Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland

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Alter Mann im Bus - Bernhard Weiland

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des Jahres. Die Außensitzplätze der Eiscafés in der Fußgängerzone sind proppenvoll. Mein Eis muss ich daher am letzten freien Tisch im Inneren bestellen. Am Nachbartisch sitzt eine Frau mit ihrer alten dementen Mutter. Diese bringt richtig Leben in die Bude. Ihre lauten Nachfragen und unhöflichen Kommentare werden von der Tochter mit großer Gelassenheit hingenommen. Vom Personal wird sie bevorzugt und fix bedient, freundlich angesprochen und getätschelt. Sie ist wohl bekannt hier und so läßt man ihr die Eigenheiten. Auch wenn ringsum wegen des großen Andrangs sehr flink und ein wenig hektisch bedient wird, ruhig nimmt man das Portemonnaie der Dame entgegen. Erklärt ihr wiederholt den Preis, den sie lautstark beklagt. Erklärt und zeigt ihr, was man dem Geldbeutel entnimmt. Lacht freundlich und zugewandt über ihre Bemerkungen, die eigentlich nicht freundlich sind. Aber es wird ihr nicht übelgenommen. Das passt in diesen freundlichen Tag.

      Rufbus

      Am ZOB kriege ich einen Schreck. Mein nächster Bus, der 291er, fährt zehn Minuten vor der fahrplanmäßigen Abfahrtzeit ohne Stopp an mir und der Haltestelle vorbei. Da stehe ich aber dumm da. Muß ich doch den Anschluss in Kleinfurra erreichen. Das ist der Rufbus 471, der nur einmal am Tag fährt, und für den ich mich heute Morgen telefonisch extra angemeldet habe. Aber welche Erleichterung, als der 291er dann doch pünktlich vor mir steht und mich mitnimmt. Er hatte nur in der Stadt gewendet. So erreichen wir tatsächlich pünktlich Kleinfurra. Der dortige Rufbus ist die Verbindung zwischen zwei Tarifsystemen, dem Nordhäuser (Verkehrsbetriebe Nordhausen GmbH) und dem Mühlhäuser (Regionalbus-Gesellschaft Unstrut-Hainich- und Kyffhäuserkreis mbH). Wo ich allerdings die Haltestelle finde, kann mir der Busfahrer beim Ausstieg in Kleinfurra nicht sagen. Wegen verkehrlicher Baumaßnahmen fahre er heute sowieso eine andere Strecke. Er schätzt, dass ich noch gut einen Kilometer laufen müsse. Es wäre wohl die übernächste Haltestelle.

      Es scheint dann aber nicht die übernächste, sondern schon die nächste, gleich um die Ecke, zu sein. Oder auch nicht? Jedenfalls hängt hier der Rufbusfahrplan der Mühlhäuser Tarifzone. Darunter klebt allerdings ein kopierter Aushang der Nordhäuser Tarifzone, dass diese Haltestelle wegen verkehrlicher Baumaßnahmen bis auf weiteres nicht angefahren werde. Was gilt denn jetzt für mich? Ich rufe verunsichert die Nummer des Rufbusses an und lande in der Mühlhäuser Zentrale der Verkehrsgesellschaft. Die gute Frau am anderen Ende gibt unumwunden zu, keine Ahnung zu haben. Und wo die Haltestelle sei, wisse sie schon gar nicht. Da könne Sie mir nicht weiterhelfen. Weil sie mir nichts weiter anbietet, biete ich ihr an, vor Ort zu warten. In der Zeit möge sie den Rufbus erreichen und ihm meine unsichere Lage nahebringen. Danach solle sie mich dann bitte zurückrufen und mir die nötigen Informationen geben. Und das bitte noch vor fahrplanmäßiger Abfahrtszeit des Rufbusses.

      Während ich am Ort verweile und der Dinge harre, die da kommen werden, hält ein etwas in die Jahre gekommener weißer Kleinbus neben mir. Er sei der Rufbus, ob ich ihn angefordert hätte. Der Fahrer, Taxiunternehmer, lädt mich als einzigen Fahrgast für diese Strecke ein und kassiert einen bescheidenen Obulus. Noch während ich mich verstaue, bekommt er einen Anruf. Die Mühlhäuser Verkehrszentrale berichtet ihm von einem Kunden, der in Kleinfurra stehe und nicht wisse, wo der Bushalt sei. Geht doch, verehrte Zentrale! Dieser Vorgang bietet Anlass für ein ausgiebiges Gespräch über die Schwierigkeiten, die ein Taxiunternehmen in der Provinz bewältigen muss, um wirtschaftlich bestehen zu können. Direkt vor der Haustür meiner Pension, die ich für die Nacht in Sondershausen gebucht habe, lädt mich der freundliche Mann ab. Obwohl hier keine Haltestelle ist. So haben wir beide einen Vorteil. Er spart sich die Fahrt bis zur offiziellen Haltestelle und ich bin schon da. So geht Rufbus.

      Die Abfahrt am nächsten Morgen aus Sondershausen ist komplizierter. Gut, dass ich mich frühzeitig auf den Weg mache. Laut Fahrplan soll der Bus vom Bahnhof Sondershausen abfahren. Die dortige Haltestelle gibt aber keinerlei Hinweis für den Bus nach Mühlhausen. Kein Fahrplan, kein Aushang, kein Schild. Was tun? Fährt er hier ab oder fährt er hier nicht ab? Ich eile fix zum ZOB, sicher ist sicher. Das Glück ist mir hold und ich erwische dort meine Buslinie. Die hält danach als nächstes wo? Natürlich am Sondershäuser Bahnhof. Klar, sagt der Busfahrer ungerührt. Fahrplanmäßig! Sein Gesicht signalisiert mir dagegen: Was stellst du mir für eine dumme Frage. Ich hake nach: Warum der Bus dort auf keinem Fahrplan aufgeführt sei? Was wisse er denn, er sei nur der Busfahrer. Für ausgehängte oder nicht ausgehängte Fahrpläne seien andere zuständig. Er nicht. Punkt. Mein Anliegen interessiert ihn offensichtlich nicht die Bohne. Warum auch. Ich bin ja nur der Kunde. Und er der Chef des Vehikels.

      Mühlhausen erreichen wir schnell. Der dortige ZOB ist Top. Es gibt elektronische Anzeigen, Fahrkartenverkauf und Fahrpläne. Sogar ein kostenfrei zu nutzendes öffentliches Örtchen und gleich nebenan Läden mit Waren des täglichen Bedarfs. So kann ich in meiner Wartezeit noch das ein oder andere Geschäft erledigen. Bei mir rangiert der ZOB Mühlhausen weit oben im privaten Ranking der Einstiegsplätze. Für die Weiterfahrt wird meine schon vorher erworbene Fahrkarte einer peniblen Prüfung durch den Kutschenlenker unterzogen. Die Prozedur erfolgt mit strengem Blick. Mein Billett wird endlich mit einem kurzen Nicken stumm akzeptiert. Nicht akzeptiert wird von ihm lautes Klingeln von Smartphones während der Fahrt. Eine Frau wird unterwegs deswegen lautstark von ihm zurechtgewiesen. Das habe zu unterbleiben. Sie fügt sich und stellt ihr Handy ab. Fremde Orte, fremde Sitten.

      Ab durch die Mitte

      Kurze Zeit später verlasse ich in brütender Mittagshitze in Niederdorla den Bus.

      Wer kennt schon Niederdorla! Wer war schon in Niederdorla? Warum auch? Weil hier nach der Wiedervereinigung der geografische Mittelpunkt Deutschlands verortet wird. Sagt man. Die Familie der geografischen Mittelpunkte Deutschlands umfaßt allerdings noch andere, weit auseinander liegenden Orte: Krebeck, Flinsberg, Silberhausen und Landstreit. Das haben verschiedene schlaue Köpfe auf verschiedene schlaue Weisen errechnet. Und jeder will Recht haben. Sagt man. Mir doch egal. Sollen sie das unter sich ausmachen. Ich will hierhin, zum Mittelpunkt in Niederdorla. Der harte Hund am Steuer des Busses weist mir überraschend hilfreich und freundlich sehr genau den Weg. An der gestalteten Anlage der ‚Deutschen Mitte‘ mit Informationstafel, Gedenkstein und Kaiserlinde im Zentrum angekommen, lege ich eine Pause ein. Es ist ein heißer Tag. Jetzt etwas zu trinken wäre nicht schlecht. Ich nehme mir die Zeit. Über dem gegenüberliegenden sogenannten Opfermoor, einer alten germanischen Ritualstätte, kreisen Raubvögel. Beim Mittelpunkt Deutschlands.

      Ich stelle mir vor, wie es wohl wäre, sich in den Mittelpunkt hinein zu versetzen. Selbst zum Mittelpunkt zu werden. Spannende Idee. Ich lasse mich also auf dem kühlen Gedenkstein nieder. Dem Mittelpunkt. Versuche, ihn zu erspüren. Als Mittelpunkt zu fühlen. Dieser Mittelpunkt zu sein. In ruhiger Konzentration scheint es mir zu gelingen. Das Ergebnis ist überraschend und überwältigt mich fast. Es kommt emotional sehr bedrückend daher. Eine tiefe Traurigkeit beginnt, heftig in mir aufzusteigen. Bevor sie mir Tränen in die Augen treiben kann, stehe ich auf, schüttele mich und bewege mich schrittweise um die Mitte herum. Lockere mein Gemüt. Gleich geht es mir besser. Doch ich bin irritiert. Wie kann das sein, wo kam das her?

      Warten auf den Bus

      In der Mitte Deutschlands ist die heutige Reise noch nicht zu Ende. Ich will weiter, zum Hainich, dem großen weltkulturerbegeschützen Nationalpark. Also warte ich auf den nächsten Bus. In Niederdorla, am Mühltor. So heißt die Straße. So heißt die Haltestelle. Warum eigentlich Haltestelle und nicht Wartestelle?

      Ich warte doch an dieser Stelle.

      Die Sonne brennt mir durch das gläserne Wartehäuschen von hinten auf den Pelz.

      Ich döse. Mir ist heiß. Nichts passiert.

      Ein Auto fährt dröhnend über das Kopfsteinpflaster vorbei.

      Danach wieder Stille.

      Einige Zeit später öffnet sich in einem der gegenüberliegenden Einfamilienhäuser eine Tür. Ein Mann tritt heraus. Er trägt einen Topf mit bunten

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