Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier. Immanuel Birmelin

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Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier - Immanuel Birmelin

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das Lebewesen während der sensiblen Phase keine entsprechende Lernmöglichkeit, kommt es zu Entwicklungsstörungen.

      5 Seit mehr als 35 Millionen Jahren war Sicherheit für ein Primatenbaby gleichbedeutend damit, Tag und Nacht ganz nah bei seiner wärmenden, schützenden und nährenden Mutter zu bleiben und sie schnell von anderen unterscheiden zu können. Trennung erzeugt Angst. Wenn es die Verbindung verlor, war das Baby so gut wie tot. (Quellennachweis, Blaffer-Hrdy, >).

      6 Das Hormon Oxytocin bewirkt die Kontraktion des Uterus und den Milchfluss in den Brustwarzen. Oxytocin gilt aber auch als »Universalkleber«, der gleichermaßen Eltern an ihre Kinder bindet und Paare zusammenschweißt. Grundlage dieser Schweißnaht ist das Vertrauen in den anderen. Signalisiert ein Fremder uns gegenüber friedliche Absichten, verstärkt es unsere Neigung, ihm zu vertrauen. Unser Gehirn reagiert auf die freundlichen Signale, indem es Oxytocin produziert. Aber auch unsere Verwandtschaft vom Schimpansen bis zur Maus reagiert mit einem Anstieg von Oxytocin im Blut.

      7 Oxytocin spielt sowohl bei der Tier-Tier-Bindung als auch bei der Mensch-Tier-Bindung eine ganz entscheidende Rolle. Forscher ließen 30 Herrchen und Frauchen eine halbe Stunde mit ihren vierbeinigen Freunden spielen und schmusen. Eine Gruppe von Hundehaltern sollte möglichst intensive Blickkontakte mit ihren Tieren halten. Vorher und nachher maßen die Forscher den Oxytocingehalt in Urinproben von Mensch und Hund. Die Auswertung der Proben war überraschend: Bei den Menschen und Hundepaaren, die sich am längsten in die Augen sahen, wurde ein deutlich erhöhter Oxytocin-Spiegel gemessen.

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      Im Konferenzraum der Tiere

      Immanuel beendet das Thema Beziehung und Bindung. Sein Resümee ist kurz und knapp: »Wir haben gesehen, dass Tiere ebenso Bindungen untereinander als auch zu Menschen eingehen können. Diese Bindungen werden von Gefühlen begleitet. Das Hormon Oxytocin wirkt im tierischen Körper ähnlich wie bei uns Menschen.«

      Jetzt meldet sich Schwein Edeltraut zu Wort: »Warum glaubt ihr Menschen, dass ihr etwas Besonderes seid im Vergleich zu uns Tieren? Auch ihr seid Kinder der Evolution und müsst euch an die Bedingungen des Lebens anpassen. Jede Tierart sucht sich ihre Nische, in der sie überleben kann. Einige von uns haben den Luftraum erobert, wieder andere das Meer, die Seen und Flüsse. Und bei euch hat sich ein sehr leistungsfähiges Gehirn herausgebildet. Das ist toll, aber nichts Besonderes.

      Deine Vorfahren hatten ein kleineres Gehirn und einen etwas anderen Körperbau, so wie früher Hirsche ein größeres Geweih hatten. Wir alle auf diesem Planeten verändern uns, weil es nichts Konstantes im Leben gibt. Ich glaube, das ist ein Naturgesetz – so wie die Erde um die Sonne kreist und der Mond um die Erde. Wir sind eingebunden in diesen Lebensstrom, ohne uns könnt ihr nicht überleben und wir nicht ohne euch. Auch die Menschen können etwas von den Tieren lernen. Und schaut uns doch genauer an: Wir alle haben Beine und Arme oder umgestaltete Gliedmaßen, ihr tragt Kleider, wir haben ein Fell, Federn oder eine glatte Haut, aber das sind doch nur geringe Unterschiede. Wo sind eure Wurzeln zu finden?«

      Woher wir kommen, wohin wir gehen

      Wie so oft auf dem Weg in die Serengeti, machen wir einen Abstecher in die Olduvai-Schlucht. Sie gilt – gemeinsam mit anderen Orten in Afrika – als Wiege der Menschheit. An der Abzweigung dorthin saß am Wegesrand ein junger, vermutlich sehr hungriger Massai-Mann mit einem langen Speer in der Hand. Wir hatten Mitleid mit ihm, aber das war nicht das Besondere. Sein weiß bemaltes Gesicht erweckte unsere Neugier und erzeugte unterschwellig Furcht. Wir verstanden diese Welt nicht: Was macht ein solch bemalter Jüngling bloß allein in der Wildnis? Das Geheimnis lüftete unser Fahrer. Es gehört zum Brauch der Massai, dass ein junger, beschnittener Mann alleine mit einem Speer einen Löwen tötet. Er muss die Mutprobe bestehen, wenn er geachtet in seinem Stamm leben möchte.

      Auf den Spuren der Menschheit

      Dieser junge Massai öffnete uns ein wenig die Augen. Er demonstrierte uns die Vergangenheit. Von Minute an waren wir in einer anderen Zeit, und dieser Eindruck sollte sich noch verstärken, als wir schliießlich an unserem Ziel angekommen waren.

      Wir tauchen in eine Zeit ein, als die Menschen begannen, auf zwei Beinen zu laufen. Wir betreten den Ort, an dem Mary und Louis Leaky Ausgrabungen durchführten. Ihnen zu Ehren wurde ein kleines Museum gebaut. In den Vitrinen sieht man Skelette von Tieren längst vergangener Zeit. Man sieht Vorfahren von Tieren, die heute in der Serengeti leben. Mary und Louis machten so bedeutende Fossilfunde, dass sie die archäologischen Erkenntnisse revolutionierten. Die Olduvai-Schlucht wurde durch sie weltberühmt. Selbst Hillary Clinton hat mit ihrer Tochter diesen Ort aufgesucht.

      In der Schlucht fand man Knochen von drei Menschenarten. Sie lebten vor mehr als zwei Millionen Jahren. Der Hartnäckigkeit und dem Durchhaltevermögen von Mary Leaky verdankt die Menschheit, dass sie drei ihrer Vorfahren kennenlernte. Es waren die ersten Menschen, die sich zwar in ihrem Aussehen unterscheiden, aber eindeutig Menschen waren. Ihre Gehirne waren deutlich kleiner als die des heutigen Menschen, aber größer als die von Schimpansen.

      Meine Frau und ich kamen ins Grübeln und fragten uns, warum sie gerade in diesen relativ trockenen Savannen-Landschaften Skelette von Frühmenschen gefunden hatten. Es ist kein Ort, an dem sich Affen gerne aufhalten. Außer kleinen Paviangruppen sahen wir keine Affen, geschweige denn Schimpansen, unsere nächsten Verwandten. Wir haben unsere haarigen Vettern in Uganda im Kibale-Wald beobachtet. In diesem Dschungel klettern die Tiere schreiend und tobend von Baum zu Baum, laben sich an Früchten und streiten sich. Noch nie haben wir so streitsüchtige Tiere gesehen wie die Schimpansen. Sie erinnern stark an die menschliche Gesellschaft.

      Zurück zu unserer Frage: Was hat den Vormenschen hierher gelockt? Ein Blick auf den Wetterbericht vor Tausenden von Jahren gibt die Antwort. Hier herrschten damals völlig andere Klimabedingungen.

      Die Olduvai-Schlucht gab es noch gar nicht, statt ihrer war hier ein See voll von Flusspferden, Flamingos und Elefanten, die sich am Uferrand suhlten. Und die Menschen bauten sich Steinwerkzeuge, um die wilden Tiere zu jagen. Ohne diese Steinwaffen hätten sie keine Chance gehabt zu überleben. Sie mussten sich gegen Löwen und Hyänen verteidigen. So wie der junge Massai-Mann heute, den wir einsam in der Savanne sitzen sahen – nur besitzt dieser eine bessere Technik.

      Mehrere Vulkanausbrüche, zum Beispiel der Ngorongoro-Krater, veränderten das Leben von heute auf morgen. Und begruben Mensch und Landschaft unter sich. Wie das Leben ausgesehen haben mag, verrät der Ngorongoro-Krater. Man kann heute mit dem Jeep in den Krater hinunterfahren. Und das Paradies öffnet seine Tore.

      Ein sensationeller Fund

      Mary Leakey war ihrer Wissenschaft gänzlich verfallen. Bis ins hohe Alter leitete und führte sie Ausgrabungen durch. Ungefähr 40 Kilometer von der Olduvai-Schlucht machten sie und ihre Mitarbeiter eine sensationelle Entdeckung. Sie fanden die Fußspuren der ersten auf zwei Beinen gehenden affenähnlichen Menschen. Die Spuren gehörten dem Vormenschen Australopithecus afarensis.

      Vermutlich einen Artgenossen dieser Zweibeiner fanden Paläontologen 1974 einige Hundert Kilometer nördlich von hier in Äthiopien. Die Wissenschaftler gaben dem Skelett den Namen Lucy – nach einem Beatles-Song, den sie am Abend im Zelt anhörten: »Lucy in the Sky with Diamonds«. Lucy war recht klein. Sie maß nur wenig mehr als einen Meter – und hatte ein Gehirn, das nicht viel größer war als das der heutigen Menschenaffen.

      Die Fossilien gehören nach Meinung vieler Forscher mit 3,1 Millionen Jahren zu den ältesten und vollständigsten Überresten menschlicher Vorfahren.

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