FREUNDE, DIE KEINE SIND. Suman Lederer

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FREUNDE, DIE KEINE SIND - Suman Lederer

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Glück waren sie alle aber nett zu ihr.

      Am Abend ging sie meistens mit ihrer Freundin Rewathi spazieren. Rewathi war ein sehr lebhaftes Mädchen, ein Jahr vor Suwarna in der Schule und viel weiter als Suwarna in den Dingen des Lebens, sehr interessiert an Jungs und kannte bereits viele Mädchen-Jungs-Geschichten. Suwarna kam immer so vor, dass Rewathi viel mehr wusste, als ihr Alter es hätte vermuten lassen. Sie hatte eine sehr lebhafte Sprache, sie hat sich nicht gescheut, ‚shit‘ zu sagen, das war eher harmlos, oder Sonstiges, was damals noch zu den Tabuwörtern gehörte. Diese Abwechselung tat Suwarna gut. Sie musste nicht viel denken, einfach nur zuhören, es war irgendwie lustig, erfrischend, nicht belastend und entspannend.

      Rewathi war auf ihre Art sehr nett und sanft, jedoch bezog sich das Sanfte nicht auf ihre Sprache. Rewathi war sehr gut befreundet mit einem weiteren Mädchen und zwei Jungen, die sie aus der anderen Schule kannte. Sie nahm Suwarna in ihren Freundeskreis auf, ganz selbstlos und ohne Neidgefühl, ohne sich irgendwelche Gedanken zu machen, sie teilte Suwarna einfach mit ihren Freunden, beziehungsweise ließ sie an ihrem eigenen Freundeskreis teilhaben. So war Rewathi. Aber sie waren es auch, die sie alle fallen ließen, als die Frauengruppe des Netzwerkes ihnen von den Vorwürfen gegen Suwarna erzählte. Weiter haben sie alle Suwarna gegenüber nichts verraten, wie sie von der Frauengruppe angewiesen wurden. Toll, solche „Freunde“ zu haben, würde Suwarna später denken! Aber das war viele, viele Jahre später! Damals dachte sie nur, toll, solche Freunde zu haben!

      Nach ihren Spaziergängen mit Rewathi ging sie meistens zur Dachterrasse, saß allein da, blickte nach oben in den Himmel und dachte über alles nach, und wahrscheinlich versuchte sie, alles zu verarbeiten. Eines Abends kam Sujit nach oben zu Lernen, sah sie und kam hinaus auf seine Dachterrasse und rief zu ihr hinüber. Sie ging auf die Seite der Dachterrasse, die seiner am nächsten war, und beide unterhielten sich einige Minuten. Das wurde langsam auch zu ihrem Abendritual. Einmal sagte er zu ihr, falls ihr Bruder nicht dabei wäre, könnten sie beide morgens zusammen zur Schule gehen. Wenn ihr Bruder dabei wäre, müsste er sich mehr mit ihm unterhalten, das wären dann so Jungs-Gespräche.

      So kam es, dass sie früh morgens alles so lang hinauszögerte, bis ihr Bruder aufgab und sich bereits auf den Weg zur Schule machte. Erst danach ging sie aus dem Haus, sie wusste, wo Sujit auf sie wartete, und beide liefen zusammen zur Schule. Ihre Schule befand sich auf dem Weg zu seinem Gymnasium. Seine Unterrichtszeiten waren meistens länger als ihre, außer an zwei Tagen. An den beiden Tagen ging er fast bis zu ihrer Schule und wartete auf sie in der Nähe. So konnten sie die zwei Tage zusammen zurück nach Hause gehen. Langsam fing Suwarna an, über den Tod ihres Vaters zu sprechen, Sujit hatte immer etwas Passendes dazu zu sagen. Ihre guten Leistungen in der Schule hielt sie, und langsam ging es ihr innerlich auch wieder besser.

      In ihrer Schule wurde ebenfalls Militärtraining, ähnlich dem Kadettentraining, für die Schüler angeboten, zweimal in der Woche, am Nachmittag nach dem Unterricht, natürlich ihrem Alter entsprechend. Es war kein einfaches Training – in der Nachmittagshitze zwei Kilometer laufen, ein paar Dehnübungen, strikt marschieren, anschließend noch ein wenig Theorie, braune Uniform – Hose und Hemd, in ähnlichem Stil wie bei der Polizei oder beim Militär, die mit Stärke hart und fest gemacht wurden, harte, schwarze Schuhe, deren Sohle mit Hufeisen versehen war, damit es sich wie beim Militär anhörte und anfühlte, es klang super, wenn sie alle zusammen marschierten.

      Seitdem Suwarna vor einigen Jahren zufällig das Training gesehen hatte, wollte sie dabei sein. Mit dreizehn durfte sie dann endlich mal mitmachen. Sie meldete sich an. Es gab ein Auswahlverfahren, die Trainerin sah sie alle musternd an, ob sie die richtige Größe hatten, ob sie geradestanden, ließ sie zwei Kilometer laufen, dann marschieren. Sie hatten das alle noch nicht gelernt, aber die Trainerin wollte irgendetwas prüfen, wahrscheinlich, ob sie das Potenzial dazu hätten. Auf jeden Fall wurde sie zu ihrer großen Freude zusammen mit circa fünfundvierzig anderen Mädchen ausgewählt. Toll!

      Und los ging’s, zwei Mal in der Woche. Suwarna musste ihre Tischtennis-Trainingszeiten hin- und herschieben, es war alles am Anfang ein bisschen mühsam, aber danach war es für sie in Ordnung. Man brauchte nur ein wenig Disziplin, die sie von Haus aus ohnehin mitbrachte, und ein bisschen Zeitmanagement, wofür sie ein angeborenes Talent zu haben schien.

      Die ganze Zeit in der Hitze körperlich aktiv sein machte sie sehr müde. Teilweise hatte sie danach keine Lust und keine Kraft mehr für das andere vorgesehene Training, nämlich Tischtennis. Aber das machte nichts, irgendwie würde ich es schon noch schaffen, dachte sie. Nach dem, was im Badminton passiert war, dachte sie, das wäre ein Zeichen, sie würde mit dem Badminton einfach aufhören und das Kadetten-Training weitermachen, somit würde sich zumindest eine Teillösung für die Zeitfrage geben. Ihre Mutter kaufte ihr ein Fahrrad, damit sie nicht zu Fuß hin- und hergehen musste. Das war hervorragend.

      Manchmal kam ihr Schulfreund Sarwansh gegen Ende des Trainings hin, beide fuhren mit ihren Fahrrädern die Hälfte der Strecke bis zu Suwarna nach Hause nebeneinander und unterhielten sich. Sie war froh, Sarwansh zu kennen, ein sehr lieber, sanftmütiger gleichaltriger Junge, mit dem sie sich sehr gut verstand. Sarwansh und Suwarna würden für die nächsten dreißig Jahre einen lockeren Kontakt miteinander halten, einige Male, wenn Suwarna einen Transitaufenthalt in Katar haben würde, würden sie sich treffen und sich gegenseitig bezüglich Familien und Arbeit auf den aktuellen Stand bringen. Er würde sich später natürlich auch in ihrer Liste des privaten sozialen Netzwerks befinden, und vom Netzwerk kontaktiert werden. Ohne das Wissen des eigentlichen Spiels gegen Suwarna, beziehungsweise mit der ausgewählten Information, die allen vermittelt wurde, würde er überzeugt werden, mit dem Netzwerk mitzumachen. Aber das wussten beide zu dem Zeitpunkt natürlich nicht, Suwarna war einfach froh, einen so guten Schulfreund zu haben.

      Das Militärtraining wurde für die Dauer von zwei Jahren angeboten. Am Ende des ersten Jahres fuhr eine Gruppe von ihrer Schule in eine andere Stadt, in die ebenfalls Gruppen von anderen Städten des Bundesstaates Maharashtra kamen, für diverse Wettbewerbe aus dem Bereich des Militärtrainings. Für den Zeitraum zwischen Juni und Oktober wurden verschiedene Camps geplant, anschließend wären die Jungen und Mädchen für die Parade für den Tag der Republik am 26. Januar ausgewählt worden. Das wäre doch eine tolle Ehrensache, wenn Suwarna dafür ausgewählt würde.

      Beim ersten Wettbewerb zeigte Suwarna ein angeborenes Talent für Schießen. Natürlich wusste sie nicht, dass sie gut darin sein würde, es gefiel ihr, in das Magazin des 0,22-Gewehrs die fünf Patronen hineinzugeben, als sie aufgerufen wurden, hinzumarschieren, sich in die richtige Position hinzulegen, das Gewehr richtig zu halten und zu schießen! Fünf Schüsse, anschließend aufstehen, nach hinten gehen und warten. Das Schiesstraining war jeweils für mindestens den halben Tag angelegt, da sie dafür woanders hinfahren mussten, denn man konnte doch nicht einfach so irgendwo in der Stadt herumballern!

      Zwischen Juni und Oktober nahm Suwarna an vier Camps teil. Obwohl sie sehr gern bei der Parade im Januar mitgemacht hätte, stellte sich heraus, dass sie besser schoss als marschierte – ihrer Meinung nach war sie sehr gut in beiden Disziplinen, aber die vorgesetzten Militärs sahen das anders, sie sahen irgendein Talent in Suwarna für Schießen. Also sollte sie beim Schießwettbewerb auf Bundesebene, sprich ganz Indien, teilnehmen.

      Während der vier Camps freundete sie sich mit Bharati an. Bharati war im gleichen Alter, sie waren in derselben Schule. Sie kannten sich von früher, waren aber früher nicht befreundet. Die Camps, dieselbe Situation, dieselben Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten, mit dem Essen hatten die beiden Mädchen zusammengeschweißt. Sie waren grundverschieden. Bharati war ziemlich extrovertiert, lachte viel, konnte mit allen viel reden, konnte sehr gut tanzen – konnte sogar auf Knopfdruck anfangen zu tanzen, war aber nicht sehr gut in der Schule, und wegen ihrer etwas rauen und lauten Art bei allen anderen Schülern nicht sehr beliebt. Suwarna war anders, sie war sehr gut in der Schule, sehr beliebt bei allen Lehrern und Eltern zugleich, und bei den meisten Schülern, hatte eine etwas ernste Art an sich, war stets freundlich und vor allem höflich, wirkte souverän, war ehrgeizig, fleißig, wollte

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