Gottes Feuer. E.D.M. Völkel
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Eschborn 1992
Zu allem Überdruss hatte die Stadtverwaltung entschieden, die ehemaligen Fuhrparkgebäude mit einem neuen Dach zu versehen und diese an ortsansässige Vereine zu vermieten. Wütend schlug Albert die Zeitung auf den Tisch, das hatte ihnen gerade noch gefehlt, schlimmer konnte es fast nicht mehr werden. Umgehend informierte er Ernst und Rolf-Kaspar über die zusätzlichen Hindernisse.
Sie hatten keine Chance, tagsüber auf die Suche zu gehen, und erschwerend kam der seit neustem ansässige Motorradclub, Lakota MC, hinzu. Jeden Abend waren die Rocker in ihrem Clubhaus und beobachteten misstrauisch das umliegende Gelände.
Endlich nach vielen Nächten der erfolglosen Suche, entdeckten sie im Wurzelballen eines herausgerissenen Baumstumpfes die ersten Münzen. Aufgeregt gruben sie an verschiedenen Stellen die Wände des Erdloches auf. In der herabrieselnden Erde fanden sie weitere Goldstücke. Argwöhnisch belauerten sie sich gegenseitig. Die Morgendämmerung begann über das Gelände zu steigen, als der Spaten auf einen großen, flachen Stein stieß. Diesmal erzeugte dies kein stumpfes Geräusch, sondern ein völlig anderes, hell klingendes. Wie erstarrt, sahen sich alle Beteiligten an. Hatten sie jetzt endlich das eigentliche Versteck der Münzen gefunden? Erneut stieß Albert gezielt mit der Schaufel zu. Es dauerte einige Sekunden, bis die Erkenntnis in den Köpfen ankam und die Gier in ihnen ausbrach. Sie begannen mit bloßen Händen in der Erde zu graben, jeder wollte der Erste sein, die vier händevoll Münzen zu finden. Die Sonne stieg höher, erfasste die Baumwipfel und warf die langen Schatten der Absteckpfosten über das Gelände. Sie mussten sich beeilen, die frühen Spaziergänger mit ihren Hunden würden bald auf der Bildfläche erscheinen.
Endlich hatten sie die versteckten Goldmünzen ausgegraben und Rolf-Kaspar fühlte heimlich mit den Fingerspitzen nach den vorher gefundenen in seiner Jackentasche. Ernst sah den verstohlenen Blick und erinnerte sich sofort an die vorhin aufgespürten Goldstücke. Wie sollte der Fund aufgeteilt werden? Mussten sie des Verräters Anteil tatsächlich seinem Sohn überlassen? All dies entfachte ihre Gier und entfesselte einen heftigen Streit in der Gruppe. Erst das entfernte Bellen eines Hundes brachte sie zur Besinnung. Jetzt nur schnell und überlegt handeln. Rasch kletterten sie aus dem tiefen Loch, Rolf-Kaspar breitete seine Jacke aus und legte die gefundenen teilweise erdverkrusteten Münzen darauf. Albert und Ernst warfen die von ihnen Ausgegrabenen dazu. Volker-Kaspar kniete sich auf den Boden, er konnte es immer noch nicht glauben, vor ihm lag ein kleines Vermögen, das für einige Zeit keine Geldsorgen versprach. Er vernahm nur den dumpfen Schlag des Spatens, sah im Augenwinkel seinen Vater vorwärts in die Grube stürzen und hörte die Knochen brechen. Bestürzt sprang er auf die Beine, mit schreckensweiten Augen sah er die beiden an.
»Du wusstest, das er wegen seines Verrates sterben musste. Denk immer daran, auch Du hast es geschworen, so wie vor 49 Jahren Otto am oberen Rand des Kraters stand und diesen Schwur ablegte, den er nicht mehr halten wollte.«
Seine Gedanken rasten, ›Hatte Albert ihm gerade einen weiteren Mord gestanden? Was zum Teufel war mit den Alten nur los?‹ Sein anfängliches eher geringes Interesse für die Vergangenheit seines Vaters wuchs sprunghaft an. ›Ich muss dringend mehr über die damaligen Zusammenhänge erfahren. So konsequent hatte er bisher noch niemanden erlebt, gab es weitere von dieser Sorte Menschen? Wenn ja, wo fand er sie?‹
Gemeinsam planten sie, das Gold zu verkaufen und sich den Erlös zu teilen, was sich unerfreulicher weise als überaus schwierig herausstellte. Keiner der Beteiligten hatte einen Eigentumsnachweis. In der Szene wurden für Originale astronomische Summen gezahlt, als heikel erwies sich die Herstellung des Kontaktes. In Deutschland war der Verkauf nicht durchführbar, ganz im Gegenteil sogar strafbar, nicht jedoch in benachbarten europäischen Staaten oder gar in Übersee. Die Nachfrage war riesig. Wie sollten sie die tatsächlichen Interessenten von verdeckten Ermittlern unterscheiden und wie konnte man sicherstellen das versprochene Geld zu erhalten und nicht hereingelegt zu werden? Jetzt waren sie zwar in Besitz eines Goldschatzes, doch der schnelle Reichtum wollte sich nicht einstellen. Ihre Rechnung ging nicht auf. So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Man war im Grunde genommen reich, konnte theoretisch und in Gedanken viel Geld ausgeben, aber jetzt bröckelten ihre Träume und begannen sich in Nichts aufzulösen.
Nur wenige Straßen weiter verfolgte Peter Schröder die Berichterstattung zu den Plänen der Stadt, wie das neue Gewerbegebiet aufgeteilt werden sollte. Kaum waren die amerikanischen Truppen abgezogen, durchstreiften bereits die ersten Neugierigen das Gelände. Alte Geschichten von Naziverstecken breiteten sich rasend schnell aus und die Zahl der Sondengänger wuchs täglich. Einen alten Trottel hatte es schon erwischt. Er war mit seinen 72 Jahren auf Schatzsuche gegangen und in eines der Wurzellöcher gestürzt. Peter schüttelte den Kopf, und las weiter, Rolf Kaspar M. lebte noch einige Stunden, bevor er qualvoll in dem Erdloch starb. Ein rechtzeitig herbeigerufener Notarzt hätte ihn retten können.
›Wenn die Bauarbeiten so rasch weitergehen, graben sie auch Paul Wenzel aus‹, in Gedanken sah er die groß aufgemachte Schlagzeile und schlagartig kamen die Erinnerungen zurück, welche er jahrelang erfolgreich unterdrückt hatte. Die Vergangenheit erwachte zu neuem Leben, unbewusst legte er seine Handflächen auf die Ohren und schloss ganz fest die Augen. Er hörte das Angriffssignal, kurz darauf das Dröhnen der Flugzeuge und das Pfeifen der abgeworfenen Bomben, bevor sie detonierten. Laut stöhnend sprang er auf, »Ich will das nicht noch einmal erleben«, drangen klagend die Worte aus seiner Kehle, »Wieso war ich so begierig Vaters Geheimnis zu erfahren?«
Die langen Jahre des Wartens hatten die Gier und das Verlangen, Vaters Versteck auszugraben in sich zusammenfallen lassen. Im Grunde genommen hatte er keine großen Ambitionen mehr mit Schaufel und Hacke auf ›Schatzsuche‹ zu gehen, zumal sich das Gelände extrem verändert hatte und seit neustem ein Motorradclub im ehemaligen Fuhrparkgebäude ansässig war. Wie sollte er ihnen gegenüber seine Grabungen erklären? Würden sie nicht selbst Anspruch auf den versteckten Inhalt erheben? Sollte er die Presse informieren und einen Strom der Schatzsucher auslösen, die mit Sicherheit in Scharen auftauchten?
›Nein‹, entschied er, ›Ich habe alles zum Leben, was ich brauche. Es ist verflucht! Die Phiolen und das Gold, mit so vielen Menschenleben bezahlt. Mein Sohn Andreas, ich gebe das Geheimnis an ihn weiter, soll er entscheiden, ob es für ihn wichtig ist.‹
Juni 2017
Die Kameradschaft
Moritz durfte seit einigen Wochen auf die ambulanten Rehabilitationsmaßnahmen zurückgreifen, rigoros hatte er die weitere stationäre Unterbringung abgelehnt. Die noch kalten Nachttemperaturen und kühlen Morgenstunden verursachten ihm große Schmerzen, doch er bestand darauf, mit dem Bus nach Bad Homburg zu fahren. Starrköpfig blieb er dabei, »Viel zu lange musste ich im Krankenhaus bleiben, ich will endlich raus. Keinen Tag mehr halte ich das aus.«
Sein Gemütszustand schwankte wie ein Jojo zwischen Euphorie und Frustration hin und her. Ebenfalls den Entschluss das Buch zu schreiben verwarf er mehrfach, zerriss die Notizen nur um sie am nächsten Tag mit Klebeband wieder aneinanderzufügen. Die Freunde aus der Redaktion, Chris und Tom, kamen regelmäßig, versuchten ihm die neue Lebenssituation zu erleichtern und boten ihre Unterstützung an. Moritz musste eine wichtige Entscheidung zu seiner beruflichen Zukunft treffen, was sich als echte Herausforderung erwies. Die Versuche, am vorherigen Leben anzuknüpfen, scheiterten kläglich. Er konnte und wollte die neue Situation so nicht akzeptieren. Die vergangenen Monate hatten ihn doch stärker verändert, als er sich einzugestehen bereit war. Mit den wärmer werdenden Tagen kam ein umgänglicher Moritz zum Vorschein, die Schmerzen verflogen teilweise und seine üble Launenhaftigkeit schwand zusehends. Eva freute sich über Moritz Wunsch, wieder ein Auto zu kaufen, sein Altes war, durch den Unfall, nur noch ein Klumpen Schrott.
Fleißig lernte sie die alte deutsche Sütterlin Schrift und vermochte von einer