbreitet? Schlecht, meint der Förster, in Steinfeld soll ein Mann bei Arbeiten am Friedhofszaun gebissen worden sein. Das wäre Deutschlandpremiere für eine Attacke auf einen Menschen, aber bewiesen sei noch nichts.
15.30 Uhr, zurück auf der Route. Bis zum Ziel im nördlichen Bremen fehlen noch vierzig Kilometer. Hinter Nartum ödet mich die Gegend an, viele Großfelder, immergleiche Gehöfte. Vielleicht wären Wolfsafaris ein belebender Wirtschaftszweig? Obwohl die Gegend so arm nicht sein kann: Großkonzerne zahlen hier Tribut, um in den Eingeweiden der Erdkruste zu bohren. Nach Erdgas. Gefördert wird es seit Jahrzehnten in Deutschland: zu 97 Prozent in Niedersachsen, dabei größtenteils in Kempowski-Land. Auch wenn die gesamte deutsche Erdgasförderung nur 7 Prozent des Deutschlandbedarfs deckt, sind hier die ganz Großen vertreten, wie Exxon-Mobil und RWE Dea. Rund elf Milliarden Kubikmeter Erdgas fördern sie jährlich. Es ist genug, um umgerechnet 55000 Einfamilienhäuser ein Jahr lang zu beheizen. Das reichte fürs komplette Rotenburg. Die Stadt an der Wümme ist ungekrönte Hauptstadt des größten Erdgas-Fördergebiets, um die ich mit dem Rad radial meinen Bogen ziehe. Aber von Industrieanlagen oder Fördertürmen keine Spur.
Nahe Taaken stoße ich auf eine umzäunte Anlage, betonierter Boden in der Größe eines Handballfelds. Drauf entspringt ein dickes Rohr dem Boden und windet sich durch eine Art Bühne mit Rohr- und Metall-stakendem Unterbau. Irgendwo rauscht hier das Gas durch und mir wird klar: Ist ja alles längst eingefasst und installiert; Fördertürme braucht‘s nicht mehr. Die großen Firmen haben so etwas wie venöse Zugänge gelegt, über die sie die Erde kontinuierlich anzapfen. Aber das Umgekehrte passiert auch. Infusionen gelangen in die Erde. Mit dem Erdgas sprudelt sogenanntes Lagerstättenwasser nach oben, das die Konzerne gerne wieder nach unten jagen. ›Verpressen‹ heißt es im Fachjargon. Lagerstättenwasser ist in die Kritik geraten, weil es Schwermetalle und andere Giftstoffe enthalten kann. Im Raum Rotenburg gibt es erhöhte Blutkrebsraten bei Männern, sagt die Medizinstatistik. Die Landesregierung bestätigt das offiziell und will den genauen Ursachen nachgehen.
Ich ertappe mich dabei, die eigentlich harmlos wirkende Landschaft unter dem geistigen Filter der Erdgasgeschichten zu sehen, irgendwie bedrohlich. Als ob mich hinter dem nächsten Gehöft eine Explosion erwischen könnte. Sind die in Schwarz und Weiß Uniformierten, die in Horstedt an Bierbänken schmausen, Mitglieder eines Schützenvereins oder Angehörige eines Bereitschaftsdienstes?
Hinter Narthausen lasse ich den Rotenburger ›Erdgas-Felderkomplex‹ vollends hinter mir. Nicht nur deswegen fühle ich mich erleichtert. Bis zur Landesgrenze von Bremen trennen mich nur fünfzehn Kilometer. Bei Fischerhude begebe ich mich in die Niederungen der Wümme, die mich ins fünfte Bundesland geleitet.
Kilometer 277: Der Bindebaum von Krentzel
Mein Bremenplan besteht darin, in den Kern traditionellen Kommerzes einzudringen, eine alte Kaffeerösterei zu besuchen und einen Kolonialwarenladen. Doch als ich die Wümmewiesen Bremens erreiche, ist es viel zu spät dafür. Der Ladekabel halber und wegen des langen Halts in Nartum bin ich seit fast zehn Stunden unterwegs. Bis zur heutigen Unterkunft im Norden fehlen auf direkter Route nur 14 Kilometer. Ein Umweg über Stadtzentrum und Holzhafen bedeutete fast das Doppelte. Ich zögere, lehne das Rad an einen bemoosten Holzrahmen am Straßenrand. Im Rahmen hängt ein Schild, ›Binneboom-Museum‹. Das reizt meine Neugier mehr als Kaffee und Koloniales. Ich biege zum Museum ab und lerne Klaus Krentzel kennen.
Er steht vor seinem Klinkerhaus und klopft einen verstaubten Roof aus. Das ist ein ›Brotgetreide-Aufbewahrungskorb‹, erfahre ich, noch nicht vom Rad gestiegen. Ich lehne es an eine Art Galgen, auf der eine verrostete Riesenbimmel montiert ist. Sie gehörte der ›Jan Reimers‹, erklärt mir Krentzel. Das war die Eisenbahn, die bis 1956 von Bremen aus durch die Moorgebiete bis nach Niedersachsen tuckerte.
Während mich Krentzel ins Haus führt, redet er sich in Rage, unentwegt Erklärstücke liefernd zu seinen Lieblingsexponaten. Tausende haus- und landwirtschaftliche Utensilien lagert er hier und in den ehemaligen Ställen des Gehöfts. Binnen eines halben Jahrhunderts hat der 80-jährige Krentzel ein – bei allem Respekt – messieartiges Museum zusammengestückelt. Da lehnt das Lebkuchen-Model an der Getreidemühle, ein Büschel altes Bentgras thront auf dem letzten Torftransporter des Teufelsmoors. »Die Achsen sind umgeschmiedete Kanonenlafetten aus dem Napoleonischen Krieg« kommentiert Krentzel, zeigt mir ergänzend das Glied aus der Kette eines englischen Panzers, Datumsvermerk 1945. Dahinter erspähe ich Butterfässer, Bahnlampen, Briefbeschwerer. Am meisten fasziniert mich die Holzpantoffelschälmaschine – es ist meine eigene Wortkreation. Die Maschine fräst nach Vorgabe eines beweglichen Metallfühlers, der einen Pantoffel als Vorlage innen und außen abtastet, aus einem groben Klotz das fertige Schuhwerk heraus.
Bevor ich weiterfahre, möchte ich von Klaus Krentzel wissen, woher der Museumsname Binneboom kommt: »Das ist der Bindebaum oben auf dem Heuwagen, der verhindert, dass die Fracht verloren geht.« Und wie kann die Adresse seines Museums ›Am Hexenberg‹ lauten, wo es doch hier bretteleben ist? Krentzel, der, bevor er Finanzbeamter wurde, hauptberuflich Deiche gebaut hat und davor noch selbst Torf gestochen, holt dazu ein letztes Mal weit aus. Die Kurzversion lautet: Es gab einen Steinwurf von hier einen Buckel, an einem Kanal zum Torftransport gelegen. Der Kanal verlandete dort regelmäßig, was die Bauern zu Flüchen und Verwünschungen reizte, weil ihre Kähne am ›Hexenberg‹ auf Grund liefen. Schließlich legten die Torfbauern Hand an und beseitigten den Buckel.
Wie in der Elbmarsch hinter Hoopte hat der Mensch auch in diesen Niederungen Bremens die Landschaft völlig umgekrempelt. Die unendlichen Kanäle der Borgfelder Wümmewiesen bezeugen das ebenso wie das Blockland hinter Borgfeld. Hat Blockland etwas mit Felsen zu tun? Nein, das den Sümpfen abgerungene Lehmland blieb im Mittelalter zwischen all den Kanälen sozusagen nur blockweise übrig.
Für mich gerät das Blockland