FREUNDE, DIE KEINE SIND. Suman Lederer

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FREUNDE, DIE KEINE SIND - Suman Lederer

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Suwarna sollte den Flug buchen und nach Deutschland fliegen.

      Suwarna verbrachte die letzten Tage wie in Trance, machte alles, aber ohne sich richtig daran erinnern zu können, sie tat es einfach, ein paar Sachen für sich einkaufen – Schuhe, eine neue Tasche, ein paar Sachen für ihre Mutter, die sie haben wollte, die Deutschkursbücher durfte sie nicht vergessen. Genau fünf von den insgesamt zehn Wochen Deutschintensivkurs hatte sie absolvieren können, als es Zeit war, sich zu verabschieden, von ihren Freunden – Pardhan, Harsh, Prabhakar, Shehnaz und Anant, von ihren Verwandten – Tante, Onkel, Cousine, von der ganzen Familie ihres Onkels, die sie mittlerweile ebenso gut kannte, von fast allen ihren Sachen, ihren Büchern, ihrer Kleidung, von der Stadt Bengaluru, von ihrem Leben dort, einfach von allem, und dann flog Suwarna nach Deutschland!

      1 Flacher runder Reiskuchen aus der südindischen Küche.

      2 Runde frittierte Teigware aus Kichererbsen- und Linsenmehl, salzig, mit einem Loch in der Mitte, wie ein Donut.

       5.

       Neu-Delhi

       Juli 2019

      Suwarna schrieb ihre Präsentation fertig, sie ging sie noch dreimal durch, das machte sie immer so. Beim ersten Mal schaute sie auf den Inhalt, ob alles drin war, das drin sein sollte, beim zweiten Mal noch auf Rechtschreibfehler, Formatierung, beim letzten Mal ging sie die gesamte Präsentation nochmal durch. Kleidung für den Montag vorbereitet, Laptop eingesteckt, damit der Akku nicht mitten in der Präsentation plötzlich ausging, das Kabel eingepackt sowie Brille, Heft, Kugelschreiber, damit sie am nächsten Morgen beziehungsweise nach ein paar Stunden nicht in die Hektik käme. Den Wecker gestellt, so, jetzt konnte nichts mehr schiefgehen, dachte sie und legte sich ins Bett. Es war bereits ein Uhr in der Nacht. Mit ihrer Vorbereitung war sie zufrieden, sie würde bestimmt gut schlafen können.

      Suwarna lag im großen Bett in dem neuen Zimmer, das das Hotel ihr gegeben hatte, nachdem die Wasserleitung im Bad in ihrem vorherigen Zimmer nicht dicht gewesen war. Als sie am Freitagmorgen aufwachte und ins Badezimmer ging, fand sie das Badezimmer überflutet, also Wasser auf dem Boden, eine Wasserleitung war undicht. Sie holte alle Handtücher, die sie vorfand, legte sie auf den Boden, damit sie zum Waschbecken und Klo konnte, ohne dass ihre Hosen nass wurden. Beim Hinausgehen aus dem Hotel am Freitag hatte sie den Empfang darüber informiert. Ja, man würde sich darum kümmern. Als sie am Abend zurückkam, bot man ihr ein anderes Zimmer an. Sie wollte lediglich wissen, ob das neue Zimmer nicht kleiner als das aktuelle wäre. Nein, war es nicht. Okay. Sie packte ihre Sachen und ging in das neue Zimmer, oh, schön, dachte sie, es gab getrennte Schlaf- und Wohnzimmer, alles geräumig, sehr schön. Mehr Platz hat jeder gern.

      Irgendetwas stimmte nicht, es war so ein komisches Gefühl. Sie fühlte es so stark, als ob Krallen sie gleich erreichen würden. Sie drehte sich um, und wieder, und wieder. Sie wusste nicht genau, was es war, aber es war sehr stark, sie hatte das Gefühl, dass irgendetwas versuchte sie wegzuziehen. Komisch! Was sollte sie machen? Was könnte sie machen? Max würde schon länger schlafen, sie könnte, sollte, ihn nicht anrufen. Hm … Prabhakar könnte sie anrufen, und ein wenig plaudern, aber das wollte sie nicht. Den Tag zuvor war er so kurz angebunden gewesen und hatte sich seitdem nicht mehr gemeldet. Sujit könnte sie aber probieren, bei ihm in den USA würde es noch Mittag oder früherer Nachmittag sein, sie könnte mit ihm vielleicht ein paar Minuten reden.

       6.

       Mumbai

       Bis 1991

      Mumbai lag an der Westküste Indiens, circa in der Mitte zwischen dem Norden und Süden. Als Suwarna in Mumbai lebte, beherbergte der Großraum Mumbai bereits um die fünfzehn Millionen Menschen, eine richtige Großstadt. Sie war das Finanzzentrum, die Finanzhauptstadt des Landes Indien. Da war immer was los, viele Menschen, viel Verkehr, viele außerakademische Aktivitäten, Theater, Kinos, und natürlich, Bollywood.

      Bollywood, angelehnt an den Namen Hollywood, die weltbekannte Hindi-Filmindustrie! In Bollywood wurden pro Jahr mehrere Dutzende Filme produziert. Die Leute in Indien gingen unheimlich gern ins Kino, so wie Suwarna. Es lebten viele Inder im Ausland, auch die Anzahl der Nicht-Inder, die Bollywood-Filme mochten und ansahen, war sehr groß, sodass sie ebenso in vielen anderen Ländern, vor allem in den russischsprachigen, sogar in den Kinos zu sehen waren.

      Suwarna wurde in der berühmten Stadt Mumbai geboren und verbrachte die ersten über 15 Jahre ihres Lebens in der großen Metropole, als die Stadt noch Bombay hieß.

      Ihr Vater arbeitete beim indischen Kernforschungszentrum. Das Kernforschungszentrum wurde Mitte der Fünfzigerjahre gegründet und hatte damals bereits über fünftausend Mitarbeiter. Damit die Mitarbeiter es nicht zu weit zur Arbeit hatten und bessere Wohnbedingungen genießen konnten, errichtete das Kernforschungszentrum gleich nebenan ein Wohnviertel, Parmanushaktinagar, wo Suwarna mit ihrer Familie lebte. Es befanden sich dort Schulen ausschließlich für die Kinder der Mitarbeiter, ein Krankenhaus, zwei Tageskliniken, Post, Supermärkte, alles, was die Mitarbeiter benötigt hätten.

      Es gab in Mumbai sowohl nach Geschlecht getrennte Schulen für Jungen und für Mädchen als auch Schulen für beide Geschlechter zusammen. In ihre Schule gingen beide – Mädchen und Jungen. Suwarna war dort ab der Vorschule bis zum Abschluss der zehnten Klasse. Nachdem die Schüler alle mehr oder weniger in der Nähe wohnten, kannten sie sich fast alle gegenseitig, selbst wenn sie nicht wirklich miteinander befreundet waren. Suwarna war immer sehr gut in der Schule, um nicht zu sagen hervorragend, immer die Beste in allem, was die Schule veranstaltet hatte!

      Bereits in der Vorschule stand ‚ausgezeichnet‘ bei Mathe. Vater legte sehr viel Wert darauf, dass sie zu Hause Hoch-Hindi miteinander sprachen, er wollte nichts anderes hören, keinen Dialekt, keine Umgangssprache, nichts. Aus dem Grund war sie in der Schule in der ersten Sprache, nämlich Hindi, ebenfalls sehr gut. Die hervorragende Leistung in der Schule würde sich bis zum Universitätsabschluss durchziehen, und darüber hinaus. Zu dem Zeitpunkt ahnte sie natürlich nichts von ihrer Staatsbürgerschaftsprüfung in Österreich, die Jahre später in Österreich stattfinden würde, die sie ebenso mit null Fehlern bestehen würde.

      Als sie neun Jahre alt war, fingen sie und ihr Bruder an, am nicht allzu großen Esstisch zu Hause Tischtennis zu spielen. Der Tisch wurde dafür leergeräumt, in die Mitte des Tisches wurden Bücher leicht aufgemacht und aufgestellt, um als Netz zu dienen, das machte Spaß. Beiden gefiel das sehr, und in der Zeit stritten sie sich nicht, zumindest nicht die ersten paar Minuten. Damals ahnte sie nicht, dass diese Spiele den Grundstein für später gelegt hatten.

      In der sechsten Klasse angekommen durfte Suwarna am Tischtennistisch in der Schule spielen. Am Anfang war es etwas ungewohnt, da sie bis dahin nur am viel kleineren Esstisch gespielt hatte, aber danach ging es. Schnell fand sich eine weitere Interessierte; beide fingen an, jeden Tag nach der Schule Tischtennis zu spielen. Der Sporttag an der Schule rückte näher. Nachdem sie beide die einzigen zwei Mädchen waren, die Tischtennis spielten, wurde gleich das Finale gespielt, nicht überraschenderweise gewann Suwarna. Beide Finalistinnen nahmen am interschulischen Wettbewerb teil, bei dem beide nicht gut abschnitten und noch in den Anfangsrunden ausschieden. Aber das machte den Ehrgeiz von Suwarna nur noch stärker, sie wollte noch mehr üben und es dann noch einmal versuchen. Also übten beide jeden Tag noch mehr.

      Die nächsten zwei Jahre spielte Suwarna bei verschiedenen Wettbewerben überall in der Stadt Mumbai sowie im Bundesstaat Maharashtra und erreichte den zweiten Platz in der bundesstaatlichen Rangliste. Sie war regelmäßig auf den Sportseiten mehrerer Zeitungen zu sehen. Sie nahm in ihrer Alterskategorie an Bundeswettbewerben teil und vertrat ihren Bundesstaat. In der jüngsten Alterskategorie, unter zwölf, erreichte sie den zehnten Platz in

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