Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier. Immanuel Birmelin

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Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier - Immanuel Birmelin

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Auge lief aus, und Mini erblindete auf dem Auge. Ihre Raumwahrnehmung war gestört, und das bedeutete, dass sie kaum noch fliegen konnte. Trotzdem ließ ich sie in der Voliere, weil Wellensittiche den Artgenossen brauchen. Die ersten Tage beobachtete ich die bunte Schar sorgfältig, um frühzeitig zu erkennen, ob irgendwelche anbahnenden Streitigkeiten aufloderten. Und glücklicherweise blieb alles friedlich. Aber das ist nicht immer so.

      Mit behinderten Artgenossen können Wellensittiche grausam umspringen. Ich habe nämlich schon erlebt, wie ein Vogel mit einer genetischen Schnabelverkürzung fast zu Tode gejagt wurde. Ich musste ihn schließlich schweren Herzens aus der Voliere nehmen. Mini flatterte nur noch von Ast zu Ast und war deutlich behindert. Nach ein paar Tagen war sie dann aber in der Lage, Schlaf- und Fressplätze ohne einen Flügelschlag aufzusuchen. Ich war beruhigt, und so sollte es den ganzen Sommer über bleiben.

      Wellensittichdame Mini findet einen Partner

      Wie jedes Jahr im Herbst kommen meine Wellensittiche in Brutstimmung. Sie beginnen zu balzen, zu schnäbeln, und sie paaren sich. Spätestens jetzt wird es Zeit, Brutkästen in der Voliere aufzustellen. Die Weibchen kämpfen mit harten Bandagen um die Brutkästen. Die stärksten Weibchen beziehen immer die höchstgelegenen Kästen. Um »Mord und Totschlag« zu vermeiden, biete ich ihnen stets die doppelte Anzahl an Nistkästen an. Bis alle ihre Kästen besetzt haben, ist Vorsicht geboten. Mir war klar: Das ist das Aus für meine einäugige Mini. Weit gefehlt. Mini mischte im Kampf um die Kästen mit. Sie bezog zwar nur den untersten Kasten, dennoch benagte und bearbeitete sie ihn nach allen Regeln der Wellensittich-Kunst. Ein »Haus« hatte sie sich zwar erobert, aber wo bleibt der Mann? Zu meiner Überraschung hatte sie sogar die Wahl unter den vielen Männchen, die sie anbalzten. Obwohl sie selbst ihr ganzes Bauchgefieder verloren hatte. Sie sah wirklich kümmerlich aus, aber das schien die Herren nicht zu stören. Letztendlich entschied sie sich für einen blauen zweijährigen Hahn, mit dem sie häufig zusammensaß und schnäbelte. Beide bekamen drei grüne Wellensittich-Kinder. Es herrschte Frieden in der Voliere.

      Inzwischen haben Verhaltensforscher die Suche nach den Herzenswünschen der Weibchen im Tierreich aufgenommen und stellten fest: Mal ist es der Protein-Geruch, mal sind es die längsten Stielaugen, mal ist es die lauteste Stimme, mal Jagderfolg, mal Mut. Beeindrucken heißt das Rezept, das viele Männchen befolgen. Sie glänzen mit körperlichen Leistungen, Mustern und Farben, um auf sich aufmerksam zu machen. Sich vom Konkurrenten zu unterscheiden, ist das Ziel. Schau, ich bin der Beste, der Schönste, heißt die Devise. Selbst Bluff ist bei der Eroberung der Herzensdame erlaubt.

      Und warum der ganze Aufwand? Weil Weibchen eben das Außergewöhnliche bevorzugen. Weiblicher Geschmack ist der Selektionsdruck, der Aussehen und Auftreten von männlichen Tieren entscheidend bestimmt. Nun wissen wir, warum sich zum Beispiel die Farbenpracht männlicher Käfer, Schmetterlinge und Vögel entwickelt hat. Die Frauen wollen es einfach so ...

      Wer wird der Auserwählte?

      Frauen prüfen ihren Partner auf Herz und Nieren, bevor sie sich emotional und sexuell mit einem Mann einlassen. Darauf kann man aus Versuchen, die amerikanische Wissenschaftler durchführten, schließen. Junge Studentinnen und Studenten wurden aufgefordert, einen jungen Mann oder eine Frau »anzubaggern«. 50 Prozent aller angesprochenen jungen Männer ließen sich zu einem Kaffee einladen. Von diesen wiederum folgten 69 Prozent dem Angebot, mit in die Wohnung der Frau zu kommen, und 75 Prozent dieser Männer wären noch am selben Abend für Sex bereit gewesen. Von den angesprochenen Studentinnen nahmen ebenfalls die Hälfte die Einladung zum Kaffee an, aber nur 6 Prozent davon ließen sich zu einem Hausbesuch überreden, keine indes zum Geschlechtsverkehr.

      Psychologen interessiert aber auch, welche Merkmale des Mannes für eine Frau besonders interessant sind. Wie immer, haben sie dazu Befragungen durchgeführt. Man wollte wissen, welche Rolle die Intelligenz des anderen bei der Verabredung eines Meetings spielt. Mittelmäßig, das war die häufigste Antwort beider Geschlechter. Ging es jedoch um die Aussicht, mit der oder dem anderen Sex zu haben, unterschieden sich die Antworten deutlich: Männer waren bereit, sich auch mit unterdurchschnittlich begabten Partnerinnen zufriedenzugeben. Frauen hingegen bestanden auf überdurchschnittlicher Intelligenz.

      Aber das ist natürlich nicht die ganze Geschichte. Jeder weiß, dass auch das Aussehen bei der Wahl eine wichtige Rolle spielt. Japanische und britische Forscher zeigten jungen Frauen Bilder von kantigen und weichen Männergesichtern. Wichtig ist, die Frauen nahmen keine Verhütungsmittel in der Zeit der Befragung. Welche Gesichter bevorzugten die Frauen? Die Frauen entschieden sich überwiegend für die weichen Gesichter, weil sie die Abgebildeten als jünger, ehrlicher und gefühlvoller hielten. Das war eine Überraschung. Das Bild drehte sich, als die Frauen auf dem Höhepunkt ihrer Empfängnis waren. Dann wählten sie die kantigen, harten Gesichter. Ergebnis vieler Studien: Frauen wählen den gefühlsbetonten Mann für die Partnerschaft und den dominanten, kantigen Mann für das sexuelle Abenteuer.

      Wie kann man sich dieses Wahlverhalten von Homo-sapiens-Frauen erklären? Machen wir einen kurzen Abstecher nach Bern. Hier untersucht Professor Wedekind und sein Team das Riechverhalten von Mäusen und Menschen. Er fragt sich, wie andere Arten die wichtige Entscheidung der Partnerwahl treffen. Die Schweizer Wissenschaftler fanden heraus, dass Mäuse, die durch Inzucht über Generationen nahezu erbgleich gezüchtet wurden, dennoch unterschiedliche Gene haben. Welcher Geruchsstoff im Körper produziert wird, steht in seinen Genen. Sie sind dafür verantwortlich, wie wir riechen und welches Geruchsmolekül entsteht. Am attraktivsten finden Mäuse-Weibchen den Duft des Mäuse-Mannes, der sich von ihren Geruchsgenen am meisten unterscheidet. Wie gesagt, jedes Tier hat eine eigene Duftnote. Mäuse können quasi vom Duft des anderen auf seine Genausstattung schließen. Der Duft ist also der Schlüssel zur Wahl.

      Warum? Diese Wahl verhindert die Inzucht und fördert in der nächsten Generation die Vielfalt des Erbgutes. Dadurch entstehen neue Kombinationen des Erbgutes. Dies wiederum ist ein enormer Vorteil bei der Abwehr von Krankheitserregern. Denn diese können sich nur schlecht ausbreiten, wenn sie immer wieder mit genetisch neu gemischten Individuen und deren entsprechend neu formierten Abwehrmechanismen konfrontiert werden. Einen genetisch unterschiedlichen Partner zu finden, kann somit für Mäuse evolutorisch hilfreich sein.

      Verlassen wir den Mäuseschauplatz und schauen auf uns Menschen.Professor Wedekind und sein Team testeten Frauen, wie sie auf verschwitzte T-Shirts reagieren, die Männer an zwei aufeinanderfolgenden Nächten trugen. Ziel dieser Versuche ist es herauszufinden, ob Frauen einen bestimmten Schweißgeruch bevorzugen und damit auch eine bestimmte Genausstattung. Ein Ergebnis dieser Studie zeigte: Bei der Partnerwahl haben Frauen den richtigen Riecher. An flüchtigen Duftsignalen der Haut, die bei jedem Mann anders gemischt sind, erkennen sie, ob die Chemie stimmt. Sie wählen denjenigen, der sich deutlich von ihren Genen unterscheidet. Vielfalt der Gene heißt die Devise, um gegen Krankheiten gefeit zu sein. Welche erstaunliche Ähnlichkeit mit Mäusen!

       WISSEN KOMPAKT

      Bindung ist ein lebenswichtiges System in der Entwicklung vieler Tierarten und hat in der Evolution einen hohen Anpassungswert erreicht.

      1 Zu einer intakten Bindung eines Lebewesens gehört zum Beispiel das Erleben von Verbundenheit, Nähe, Zärtlichkeit und Schutz.

      2 Harlows Experimente zeigen, dass eine normale Mutter-Kind-Bindung die Voraussetzung für spätere Sozialisierungsprozesse ist. Fehlt die Bindung, sind schwere Entwicklungsstörungen möglich.

      3 Prägung ist ein Lernprozess, der an eine sensible Phase in der Entwicklung eines Individuums gebunden ist. Diese Lernprozesse finden in einer festgelegten oder kritischen Phase statt. Prägung ist nicht reversibel und bleibt zum Teil lebenslänglich stabil. Konrad Lorenz zeigte die stabile Struktur der Bindung mit der Nachlaufprägung bei Entenküken (Abbildung, >).

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