Camp 21. Rainer Wekwerth
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»Verdammt, verdammt, verdammt«, fluchte Mike. »Verdammte Scheiße.«
»Dad wird uns umbringen«, murmelte Ricky vor sich hin.
»Ach ja«, ätzte Mike. »Das sagtest du bereits. Ricky, falls du es noch nicht bemerkt hast, wir haben ganz andere Probleme. Ich wünschte, Dad wäre hier. Ich wünschte, er würde uns so richtig zusammenstauchen, drei Monate Hausarrest verpassen oder sonst etwas tun. ER IST ABER NICHT HIER! Begreifst du es nicht? Die bringen uns zur County Police Station. Wir werden verhört und womöglich einem Haftrichter vorgeführt und DANN IST ALLES MÖGLICH. Mann, wenn es dumm läuft, verbringen wir die Nacht im Knast. Hast du Bock darauf?«
»Nein«, gab Ricky kleinlaut zu und sofort tat Mike sein Ausbruch leid. Statt rumzubrüllen, sollte er sich um Ricky kümmern, den das alles schon genug verwirrte. Er musste ruhig bleiben, egal, wie er sich selbst fühlte, und versuchen, seinem Bruder Zuversicht zu vermitteln. Auch wenn er selbst keine Zuversicht in sich spürte.
»Okay, tut mir leid, ich habe übertrieben. Wird schon nicht so schlimm werden. Dad holt uns da raus.«
Ricky sah zum ersten Mal seit Langem auf. Sein Blick flehte nach Trost. »Meinst du?«
»Sicher, mach dir keine Sorgen.«
Fünf Minuten später wurden sie in einen Transporter mit der Aufschrift »Fulton County Police« verladen. Bevor Mike einstieg, wandte er sich noch einmal an den Polizisten, der ihn festgenommen hatte.
»Das Ganze tut mir leid, Sir.«
Nichts regte sich in dem Gesicht des Mannes. Die Sonne spiegelte sich in der silbernen Brille.
»Nein, noch nicht«, sagte der Cop. »Aber bald.«
Der Gestank war atemberaubend. Es roch nach kaltem Rauch und abgestandenem Essen. Darunter mischte sich der Geruch von saurem Bier und Erbrochenem.
Es war düster im Zimmer. Nur durch die Schlitze der zugezogenen Vorhänge fiel ein schmaler Lichtstreifen, der kaum ausreichte, um etwas zu erkennen. Kayla nahm nur grobe Formen wahr, aber immerhin stellte sie fest, dass der gesamte Fußboden mit Abfall bedeckt war. Ihr Fuß stieß gegen einen leeren Pizzakarton, als sie vorsichtig einen Schritt nach vorn machte.
Es war still hier drin. Unnatürlich still.
»Tom?«
Ein Rascheln drang an ihr Ohr. Kayla wirbelte herum, entdeckte eine weitere Tür.
»Tom, bist du da?«
Nebenan stöhnte jemand.
»Tom? Bist du dadrin? Sag bitte etwas!«
Ihre Stimme zitterte. Kayla fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, allein hierherzukommen.
Erneut erklang ein Stöhnen.
Verdammt!
Kayla raffte ihren Mut zusammen. Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse gewöhnt. Sie schaute sich um, suchte sich einen Weg ins andere Zimmer. Dafür musste sie einem umgekippten Sofa und einem schweren Sessel ausweichen.
Schließlich stand sie vor der Tür zum Nebenzimmer. »Ich komme jetzt rein, okay?«
Niemand antwortete ihr. Sie legte die Hand an die Tür und schob sie auf.
Was sie sah, ließ ihr Herz erstarren.
Die Vorhänge waren auch hier zugezogen, aber es fiel genug Licht ins Zimmer, damit Kayla ihren Freund sehen konnte.
Er lag da, auf einer alten, stinkenden Matratze, wie eine achtlos weggeworfene Puppe, und rührte sich nicht. Tom hatte sich wie ein Embryo zusammengekrümmt. Sein Kopf ruhte auf dem rechten Arm, mit dem linken bedeckte er sein Gesicht. Beide Knie waren angezogen.
Er sah so dünn aus.
Er ist tot, war ihr erster Gedanke. Kayla erschrak bis in ihr Innerstes, aber dann hörte sie ein leises Keuchen. Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass das Geräusch von Tom kam.
Hastig kniete sie sich neben ihn. »Tom?«
Nichts.
Sie fasste nach seiner Schulter. Noch immer bewegte er sich nicht.
Kayla rüttelte ihn.
»Tom!«, rief sie.
Dann schrie sie seinen Namen.
Ein kaum hörbares Stöhnen war die Antwort.
Sie packte Tom fest und wälzte ihn auf den Rücken. Sein Kopf kippte nach hinten, aber er zeigte noch immer keine Reaktion. Seine Augen standen offen, leer starrten sie zur Zimmerdecke. In seinen Mundwinkeln hatte der Speichel Schaumblasen gebildet.
Kayla war kurz vor einer Panik. Alles in ihr vibrierte. Sie blickte auf ihren Freund nieder. Was war mit ihm geschehen? Er lebte, aber er war bewusstlos. Ihr Blick fieberte umher.
Plötzlich stutzte sie. Neben der Matratze lagen eine benutzte Spritze, ein verrußter Löffel und verbrannte Alufolie. Nicht weit davon ein leeres Plastiktütchen. Drogenbesteck!
Oh Tom, was hast du nur gemacht?
Schlagartig wurde ihr bewusst, wie ernst die Lage war. So wie es aussah, hatte sich Tom einen Schuss gesetzt. Was auch immer in dem Tütchen gewesen war, anscheinend hatte es bei ihm für eine Überdosis gesorgt.
Kayla fasste an seinen Hals, suchte den Puls.
Schwach und flatternd.
Tom brauchte sofort einen Arzt. Hier ging es um Leben und Tod.
Kurz dachte sie daran, dass sie durch diese Sache in große Schwierigkeiten geraten würde, aber das spielte jetzt keine Rolle. Sie musste dafür sorgen, dass ihm geholfen wurde. Alles andere war im Moment zweitrangig.
Kayla fingerte ihr Handy aus der Hose. Mit zitternden Fingern tippte sie die Nummer der Notrufzentrale ein.
Zwei Sekunden später meldete sich eine weibliche Stimme.
»Ich brauche Hilfe«, sagte Kayla.
Sie saßen in einem fensterlosen Raum, rechts und links von einem Tisch, der im Boden festgeschraubt war. Die Stühle waren aus Metall, ebenfalls fest verankert.
Seit Stunden saßen sie hier. Menschen kamen und gingen. Stellten ihnen Fragen. Fragen zu den Vorkommnissen auf der Landstraße, Fragen zu ihrer Lebenssituation. Irgendwie schien jeder alles von ihnen wissen zu wollen.
Ricky und er waren auf die Toilette geführt worden und hatten eine Urinprobe abgeben müssen. Das Ergebnis der Auswertung hatte man ihnen nicht mitgeteilt.
Mike hatte gefragt, ob er seinen Vater anrufen dürfe. Das hatte man verneint, aber eine Polizistin hatte sich die Handynummer geben lassen und gesagt, er werde verständigt. Etwas später hatte sie ihnen mitgeteilt, er wäre