Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland
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Ich sitze. Schaue. Nichts passiert. Stille ringsumher.
Ich sitze und sitze.
Und warte und warte.
Eine wohlige Wärme fängt an, in mir aufzusteigen. Langsam und gemächlich döse ich ein.
Hupps, was ist das? Ein Wind kommt auf, bläst trockenes Buschwerk vorbei, zusammengerollt wie zu einem luftigen Ball. Wo kommt das Ding her? Es taumelt und torkelt, stutzt kurz und stolpert doch weiter. Nichts steht dem Ding im Wege. Nichts hält es auf.
Es rollt vorbei an einer Zeit, die stillzustehen scheint.
Ich warte.
Ich sitze auf den Stufen eines einsam in der Wüste stehenden Holzhauses. Die Postkutsche hat keinen Fahrplan. Sie kommt, wenn sie kommt.
Heute, morgen, übermorgen. Irgendwann.
Also warte ich weiter.
Eine Holztür schlägt, in den Angeln quietschend, hin und her. Sonst passiert nichts. Schweißperlen rinnen mein Gesicht herab. Der einzige Bewohner dieser Poststation sitzt mit einer Flinte auf dem Schoß hinter mir in seinem Schaukelstuhl.
Er döst.
Er schaukelt.
Vor zurück, vor zurück, vor zurück.
Der Sand knirscht dazu unter ihm rhythmisch auf den Holzbohlen.
Ich sitze und sitze.
Und warte und warte.
Die Sonne hat jetzt ihren höchsten Stand erreicht. Meine Kehle ist trocken. Ich nehme einen kleinen Schluck aus meiner Wasserflasche.
Ich warte und nichts passiert.
Ein magerer Hund streicht in geringer Entfernung wie in Zeitlupe an mir vorbei. Lautlos. Er würdigt mich keines Blickes. Ich ziehe meinen Hut tiefer ins Gesicht. Zum Warten verdammt. Die bunte Flagge über der Veranda der einsamen Poststation regt sich ein wenig, kaum hörbar.
Ich sitze und sitze.
Und warte und warte.
Nichts passiert.
Ich suche mit müdem Blick den Horizont ab. Keine Kutsche in Sicht. Über dem Vorgebirge kreisen Geier.
Auch sie warten und warten und nichts passiert.
In der weiten Ebene wandern kleine Windhosen aus Staub durch die Einöde. Fallen in sich zusammen. Erheben sich wieder. Ziehen weiter. Am Himmel zeigt sich keine Wolke.
Ich sitze und sitze.
Und warte und warte.
"Stopp, stopp, Szene beendet. Kamera aus." ruft der Regisseur. Die Kameramänner vor, hinter und neben mir regen sich und lösen sich gleichzeitig in Luft auf.
Ich erwache. Aus meinem Tagtraum. Hier an der Wartestelle. Mühltor, Niederdorla. Da tut sich was. Allen Tagträumen, dunklen Vorahnungen und geschriebenen Fahrplänen zum Trotz biegt ein Bus in die Straße ein. Die Linie stimmt, der Zeitpunkt erscheint willkürlich. Mir doch egal. Ich werde eingelassen. Im Inneren herrscht eine ungewöhnliche Fülle. Schulkinder, alte Menschen, alle durcheinander gewürfelt. Viele kennen sich und tragen mit ihrer Kommunikation zu einer ausnehmend lebendigen Stimmung im Bus bei.
Und ich sitze und sitze und fahre und fahre. Das Dösen hat endlich ein Ende. Mitten in Deutschland. In Niederdorla.
Zu Fuß in den Wald
Niederdorla liegt strategisch günstig auf meinem Weg zum Hainich. Da allerdings mein Tagesziel dort, das Forsthaus Thiemsburg, heute nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist, fahre ich weiter bis nach Weberstedt. Vorher muss ich am Wendepunkt Flarchheim, der Endhaltestelle dieses Busses, noch einmal umsteigen. Der Fahrer bestätigt mir, dass ich von hier aus weiterkomme. "Warten sie am besten da vorne, wo die Ausländerin sitzt. Die will wohl auch weiter." So haben wir ein Thema. Er hat Probleme mit den Ausländern, weil er sie nicht versteht. Er habe da zwei russische Kollegen, die bräuchte man erst gar nicht zu fragen, die könnten einem eh nicht antworten. Ja, bestätige ich ihm, ich bin auch schon häufig Ausländer gewesen, in europäischen und afrikanischen Ländern. Da wäre es den Menschen mit mir auch so gegangen. Aber mit Händen und Füßen hätten wir uns immer irgendwie miteinander verständigen können. Geht alles. Er fährt weiter und ich frage die kopftuchtragende Ausländerin warmbrauner Hautfarbe, ob ich hier richtig sei für den Bus nach Weberstedt. Wann der Bus denn wohl käme. Sie schaut von ihrem Handy auf, überlegt, schaut wieder auf ihr Handy. Dann antwortet sie und ich verstehe so etwas wie "Bus ja" und nach längerem Nachdenken und einigen Blicken auf ihr Handy "törti minits" oder so. Das übersetze ich für mich mit "Kommt bald" und bedanke mich für die Auskunft. Nach gut zehn Minuten wechselt sie die Straßenseite. Ich schaue ihr nach, sie winkt mich rüber "Hello. Bus.". Der Bus kommt. Er transportiert Eingeborene und Ausländerinnen. So, wie das hier und anderswo eben üblich ist.
Von Weberstedt will ich die letzten Kilometer zu Fuß gehen. Schon ein wenig Hainich-Waldluft schnuppern. Der Busfahrer läßt mich unbürokratisch zwischen zwei Haltestellen aussteigen und weist mir die Richtung. Trotz vieler Wegweisungsschilder oder vielleicht wegen der vielen Wegweisungsschilder in Weberstedt, gerate ich leider auf den längeren Weg, den für Radfahrer. Für Fußgänger wie mich ein Umweg. Und der wird am Anfang richtig eklig. Von wegen Waldluft schnuppern. Der Weg ist knochentrocken und mit weißem kalkartigem Staub bedeckt. Aus irgendeinem Grund begegne ich auf diesem Weg zwischen weiten Feldern mehrfach LKW, die an mir vorbeirumpeln, gewaltige Staubfahnen aufwirbelnd. In der Ferne ertönt ein andauerndes Maschinengeräusch. Meine Nase registriert einen stechendfauligen Geruch. Da blitzen mich vom Acker Pfützen dunkler Brühe an. Frisch aufgebrachte Gülle. Mir geht ein Licht auf: die Lastwagen transportieren Nachschub. Ich bin froh, als ich diese Felder hinter mir lassen kann.
Der Nationalpark
Im Forsthaus Thiemsburg habe ich für drei Nächte ein Einzelzimmer gebucht. Das Gästehaus liegt im Nationalpark Hainich, der größten nutzungsfreien Laubwaldfläche Deutschlands. Nationalpark seit 1997, wurden zentrale Teile 2011 mit anderen Rotbuchenwäldern Europas zum Weltkulturerbe erklärt. Meine unmittelbaren Nachbarn in der Internet- und (fast) telefonnetzfreien Zone sind das Nationalparkzentrum, der Baumkronenpfad und das Restaurant und der Biergarten Thiemsburg. Und viele, viele munter durcheinander zwitschernde und singende Vögel. Ein besseres Quartier für jemanden, der ohne Motor, Fahrrad, Pferd oder Esel unterwegs ist, gibt es hier nicht. Von meinem Zimmer aus blicke ich direkt hinüber auf all das und kann ohne zusätzliche Anreise einen kleinen Teil dieses überwiegend mit Mischwald, dominiert von Rotbuchen, bestandenen Höhenzuges erkunden. Dafür nutze ich zunächst die Möglichkeit, an einer Führung teilzunehmen. Es ist die erste in dieser Saison, die heute, am 1.April, beginnt. Das ist kein Aprilscherz! Ich bin der einzige Interessierte, der am Treffpunkt wartet. So stapfe ich exklusiv und allein dem zünftig gekleideten Nationalparkranger hinterher. Ranger klingt heroisch. Für mich jedenfalls. Ich denke an erste Fernseherlebnisse in jungen Jahren. Da sorgten die ‚Texasranger‘ in amerikanischen Filmen deutsch synchronisiert mit Waffengewalt für Recht und Ordnung. Und jagten gnadenlos Indianer. Mein Ranger heute ist ein friedlicher Mann mit Rucksack und knarzenden Wanderstiefeln. Er war in diesem Waldgebiet 25 Jahre als Waldfacharbeiter beschäftigt und wurde bei Gründung des Nationalparks als Ranger übernommen. Der Fachmann