Das große Buch der Berlin-Krimis 2017 - Romane und Erzählungen auf 1000 Seiten. Alfred Bekker
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Und davon abgesehen fühlte sich Gruschenko hier sicher.
Gruschenkos Gesprächspartner war Hüssein Gümüs von Gümüs, Töppwall & Associates. Gruschenko hatte den blassgesichtigen Mann eine halbe Stunde warten lassen. Für Gruschenkos Verhältnisse war diese relativ geringe Verspätung schon fast so etwas wie ein Gunsterweis.
Gruschenko setzte sich.
Dann machte er seinen Leibwächtern ein Zeichen, woraufhin die sich zurückzogen. Sie postierten sich mehr oder weniger unauffällig an verschiedenen, strategisch wichtigen Punkten innerhalb des Lokals. Unter anderem am Eingang und an der Bar, von der aus man den gesamten Raum überblicken konnte.
„Nun, wie stehen die Aktien, Herr Gümüs?“, fragte Gruschenko, während ihm der Kellner wortlos den Rotwein hinstellte. Es war immer dieselbe Sorte. Man kannte Gruschenko hier und der beleibte Mann hasste es, wenn man ihn jedes Mal aufs neue fragte, was er wünschte. Das Personal des „Michele“ war genauestens instruiert, wie es mit diesem speziellen Gast umzugehen hatte.
Das Einzige, was sich bei jedem von Gruschenkos Besuchen änderte war die Uhrzeit. Er kam nie zwei Mal hintereinander zur selben Zeit in das Lokal, obwohl er es fast jeden Tag besuchte, um die eine oder andere Besprechung abzuhalten. Normalerweise liebte Gruschenko die Regelmäßigkeit. Er bekam immer das gleiche Menü, den gleichen Wein, die gleiche Nachspeise.
Dass er zu so unterschiedlichen Tageszeiten hier auftauchte, hatte allein Sicherheitsgründe.
„Kendra Dörnemeyer hat Geld verlangt“, sagte Gümüs.
„Wie viel?“
„Hunderttausend.“
„Die Dame überschätzt sich wohl etwas.“
„Würde ich auch sagen – zumal sie uns nicht substanziell schaden könnte.“
„Was haben Sie ihr gesagt?“
„Dass ich Ihnen ihre Forderung ausrichten würde, ich ihr aber nichts versprechen könnte.“
„Sagen Sie ihr zu.“ Gruschenko seufzte und nippte an seinem Weinglas. „Sie mag unverschämt sein, aber sie hat offenbar einen guten Instinkt für den richtigen Moment. Wir haben im Augenblick so viel Ärger, dass es besser ist, hunderttausend Dollar an Kendra Dörnemeyer zu bezahlen und damit zumindest an einer Front Ruhe zu haben.“
„Wie Sie meinen, Herr Gruschenko. Aber da ist noch etwas, das Sie wissen sollten.“
Gruschenko hob die Augenbrauen. „So?“
„Kendra Dörnemeyer hat in ihrer Wohnung ein kleines privates Waffenarsenal für Dima Modesta aufbewahrt.“
„Könnten wir dadurch in irgendetwas hineingezogen werden?“
Gümüs zuckte die Achseln. „Das BKA war schon dort, als ich bei Kendra eintraf und um ein Haar hätten die Bullen sie so in die Mangel genommen, dass sie bereitwillig geplaudert hätte, zumal sie wohl ziemlich schockiert von dem war, was sich im „Bordsteinschwalbennest“ abgespielt hat.“
„Das meine ich nicht. Wenn Kendra hunderttausend bekommt, wird sie dicht halten, da bin ich mir sicher. Nein, ich spreche von diesen Waffen? Je nachdem, wann und wobei die schon benutzt wurden...“
„Herr Gruschenko, ich habe wirklich keine Ahnung.“
Vladi Gruschenko atmete tief durch und nahm noch einen weiteren Schluck Wein. „Dann werden wir wohl abwarten müssen, ob da noch irgendwelche Leichen im Keller liegen....“
„Ich fürchte ja, Sir. Und dann ist da noch etwas.“
Gruschenko zog die Augenbrauen zusammen, sodass eine deutlich sichtbare Furche in der Mitte seiner Stirn entstand.
„Heute bringen Sie mir die schlechten Nachrichten Scheibchenweise, was?“
„Ich habe einen Anruf bekommen. Die Sache mit Wien ist noch nicht ausgestanden.“
Gruschenko lehnte sich zurück. „Okay, reden Sie, Gümüs!“
11
Am nächsten Morgen wurden wir ins Büro unseres Chefs zu einer Besprechung gerufen. Außer uns waren auch noch die Kollegen Carnavaro und Medina sowie unsere Innendienstler Max Herter und Nick Nörtemöller anwesend.
Mandy versorgte uns mit ihrem berühmten Kaffee, während Kriminaldirektor Bock noch ein Telefongespräch führte.
Nachdem er aufgelegt und Mandy den Raum verlassen hatte, wandte er sich uns zu. Sein Gesicht wirkte ernst.
„Ich habe gerade noch einmal mit den Kollegen der EED gesprochen. Inzwischen steht fest, welche Sprengstoffsorte verwendet wurde. Ich erspare Ihnen die chemischen Einzelheiten, dazu bekommen wir in Kürze ein ausführliches Dossier. Aber interessant ist, dass wir ein paar Tage vorher den Hinweis eines Informanten bekamen, wonach sich jemand eine erhebliche Menge dieses Sprengstoffs auf dem schwarzen Markt besorgt haben soll. Eine Menge, die im Übrigen nach Angaben unserer Sprengstoffspezialisten durchaus ausgereicht hätte, um das „Bordsteinschwalbennest“ in die Luft zu sprengen.“
„Ist der Informant zuverlässig?“, fragte ich.
„Das ist er“, bestätigte Kriminaldirektor Bock und nickte in Richtung von Jürgen Carnavaro. Der blonde Italoamerikaner war nach unserem Chef die Nummer Zwei in unserem Präsidium. „Jürgen arbeitet seit Jahren immer wieder mal mit ihm zusammen.“
„Bis jetzt hatten wir nur gute Erfahrungen diese Quelle. Ich werde so schnell wie möglich ein Treffen vereinbaren, um Näheres zu erfahren.“
„Vielleicht kommen wir in unseren Ermittlungen dann ja endlich ein Stück weiter“, meinte Kriminaldirektor Bock. „Im Übrigen hat sich noch etwas anderes ergeben, was den ganzen Komplex Modesta/Gruschenko vielleicht in einem neuen Licht erscheinen lässt. Max...“
„Ja, Chef?“
„Sie haben das Wort.“
Unser Kollege Max Herter erhob sich und aktivierte sein Laptop und den dazu gehörenden Beamer. Er projizierte ein Bild an die Wand, das aus einem schlechten Spielfilm hätte stammen können. Ein rothaarige Mann in dunkler Lederjacke erdrosselte einen Mann im konservativen Dreiteiler.
„Dies ist der Screenshot einer Wettercam, den ein gewisser Norbert Artlinger aus Berlin aufgenommen hat, als er sich via Internet über das Wetter in Wien informieren wollte. Artlinger