Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod.. Sarah Markowski
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Helena denkt an Manni.
Vielleicht ist es ein Sozialexperiment. Wer opfert sich für die anderen, auch wenn er sie noch nicht einmal eine Woche lang kennt?
Der Gedanke gefällt ihr, denn im Umkehrschluss müsste Manni aufgrund seiner tugendhaften Tat mit der Freiheit belohnt worden sein.
Ich bin dran, denkt Helena, und zum ersten Mal seit einigen Tagen kribbelt es in ihr vor Freude. Jetzt bin ich dran.
Sie holt tief Luft und schließt die Augen.
Was auch immer dort auf mich wartet, es kann nicht schlimmer sein, als ein Leben lang hier drinnen gefangen zu sein. Wenn das der einzige Ausweg ist, dann lasst es mich endlich hinter mich bringen!
Sonntag, 30.06.2019, 21: 07 Uhr
- Oliver -
Olivers Blick haftet auf seinem Handgelenk – oder besser auf der Uhr, die sein Handgelenk ziert. Vor einigen Jahren hat er sie von seinem Papa zum Geburtstag bekommen, ein Erbstück, das schon seinem Vater und Großvater gehörte, und das er seither Tag und Nacht trägt. Das Zifferblatt ist zwar stückweise ausgeblichen und die Zeiger wackeln etwas, doch die Uhr funktioniert tadellos und ist – zumindest in Olivers Besitz – noch nie vor- oder nachgegangen. Er konzentriert sich auf den Sekundenzeiger, blinzelt ununterbrochen.
„Oliver?“
Oliver hat die Rolle des Zeitwächters übernommen, doch er antwortet nicht, da es gleich soweit ist und er schon genug Mühe hat, sich auf die Uhr zu konzentrieren. Multitaskingfähig ist er nicht. Stattdessen hebt er langsam den Zeigefinger. Der Sekundenzeiger springt auf die zwölf, der Minutenzeiger auf die acht.
„Jetzt“ flüstert Oliver, und fast gleichzeitig ertönt das Surren des Aufzuges. „Ich wusste doch, dass auf die Uhr Verlass ist.“
Sonntag, 30.06.2019, 21: 09 Uhr
- Helena -
Habe ich mich überhaupt von den anderen verabschiedet?
Helenas Gedanken klingen in ihrem Kopf so laut, als würde sie schreien. Sie fürchtet sich vor ihrer eigenen Stimme.
Bestimmt habe ich das.
Tatsächlich kann sie sich an nichts mehr erinnern, was geschah, als und bevor sie in den Aufzug stieg. Helena umklammert ihre Beine so fest sie kann, drückt ihren Oberkörper gegen die Oberschenkel und ihren Rücken gegen die kalte Edelstahlwand. Es summt und vibriert. Die Bewegungen des Liftes gehen in ihren Körper über. Der Aufzug fährt langsam, doch es ruckelt gewaltig. Helena zittert. Sie fragt sich, ob er überhaupt für Personen zugelassen ist. Wahrscheinlich nicht, kommt sie zu dem Schluss als ihr Kopf erneut gegen die Decke schlägt, denn sonst wäre der Innenraum sicherlich an die Körpergröße eines ausgewachsenen Menschen angepasst worden. Helena schluckt. Sie schließt die Augen und fängt an zu zählen. Als sie bei dreizehn ankommt, bleibt der Aufzug plötzlich stehen. Sie schaut auf und hält den Atem an. Nichts passiert.
Hallo, flüstert sie in Gedanken, doch sie traut sich nicht, das Wort laut auszusprechen; aus Angst, wer es hinter der Tür zu hören bekommen könnte. Plötzlich ertönt ein Zischen. Ein schmaler Lichtstrahl fällt in den dunklen Raum und wird immer größer. Es fühlt sich an, als würde der Aufzug immer noch vibrieren, doch es ist Helenas Herz, das wie verrückt schlägt. Sie blinzelt.
Tageslicht?
Ihre Augen können in der Helligkeit noch nichts erkennen.
„Ich bin unten“, schreit sie in den Lift hinein; in der Hoffnung, dass es Oliver, Julius und Sabrina zu hören bekommen. Helena sortiert ihre Arme und Beine, bevor sie vorsichtig einen Fuß auf den Boden setzt. Der Ausstieg ist schmal und eng. Helena stößt sich noch einmal den Kopf an, als ihr T-Shirt plötzlich an einem Scharnier hängenbleibt. Sie zerrt daran, bis es sich schließlich löst und zum Glück nur einen schwarzen Streifen davonträgt. Helena blinzelt, mittlerweile haben sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt.
Tageslicht, schreit die Hoffnung in ihr. Sieh nur, da ist das Meer!
Sie schaut sich hastig um und kann ihr Glück kaum fassen.
Wo ist der Ausgang? Vielleicht finde ich ein Telefon.
Ihre Gedanken überschlagen sich. Helenas Blick fällt auf einen kleinen Holztisch, neben dem ein beachtlicher Korbsessel steht. Ihr ist nur die Lehne zugewandt, doch sie ist sich sicher, dass man darin den perfekten Ausblick auf das Meer haben muss. Auf dem Tisch liegt eine Zeitung. Helena schaut auf das Datum: 30. Juni 2019. Sie überlegt, doch kann beim besten Willen nicht einschätzen, wie lange sie schon kein Tageslicht mehr gesehen hat. Helena geht um den Tisch herum und genießt den Blick auf das offene Meer; das Wasser, die Wellen, ein schaukelndes Schiff, Ebbe und Flut. Als Kind der Nordsee fühlt sie sich gleich viel sicherer, zu Hause und geborgen. Helena dreht sich um, ihre Augen bleiben an einem Paar Lederschuhe hängen. Sie stockt mitten in der Bewegung, friert ein und kann sich nicht mehr bewegen. Die Lederschuhe regen sich, der Korbsessel knarzt. Helena schreit aus Leibeskräften. Sie schreit so laut, dass ihr kurzzeitig schwarz vor Augen wird, doch der Besitzer der Lederschuhe lässt sich davon nicht beeindrucken. Obwohl er eine schwarze Skimaske trägt, ist sie sich sicher, dass er lächelt. Er nickt ihr freundlich zu, als wären sie langjährige Freunde.
„Hallo Mia, schön dich zu sehen.“
T E I L
Z W E I
„Andere sind unbrauchbar,
aber du bist geeignet Mia,
du bist geeignet!“
Sonntag, 30.06.2019, 21: 15 Uhr
- Mara -
„Schere, Kleber, Schmucksteine, Federn, Pappe, Tacker“, zähle ich nacheinander auf, was ich in den Wäschekorb räume, der nur wenig vorher kurzerhand zur Fundkiste für Bastelmaterialien umfunktioniert wurde.
„Heftklammern?“
„Moment…“, ich krame noch einmal in den Tiefen des Wäschekorbes herum und will Leonie gerade den Auftrag geben, die Klammern auf die zu besorgen-Liste zu setzen, als mir eine noch original verpackte Schachtel mit einhundert glänzenden Heftklämmerchen in die Hände fällt. „Auch da, wusste ich‘s doch!“
„Also haben wir jetzt alles?“
Leonie betrachtet die fein säuberlich geschriebene und mindestens dreißig Mal durchdachte und ebenso oft überarbeitete Liste und schüttelt seufzend den Kopf.
„Sicherlich nicht, aber mir fällt einfach nicht ein, was noch fehlen könnte.“
„Dann haben wir alles“, beschließe ich, da ich nun wirklich keine Lust mehr habe, noch drei weitere Stunden auf dem Boden herum zu rutschen, und alles für die Kinderferienfreizeit hin und her zu sortieren. „Was morgen fehlt, können wir ja immer noch besorgen und in den nächsten Tagen mitnehmen.“
Damit habe ich ein Machtwort gesprochen, das den anderen beiden auch gefällt. Erleichtert lässt sich Larissa auf mein Bett sinken.
„Also