Münchner Gsindl. Martin Arz
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Читать онлайн книгу Münchner Gsindl - Martin Arz страница 8
»Nimm halt einen Stock«, sagte Marlies trocken.
»Damit ich wie eine alte Frau aussehe?« Lizzy lachte hustend. »Aber du bist ja fesch heute. Alle Achtung.« Lizzy verbarg die Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille. Sie gehörte zu den Frauen, die irgendwann die Kontrolle über ihren Botox- und Hyaluronsäurekonsum verloren hatten und nun mit grotesk aufgedunsenen Wangen und aufgeblähten Lippen herumliefen. Wobei sie sich einbildeten, wie Anfang vierzig auszusehen, statt, wie in Lizzys Fall, wie eine kaputtoperierte Siebenundsiebzigjährige mit rabenschwarz gefärbtem Haar. Nur Hüften und Knie, die konnte sie nicht mal schnell beim Beautydoc verjüngen lassen. »Und das Wischkasterl da, ist das neu?«
Stolz hob Marlies das Smartphone hoch und hielt es affektiert mit beiden Händen neben das Gesicht, als würde sie es in einem Shoppingkanal zum Verkauf anbieten. »Ja, hat mir mein Sohn heute geschenkt.«
»Oh, hast du Geburtstag? Hab ich den vergessen?« Lizzy fuhr sich erschrocken mit der freien Hand über den Mund.
»Nein, nein. Just for fun. Mein Sohn hat mir das einfach so geschenkt. Ich hatte ja bisher dieses uralte mobile phone, dieses Nokia, mit dem man nichts machen konnte außer phonen. Jetzt bin ich ganz up to date.« Verschwörerisch leise fügte sie hinzu: »Zwölfhundert Euro. Crazy, oder?«
»Öha. Habt ihr beide euch wieder zusammengerauft? Ich dachte, ihr redet nicht mehr miteinander.«
»Ach, was du immer denkst.«
»Die Fritzi hat das auch gesagt.«
»Die Fritzi … die Fritzi! Was weiß die alte Ratschkathl denn schon. Mei, mein Sohn hat halt endlich verstanden, dass er nur eine Mutter hat und dass man die auch mal verwöhnen kann. Just like that.«
»Genug Geld hat er ja, dein Bub.« Lizzy richtete sich auf. »So, ich muss dann, Marlies. Wir sehen uns ja bestimmt in Zukunft öfter, wenn dein Sohn jetzt so großzügig ist.«
»What? Was meinst denn du?«, fragte Marlies pikiert.
»Weißt schon, Marlies. Musst nicht mehr so auf den Pfennig schauen, gell.« Geheucheltes Mitleid triefte aus den Worten. »Kannst dir dann öfter mal einen Cappuccino beim Toni leisten. Oder mal wieder vorne an der Leopoldstraße.« Die Lizzy winkte noch und humpelte dann so elegant, wie sie konnte, die Straße hinauf zur Tramhaltestelle. Das indisch anmutende Kleid und unzählige Tücher umflatterten ihren mageren Körper.
Die gute Laune war verflogen. Fuck you, Lizzy! »Ja, ich weiß schon«, zischte Marlies leise. Natürlich wusste sie es, sie hatte es ja erlitten. Nur hatte sie gedacht, dass sie es all die Jahre gut hatte verstecken können. Sie hatte es doch immer perfekt überspielt, dachte sie. Die Tatsache, dass sie arm war. Schlicht und einfach richtig arm. Sauarm in der reichen Stadt. Dass sie mit ihren Freundinnen nicht einmal ansatzweise mithalten konnte mit ihrer Mindestrente, aufgestockt mit Hartz IV. Als klassische Schwabinger Bohemienne kleidete sie sich entsprechend. Dass sie also die meisten Sachen vom Flohmarkt oder gar von der Kleiderspende hatte, dürfte nicht weiter auffallen. Das ging als exzentrisch durch. Und sie achtete darauf, immer sauber zu sein. Das Geld für den Waschsalon sparte sie ebenso eisern zusammen wie für den öffentlichen Cappuccino. Die kleine Einzimmerwohnung am Hohenzollernplatz gehörte ihrem Sohn, er ließ sie darin wohnen – gnadenhalber für eine beinahe ortsübliche Miete! So ging man nicht mit seiner Mutter um. Immerhin hatte sie in Schwabing bleiben können und musste nicht in eine städtische Unterkunft für Wohnsitzlose ins Hasenbergl ziehen. In ihrem Schwabing. Ihrem Kosmos. Sie war vor Urzeiten im Alter von neunzehn Jahren mal von einer großen Boulevardzeitung zum »Schwabinchen des Jahres« gekürt worden. Hübsch war sie gewesen mit straffen Brüsten, die sie am Eisbach öffentlich zur Schau stellte wie viele ihrer Freundinnen damals, das war normal. Und umschwärmt war sie. Doch seit sie das viele Geld nach der Scheidung durchgebracht hatte, war sie bis jetzt auf Almosen ihres undankbaren Sohns und seiner unerträglichen Frau angewiesen. Bisher! Nun nicht mehr. Sie würde sich nicht mehr jeden Cent vom Mund absparen müssen, um sich ein Mal die Woche demonstrativ ins Café zu setzen und einen völlig überteuerten Cappuccino mit Sahne zu trinken. Den öffentlichen Cappuccino, bei schönem Wetter bevorzugt draußen auf der Terrasse, damit möglichst viele der alten Bekannten sehen konnten, dass sie immer noch zu Schwabing gehörte, ein flottes Tuch um den Kopf gebunden und immer eine Blüte hinterm Ohr. Schon auf dem Foto damals als ›Schwabinchen des Jahres‹ hatte sie eine Blüte hinterm Ohr getragen. All die Entbehrungen, um zu demonstrieren, dass sie immer noch ein, wenn auch in die Jahre gekommenes Schwabinchen war. Wenn Lizzy das mit dem Cappuccino schon wusste, dann wussten es bestimmt auch viele andere. Egal, dachte sich Marlies, von heute an wird alles anders. Ich kann jeden Tag in jedem Café so viel Kaffee trinken, wie ich will!
Und sie würde sich wieder die guten Haarprodukte leisten können, nicht dieses Billigzeug vom Flohmarkt am Olympiagelände, diese Blondierungen, die irgendwo in Rumänien vom Laster gefallen waren und die ihr Haar strohig machten.
Marlies Förster, sechsundsiebzig Jahre alt, wähnte sich wieder obenauf. Weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war und die richtige Person kennengelernt hatte. Oder, so würde es ihr Sohn sehen, zur falschen Zeit am falschen Ort mit der falschen Person.
5
Die Förster-Villa im vornehmen Stadtteil Harlaching im Münchner Südosten beeindruckte weniger durch ihre Größe als durch ihre Optik. Ein eckiger Architektentraum aus viel Sichtbeton und Glas, eine Mischung aus Bauhaus und Brutalismus stand zwischen den alten Villen aus der Jahrhundertwende, als Harlaching noch eine Gartenstadt war. Immerhin gab es hier noch ein paar wenige alte Villen inmitten großer Parks. Ringsum in den Straßen waren die meisten Einzelhäuser längst abgerissen und durch großzügige moderne Wohnanlagen ersetzt worden. In den letzten Jahren gab man sich da sogar wieder Mühe mit der Architektur, Schandflecke der Sechziger- und Siebzigerjahre gab es zur Genüge. Bei der Förster-Villa flankierten zur Straße hin zwei riesige Betonkuben mit bonsaiartig verkrüppelten Kiefern den natursteingepflasterten Weg zur Haustür. Die Kübel reichten einem durchschnittlich großen Mann bis zur Hüfte. Neben dem Haus befand sich eine Doppelgarage. Vor dem Haus parkten beinahe gleichzeitig zwei große Audis ein.
»Giselle!«, rief Tilda Fittkau, während sie schwungvoll ihre Fahrertür aufstieß. »Das nenne ich Timing. Kommen wir gleichzeitig an.« Tilda Fittkau, Agentin der Krimiqueen Susa Förster, sprang aus dem Wagen und drückte Giselle von Dettmann (geborene Gisela Katschinski) links und rechts ein Bussi auf die Wange. Die Gesellschaftsreporterin der Münchner Nachrichten roch dabei den Mix aus Zigaretten und Alkohol in Tildas Atem und zog die Nase kraus.
»Susa ist schon ganz aufgeregt«, plapperte die Agentin. »Dass ihr endlich mal eine große Homestory macht mit ihr. Nicht nur ein bisserl Namedropping in deiner bezaubernden Rubrik ›Monaco-Giselle‹, die ich jeden Tag verschlinge, Darling. Sondern eine exklusive Homestory. Wann kommt der Fotograf? Ach, egal, wir haben uns den ganzen Tag für dich freigeschaufelt. Du darfst sie alles fragen.« Die beiden Frauen schlenderten zur Eingangstür. Noch bevor sie dort ankamen, wurde die Tür geöffnet und Susa Förster strahlte ihren Gästen entgegen.
»Giselle! Wie schön, dass Sie Zeit für mich haben!«
»Nein, Susa, schön, dass Sie Zeit für mich haben!«
Einige Begrüßungsfloskeln und mehrere gezierte Bussis später führte Susa Förster ihre Gäste in den Salon, von dem aus man in den großen Garten blicken konnte. Susa winkte kurz dem Gärtner zu, der gerade zufällig hochsah und zurückwinkte. Der Mann packte eben seine Geräte zusammen.
»Oh, Sie haben einen Gärtner?«, fragte Giselle von Dettmann.
»Sicher.