Der Venezianische Löwe. Volker Jochim
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„Die Lieferung aus Triest muss jeden Moment eintreffen. Ist der Lastwagen schon da?“
„Ja, der steht im Hof und ist schon vorgeladen. Wir warten nur noch auf die Ware aus Triest.“
„Bravo. Dann werde ich ja hier nicht mehr gebraucht. Ciao Alberto.“
„Ciao.“
Zufrieden setzte sich Nardi in seinen Wagen und fuhr los. Auf seine Mitarbeiter war Verlass. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es Zeit war, zur Bank zu fahren. Er musste ja noch das Geld für die Übergabe ordern und die Filialen hier hatten meist solche Beträge nicht vorrätig.
***
Der Rest der Woche verlief ziemlich ereignislos. Samstagabend stand Marco Nardi in seinem Arbeitszimmer vor seinem Schreibtisch und betrachtete die gebündelten Geldscheine, bevor er sie in einen Plastiksack stopfte und den Sack verschnürte. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor halb zehn - Zeit um sich auf den Weg zu machen. Lydia war mit einer Freundin unterwegs, was ihm nur recht war. Er konnte sich in Ruhe auf das konzentrieren, was er nun erledigen musste.
In gemächlichem Tempo fuhr Nardi in Richtung Duna Verde. Um diese Zeit war diese Gegend richtig gespenstig. Nur hier und da mal ein Lichtpunkt in der Landschaft, sonst nur Dunkelheit und Einsamkeit. Während der ganzen Fahrt begegnete ihm kein einziges Fahrzeug.
Plötzlich bremste er abrupt ab. Zu seiner Linken lag das Wasserwerk hinter einem kleinen See. Beinahe wäre er daran vorbeigefahren. Rechts neben dem See ging ein relativ breiter, unbefestigter Weg ab und verschwand im Dunkel zwischen dichtem Baumbestand. Das musste der beschriebene Übergabeort sein. „Gut gewählt“, dachte Nardi. Der Erpresser war doch nicht so dumm. Langsam setzte er ein Stück zurück, bog dann in den Weg ein und rollte so weit, bis man ihn von der Straße aus nicht mehr sehen konnte. Verlassen lag der Weg vor ihm im Scheinwerferlicht.
Nardi nahm den Sack vom Beifahrersitz und stieg aus. Die Scheinwerfer ließ er vorsichtshalber an. Direkt neben ihm verlief die beschriebene Rinne aus halbierten, aneinandergereihten Betonrohren, in der das Regenwasser gesammelt und unter der Straße hindurch in den Kanal auf der anderen Seite abgeleitet wurde. Er warf den Sack hinein und wollte gerade wieder einsteigen, als er ein knackendes Geräusch vernahm. Er blieb stehen, zog seine Beretta aus der Jackentasche und lauschte in die Dunkelheit. Über ihm flog eine in ihrer Ruhe gestörte Eule davon. Sonst war nichts mehr zu hören. Beruhigt steckte er die Waffe wieder ein, setzte sich in seinen Wagen und rollte rückwärts zurück auf die Straße.
Irgendwo dort drüben auf der anderen Seite musste Bossi auf der Lauer liegen. Zu sehen war nichts.
***
Bossi sah auf seine Armbanduhr. Es waren schon zwanzig Minuten vergangen seit der Chef das Geld abgeliefert hatte, doch es tat sich noch immer nichts. Er war schon versucht hinüber zu gehen um nachzusehen ob das Geld bereits abgeholt worden war, als er einen Lichtschein hinter den Bäumen auf der anderen Seite wahrnahm. Was war da los? Die Lichter tanzten hin und her und verschwanden dann, um plötzlich an der Straße wieder aufzutauchen und in Richtung Duna Verde abzubiegen.
Bossi startete den Motor und fuhr hinterher. Die Scheinwerfer ließ er erst einmal ausgeschaltet. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche und fand sich auch im Dunkeln zurecht.
„Verdammt, das sind ja Motorräder!“, fluchte Bossi, als er ein Stück aufgeholt hatte. „Hoffentlich bleiben die zusammen.“
Doch diesen Gefallen taten sie ihm nicht. Als die Straße in einem Kreisel mündete, bog eine Maschine nach rechts in Richtung Eraclea Mare ab, die andere nach links in Richtung Porto Santa Margherita.
„Scheiße, wer hat jetzt das Geld?“
Er bog nach rechts ab. Auf dieser Strecke gab es weniger Seitenstraßen, in die das Motorrad hätte verschwinden können. An der Einmündung zur Straße nach Jesolo blieb der Motorradfahrer plötzlich stehen, als müsste er sich noch überlegen wohin er fahren wollte. Bossi hielt auch an. Jetzt konnte er sehen, dass es sich um eine Geländemaschine handelte, deren Nummernschild nach oben gebogen und deshalb nicht zu entziffern war.
In diesem Moment gab der Motorradfahrer Gas. Die Maschine bäumte sich kurz auf, schoss quer über die Straße, flog über einen kleinen Graben und verschwand in den dahinter liegenden Feldern.
Bossi war zu überrascht, um gleich reagieren zu können. Dann sprang er aus dem Wagen und rannte über die Straße. Sehen konnte er nichts. Er vernahm nur das immer leiser werdende Brummen des Motors in der Dunkelheit.
„Verdammter Mist! Er hat mich wohl doch bemerkt“, schimpfte er, als er zu seinem Auto zurückging. Jetzt kam die unangenehmste Aufgabe – er musste seinen Chef über den Fehlschlag informieren.
„Was?“, brüllte Nardi in den Hörer. „Komm sofort zu mir. Ich will einen detaillierten Bericht!“
Das Gespräch war beendet. Bossi schluckte. So wütend hatte er seinen Chef noch nie erlebt. Oder doch, vor ein paar Wochen, als er den Koch entlassen hatte.
***
Nardis Villa war hell erleuchtet als Bossi vorfuhr. Die Tür sprang auf, noch bevor er den Klingelknopf drücken konnte.
Am Eingang empfing ihn sein Chef mit wütendem Gesichtsausdruck und zog ihn in sein Arbeitszimmer. Dort drückte er ihn in einen Sessel. Er selbst wanderte nervös rauchend auf und ab.
„Was ist schiefgelaufen?“
„Das war schon alles sehr seltsam, Chef“, begann Bossi seinen Bericht.
„Wie meinst du das?“, fiel ihm Nardi ins Wort.
„Nachdem Sie weggefahren sind, passierte zwanzig Minuten lang gar nichts. Es kam niemand vorbei, kein Auto, nichts. Dann sah ich plötzlich Lichter weiter hinten hinter den Bäumen. Der Erpresser musste also schon dort gewesen sein, bevor ich kam. Die Lichter bewegten sich ungewöhnlich hin und her. Ein Auto konnte das nicht sein. Dann kamen die Scheinwerfer aus dem Weg heraus und bogen in Richtung Duna Verde ab. Ich bin sofort hinterher. Ohne Licht, versteht sich. Als ich ein Stück aufgeholt hatte sah ich, dass es zwei Enduros waren. Vorne am Kreisel haben sie sich dann getrennt. Einer fuhr in Richtung Porto Santa Margherita und der andere Richtung Eraclea Mare. Dem bin ich dann nachgefahren bis zur Straße nach Jesolo. Dort blieb er kurz stehen, dann gab er Gas, sprang über den Straßengraben und verschwand über die Felder. Da konnte ich natürlich mit dem Wagen nicht hinterher.“
„Schon gut, Gustavo. Ich mache dir keinen Vorwurf. Du konntest nichts dafür. Ich habe die Situation unterschätzt.“
„Also ich habe das Gefühl, dass da mehr dahintersteckt.“
„Wie meinst du das?“
„Na ja, die Erpressung selbst sah ziemlich amateurhaft aus, aber die Durchführung hatte schon etwas Professionelles. Ich meine die Nummer mit den Enduros. Das war schon durchdacht. Wir sollten mal Ihre Türsteher in Lido di Jesolo fragen. Die haben doch alle solche Maschinen.“
„Du meinst …“
„Nein, nein Chef. Die