Der Venezianische Löwe. Volker Jochim
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Читать онлайн книгу Der Venezianische Löwe - Volker Jochim страница 5
Nachdem Bossi das Haus verlassen hatte, blieb ein nachdenklicher Marco Nardi in seinem Arbeitszimmer zurück.
„Was ist los? Ist was schiefgelaufen?“
Nardi erschrak, als Lydia plötzlich in der Tür auftauchte.
„Das kann man sagen. Es waren zwei. Auf Motorrädern. Sie haben Gustavo abgehängt. Das Geld ist weg.“
„War ja zum Glück nicht so viel“, meinte Lydia. Sie hatte den Kopf wieder seitlich auf die Schultern gelegt und ihr undefinierbares Lächeln aufgesetzt.
„Na also …“
„Ich meine, es hätte schlimmer kommen können und die Hunderttausend machen dich nicht arm caro, oder?“
Damit schwebte sie wieder hinaus und Nardi wünschte sich einmal mehr zu wissen, was in ihrem Kopf vorging.
4
Giovanni Toso hatte an diesem Sonntag Frühdienst. Seit über zehn Jahren arbeitete er schon als Techniker im Wasserwerk. Der Job machte ihm Spaß, obwohl er keine großen Anforderungen an ihn stellte. Es war eben nur ein kleines, provinzielles Werk. Aber er hatte ein relativ gutes Einkommen und von seinem Haus in Caorle waren es nur ein paar Minuten.
Leise schlich er aus dem Schlafzimmer. Er wollte seine Frau nicht aufwecken. Sie arbeitete in einem Supermarkt und hatte am Samstag Spätdienst. Sie brauchte den Schlaf.
In der Küche öffnete er das Fenster, klappte den Laden auf und sog tief die kühle Morgenluft ein. Es war neblig. Die ersten Vorboten des Herbstes. Fröstelnd schloss er das Fenster, füllte Caffè und Wasser in die Caffettiera und stellte sie mit kleinster Flamme auf den Herd. Bis der Caffè fertig war, konnte er eine schnelle Dusche nehmen.
Ein paar Minuten später saß er in der Küche, rauchte eine Zigarette, sah aus dem Fenster und dachte über sein Leben nach. Eigentlich lief ja alles in geordneten Bahnen. Er hatte einen guten Job, ein hübsches Häuschen, eine Frau, die er liebte und einen kleinen Sohn, den er vergötterte. Andererseits, dachte er, war sein Leben doch ziemlich ereignislos. Aber was sollte hier schon Aufregendes passieren? Da hatte es im Frühsommer diese Mordserie gegeben, welche die Stadt erschütterte und er hoffte, dass so etwas nie wieder vorkommen möge, aber daran nahm er auch nur über die Zeitungsberichte teil. Er selbst, in persona Giovanni Toso, erlebte nie etwas Aufregendes.
Er sah auf die Uhr. Es war höchste Zeit zu gehen. Vorsichtig schlich er noch ins Schlafzimmer und hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Stirn, darauf bedacht sie nicht aufzuwecken. Dann sah er noch kurz im Kinderzimmer nach seinem Sohn, der friedlich schlafend in seinem Bettchen lag, und verließ das Haus.
Sonntags morgens um diese Zeit wirkte die ganze Stadt noch wie ausgestorben. Die Straßen waren menschenleer. Der Bodennebel hielt die Felder mit einem weißen Tuch bedeckt. Erst hinter Porto Santa Margherita begegnete Toso einigen älteren Männern, die mit ihren Motorrollern in der Morgendämmerung auf dem Weg zu ihren Angelplätzen waren. Nachdem er das kleine Örtchen Brian passiert hatte, konnte er in der Ferne schon die Baumgruppe ausmachen, hinter der das Wasserwerk lag.
Er reduzierte die Geschwindigkeit und bog langsam in den Schotterweg ein. Hier war der Nebel noch dichter, sodass sich das Licht der Scheinwerfer darin verlor. Plötzlich trat er auf die Bremse. Irgendetwas hatte er in dieser Suppe gesehen, konnte aber nicht mit Bestimmtheit sagen was es war. Langsam rollte er zurück, doch er konnte nichts ausmachen. Er nahm den Gang heraus, zog die Handbremse an und wollte aussteigen. Dabei schlug die Wagentüre gegen etwas Metallisches. Er ließ den Wagen noch etwas weiter zurückrollen und stieg aus.
Der Gegenstand, den er im Scheinwerferlicht gesehen hatte, stellte sich als Fahrrad heraus. Das Vorderrad war ziemlich verbogen. Wahrscheinlich war der Fahrer gegen den dicken Ast geprallt der dort lag und hatte dann das Rad einfach liegen lassen. Toso drehte sich um und wollte zu seinem Auto zurück. Als sein Blick die Betonrinne streifte, die parallel zum Weg verlief, stockte ihm der Atem. In der Rinne lag ein verkrümmter Körper. Ein lebloser Körper wie es den Anschein hatte.
„Scheiße, wieso muss das jetzt ausgerechnet mir passieren?“
Aber hatte er nicht vor gerade einmal einer halben Stunde darüber sinniert, dass ihm auch einmal etwas Aufregendes widerfahren könne? Aber doch nicht so etwas. So war das nicht gemeint. Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während er überlegte, was nun zu tun sei.
„Die Polizei. Ich muss die Polizei anrufen.“
Er ging zur Straße zurück, während er sein Handy aus der Tasche zog.
„Polizia?“
„Sì, hier ist die Caserma der Carabinieri in Caorle. Was wünschen Sie?“
„Kommen Sie schnell. Ich glaube hier liegt ein Toter. Ich bin hier am Wasserwerk bei Brian.“
„Sind Sie sicher?“
„Sicher was?“
„Sind Sie sicher, dass er tot ist? Woher wissen Sie überhaupt, dass es sich um einen Mann handelt?“
„Ich weiß es ja nicht.“
„Was wissen Sie nicht? Dass es sich um einen Mann handelt?“
„Nein, dass er tot ist. Er sieht zumindest so aus.“
„Ah, und warum rufen Sie dann Sonntags um diese Uhrzeit an, wenn Sie nichts wissen?“
Toso platzte langsam der Kragen.
„Verdammt nochmal. Schicken Sie endlich jemanden hierher und auch einen Arzt.“
„Also nicht in diesem Ton. Sie haben wohl getrunken. Ich werde …“
„Soll ich die Polizia di Stato anrufen? Vielleicht nehmen die Ihren Job etwas ernster als Sie?“
Es entstand eine kurze Pause. Der Mann in der Telefonzentrale überlegte wahrscheinlich gerade welche Konsequenzen es hätte, wenn sich der Anruf als wahr erweisen würde. Das wäre bestimmt nicht sonderlich gut für ihn.
„Na gut“, meinte er gönnerhaft, „ich hoffe für Sie, dass es kein Scherz ist.“
Toso gab den genauen Fundort durch. Dann ging er zu seinem Wagen und schaltete den Motor aus. Jetzt konnte er nur noch warten. Er blieb vorne an der Straße stehen, da ihm die Nähe dieses leblosen Körpers zu unheimlich war.
Etwa fünfzehn Minuten später, für Toso eine gefühlte Ewigkeit, konnte er von weitem die Sirenen hören und kurz darauf sah er durch den sich auflösenden Nebel die Blaulichter auftauchen.
Die beiden Einsatzfahrzeuge kamen mit quietschenden Reifen zum Stehen und wirbelten dabei mächtig Staub auf.
„Wie oft soll ich euch noch sagen, dass ihr euch vorsichtig einem potenziellen Tatort oder Unfallort nähern sollt und nicht in dieser Hollywoodmanier!“, brüllte Brigadiere Ghetti seinen Fahrer an. Ghetti war als Brigadiere Capo seinen jungen Kollegen weisungsbefugt. Er stieg aus und rief seine Leute zurück, die schon übereifrig den Schotterweg hinauf stürmen wollten.
Ghetti ging zu Toso und ließ sich alles genau berichten. Zwischenzeitlich kam noch ein Wagen mit den