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       ›Frau Schling hat mir den Namen Otto Freckel genannt, mal sehen, ob ich ihn im Stadtarchiv finde.‹

      Nach vielen Stunden, die sie in den Urkundensammlungen und Geburtsanzeigen aus den Jahren 1900 bis 1930 verbrachte, wurde Eva endlich fündig. Freckel war nicht sehr verbreitet und mit dem letzten Namensträger Otto Freckel ausgestorben. Doch seine Schwester Claudia, verheiratete Köhler, hatte Kinder, die noch in Eschborn ansässig waren und einen der Höfe bewirtschafteten. Mit neuer Bestätigung auf dem richtigen Weg zu sein, nahm Eva Kontakt mit der Familie Köhler auf. Als Begründung schob sie zum wiederholten Male die Arbeit an einer Dokumentation vor, bei der sie, während ihrer Recherche, auf den Namen Freckel gestoßen sei. Jetzt suche sie die nächsten Angehörigen um möglicherweise noch Berichte zu den Nachkriegsjahren und dem Wiederaufbau der Höfe mit ihren Familien, zu erhalten.

      Keiner der Nachkommen freute sich über ihr Anliegen, sie hatten genug von diesen alten Geschichten und lehnten es ab darüber sprechen. Eva stieß auf eine breite Wand der Zurückweisung. Ebenfalls ihre Bitte eventuell vorhandene Briefe oder Tagebücher nur lesen, vielleicht das eine und andere Foto davon machen zu dürfen, wurde glatt weg abgewunken. Nachdem Eva hartnäckig in der darauffolgenden Woche erneut bei der Familie vorstellig wurde, war eine der Töchter endlich bereit, auf dem Speicher die alten Sachen aus der damaligen Zeit zu suchen. Eva hinterließ ihre Handynummer in der Hoffnung auf den einen oder anderen Dachbodenfund. Nach weiteren drei Tagen meldete sich unerwarteter Weise einer der Enkel und berichtete, es sei ein Schuhkarton aufgetaucht, in dem Briefe lägen, die allerdings in einer merkwürdigen Schrift verfasst seien, welche niemand von ihnen lesen könne. Erwartungsvoll, was sich Interessantes in der Schachtel verbarg, fuhr Eva hin. Sie wurde von einem sichtlich nervösen jungen Mann erwartet, der sie sofort in die nicht einsehbare Toreinfahrt zog.

      »200,- Euro und Sie bekommen den Karton«, verlangte er.

      »Junger Mann, erst einmal möchte ich den gesamten Inhalt sichten«, entgegnete sie verwundert. Umständlich kramte er eine Seite aus der Schachtel hervor und reichte diese ihr. Das Schriftbild erinnerte sie an ihre bisherigen Recherchen im Stadtarchiv, er war in Sütterlin geschrieben. Eva überlegte blitzschnell, ›Wenn er bemerkt, das ich die Schrift lesen kann, steigt der Preis. Verhandle, lass‘ Dich nicht über‘n Tisch zieh‘n.‹ Kritisch zog sie die Augenbrauen hoch und spitzte die Lippen,

      »Hören Sie, 200,- Euro für eine Seite und irgendwelchen Krimskrams in diesem Karton, das ist Wucher.«

      »Heehh, Sie wolle was aus der Vergangenheit un sinn ganz scharf druff, also könne Sie auch dafür was zahle.«

      »Nein. Erst einmal will ich den gesamten Inhalt sichten. Für alte Zeitungen zahle ich nicht, die finde ich auch im Stadtarchiv«, lehnte sie kategorisch ab.

      »Verdammt, Sie bekomme die Kohle doch eh von Ihrer Zeitung zurück. Ich brauch‘ den Zaster.«

      »Für die Katze im Sack gibt es nichts«, entgegnete sie entschieden, wandte sich um und verließ den Hof. Der Enkel eilte hinter ihr her,

      »Na gut, gebbe se mir 100,- Euro. Aber dann Schluss, mein letztes Wort.«

      »Erst will ich den Inhalt sehen«, beharrte sie auf ihrem Standpunkt, »Oder kaufen Sie eine Schachtel ohne etwas drin?«

      Demonstrativ schüttelte er den Karton, sie hörte das Klappern und rascheln, »Also gut, es ist etwas darin, nun heben Sie den Deckel hoch und lassen mich hineinsehen«, verlangte Eva unnachgiebig, »Hop oder Top?« Die zusammengekniffenen Augen und der schmale Mund ihres Gegenübers sagten ihr, das sie fast am Ziel war. Sie zog einen 50,- und 20,- Euroschein aus der Hosentasche und hielt sie auffordernd hoch. »Den Fuffi gibt es fürs Hineinsehen, den anderen, wenn der Deckel zubleibt.« Seine Entscheidung war schnell gefallen, hastig griff er nach den Geldscheinen. Eva wich ihm geschickt aus, »Ts, ts, ts, so nicht.«

      »O.K., aber wenn des da drin gut is, bekomm ich die 70,- Mäuse.«

      »Aufmachen, dann sehen wir weiter.«

      Nach zähem Ringen gelang es Eva, den Inhalt des Kartons zu sichten, fand noch weitere Feldpostbriefe, einen Füllfederhalter, alte Postkarten und ein angefangenes, im Laufe der Jahre stockig und mit Wasserflecken durchzogenes Tagebuch. Für dieses Sammelsurium war sie bereit, die 70,- Euro zu zahlen und kaufte den Nachlass im Karton.

      Nach einigen Versuchen gelang es ihr, die eigenwillige Handschrift des Verfassers, immer flüssiger zu lesen und deren Inhalt verstehen. Sie fertigte für ihre weiteren Recherchen eine Kopie an, mit genügend Platz, um ihrerseits Notizen einzufügen. Verschiedene Wörter konnte sie nur im Zusammenhang des Satzes erkennen, der Zahn der Zeit hatte sein Übriges getan und teilweise ganze Silben ausgelöscht.

      In den Briefen fand Eva den bereits gehörten Sturmvogel wieder, und weitere Informationen zu den Personen der Vierer Gruppe. Die Namen von Rolf-Kaspar, Albert, Feodor und Ernst sowie andere Details zu ihren Familien unterstrich sie mit einem Textmarker.

      Alberts Frau hatte einen Sohn geboren, Rolf-Kaspars Schwester geheiratet, Ernsts Vater war verstorben und sein Bruder galt als vermisst. Zu Feodor gab es keine weiteren Angaben.

      Sie durchdachte die verschiedensten Möglichkeiten, ›Das Gruselmärchen von der Schling hatte sich aufs Neue bestätigt. Ebenfalls die drei Namen der Gruppe. Wer von ihnen hatte Otto erschlagen oder war es ein gemeinschaftlicher Mord? Was würde ich unternehmen, um ein Geheimnis, beziehungsweise die Lage eines Schatzes zu bewahren, wenn mir der Zugang über sehr viele Jahre verwehrt ist? Hinterlasse ich schriftliche Aufzeichnungen für meine Nachkommen? Welche Maßnahmen ergreife ich, wenn mein fortgeschrittenes Alter die Bergung nicht mehr zulässt? Ab wann bereite ich meine Kinder darauf vor?‹ Dies waren Familiengeheimnisse der besonderen Art und mit Sicherheit gab es weitere davon.

      ›Grabe tief genug und Du findest in jeder Familie eine Leiche im Keller, egal welcher Art‹, hatte Chris immer gesagt, wenn sie sich wunderte, was er alles fand. ›Wie zum Kuckuck hängt der Pilot Paul Wenzel in der Geschichte?! Ordentlich begraben, wie es einem Hauptmann würdig ist.‹

      Eva klappte das muffig riechende Büchlein zu, für heute hatte sie genug Vergangenheit gelesen, Moritz würde sicherlich in der nächsten Stunde zurückkommen und sie wollte einen schönen Nachmittag mit ihm verbringen. Sie vermisste seine leidenschaftlichen Umarmungen und ihr vertrautes Zusammensein sehr. Außerdem brauchte er dringend eine Aufgabe, die ihn forderte, das Bisherige, rein und raus aus den Kartoffeln, machte ihn nur strubbelig im Kopf. Tom hatte sich ebenfalls angesagt, vielleicht besaß er als Mann mehr Einfluss auf ihn. Morgen war auch noch ein Tag, an dem sie wieder in die Kriegs- und Nachkriegsjahre eintauchen konnte.

      Zeitig stand Eva auf, die Morgendämmerung kroch über die Häuser und im Osten verhieß der zarte rosa Schimmer einen sonnigen Tag. Heute hatte sie die Suche nach dem ungewöhnlichen Vornamen Rolf-Kaspar geplant. Mit einer großen dampfenden Tasse voll heißem Früchte Tee nahm sie an ihrem Schreibtisch platz. Irritiert durchblätterte sie die Briefe aus dem Schuhkarton. Das muffig riechende Tagebuch war nicht zu finden, gestern lag es noch ganz oben drauf. Sie stutzte, merkwürdig, nun fand sie es als unteres in dem gesamten Stapel. ›Hatte das Gespräch mit Tom gestern doch nichts gebracht? Schade, ich war überzeugt, er würde sich für sein Buch entscheiden. Lag sein Interesse jetzt doch wieder auf Reportage und er hat deswegen neugierig in meinen Unterlagen gelesen? Warum fragte er mich nicht? Diese Heimlichkeit war neu in seinem Verhalten,‹ überlegte Eva, ›Hat er dies spontan und aus Interesse gemacht oder befand er sich immer noch auf der Suche nach einer Aufgabe?‹ Irritiert schüttelte sie ihren Kopf. ›Ich muss Chris anrufen, ob er bereits etwas ausgegraben oder den Hinweis auf einen Goldfund erhalten hatte.‹

      Der

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