Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland

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Alter Mann im Bus - Bernhard Weiland

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sich das hier für sie mit dem Stand?“

      Zehn seit zwei Stunden garende, verkaufsfertige Standardbratwürste werden zum neunundvierigsten Mal gewendet. Hinter der Stirn des Wurstwenders scheint es zu arbeiten. Ist der Kunde etwa ein getarnter Steuerfahnder? Die unverfängliche Antwort durch den gemischten Schweinehähnchenbriedendunst hindurch lautet vorsichtig:

      “Näääää.“

      Der penible Kunde bohrt weiter:

      “Nich so?“

      Der misstrauische Bratwursthändler:

      “Nä nä nä … … nich viel los.“

      Der Kunde läßt nicht locker:

      “Und jetz im Winter sowieso nich?“

      Diese Fangfrage läßt den Bräter kalt und er bleibt einsilbig:

      “Jaaa.“

      Da kapituliert der Kunde:

      “Okäj“

      Sichtlich erleichtert über diese glückliche Gesprächswendung bricht es aus dem Verkäufer heraus:

      “Diese Platz nich gutt.“-

      Der mitfühlende Kunde stimmt beruhigend zu:

      “Is nich gut, jaa. Es kommt keiner zu Fuß hier lang, nä. Oder?“

      Die traurige Antwort:

      “Keine Fuß, keine Fuß.“

      Die von Gebrauchsspuren gezeichnete Würstchenpappe landet ordnungsgemäß in dem dafür bereit gestellten Abfalleimer. Mit einem geseufzten, von grenzenlosem Mitleid mit dem einsamen armen Wurstbräter zeugenden“Ja ja“ schlurft der gesättigte Kunde über den weiten Parkplatz davon, der nächsten Bushaltestelle entgegen. So sind sie, die deutschen Gutmenschen, die echten Bratwurstgourmets auf dieser Welt. Schweinebratwurstarier, einfühlsam und dem Grillgut zugewandt. Der türkische Chefkoch verfolgt ihn noch eine Weile sehnsüchtig mit seinen Blicken, bis er ihn nicht mehr sehen kann. Dann wendet er die gelangweilt vor sich hin schmurgelnden Würste ein fünfzigstes Mal. Fremdes Kulturgut, gebratene Schweine im Darm. Vielleicht kommt ja mal wieder jemand vorbei.

      Kleiner Grenzverkehr

      Seit Hameln bin ich wieder fahrplanmäßig unterwegs. Auf der weiteren Fahrt überschreitet der Bus irgendwo bei Aerzen die Landesgrenze von Niedersachsen zu Nordrhein-Westfalen. Und damit die Grenze des Verkehrsverbundes. Und damit auch die des Tarifsystems. Wahrscheinlich des RHP (Regionalverkehr Hameln Pyrmont). Oder doch des VHP (Verkehrsgesellschaft Hameln Pyrmont)? Immerhin funktioniert die Beförderung im Sinne eines kleinen Grenzverkehrs im 16-Sitzer-Bus gut. In ihrem tiefsten Inneren erscheint mir unsere Republik schon jetzt am Anfang meiner Reise als ein Konglomerat nahverkehrlicher Fürstentümer und Königreiche. Und noch kleinteiliger wirkt jeder Bus als kleines Fürstentum oder Königreich für sich, mit unterschiedlichen Regenten am großen Steuerrad. Bei dem einen Chauffeur geht es bürokratisch zu wie bei der Antragstellung in einer Amtsstube, beim anderen locker wie beim Einlass in das Festzelt auf der Dorfkirmes, beim nächsten wiederum gemütlich wie am Gemüsestand auf dem Wochenmarkt und dann wieder ruckizucki wie an der Supermarktkasse. Manchmal auch alles gut durchmischt. Bunt und vielfältig. Multikulti auch in der Aussprache mit unterschiedlichsten Akzenten. Bunte Nahverkehrsrepublik Deutschland.

      Die Landschaft, durch die ich kutschiert werde, stellt sich sehr nebensächlich dar. Sie ist kaum sichtbar. Nebel und Regen bilden einen dichten grauen Vorhang. Da draußen liegen irgendwo der Deister, der Süntel, das Weser- und das Lipper Bergland, wem das was sagt. Meine Mitreisenden - oder besser: Mitfahrenden - lässt das eh kalt. Sie sind keine Touristen wie ich, sondern Hiesige, Eingeborene, auf dem Weg nach Hause, zur Arbeit, zum Einkauf, zum Arzt oder Amt oder irgendeiner anderen alltäglichen Verabredung.

      Zweitausend Jahre zuvor

      Zwischen Hameln und Aerzen touchiert meine Route eine historische Verkehrsverbindung, deren Entstehung mindestens 2000 Jahre zurückreichen soll. Es ist der sogenannte Westfälische Hellweg. Er diente dem Warentransport über weite Strecken und verband die zu der Zeit wichtigsten Orte und Produktionsstätten in dieser Gegend mit anderen Gegenden. Ein Jahrtausend später war dieser dann Teil der sogenannten "via regia", eines unter königlichem Schutz stehenden Handelsweges, der bis an die heutige litauische Grenze führte. Wenn man den Verlauf der B1 auf heutigen Landkarten betrachtet, so sieht man in etwa den damaligen Weg dieser alten Straße. Die meisten Bundesstraßen gingen aus ähnlichen historisch gewachsenen Schneisen durch die Landschaft hervor. Auch manche Straßen in großen Städten Nordrhein-Westfalens zeichnen immer noch den Weg nach, auf der der Hellweg früher verlief.

      Borgholzhausen, Wesel, Singapur

      Bad Salzuflen erreiche ich mit vielen Zwischenstationen wie durch ein Wunder fahrplanmäßig. Ich bin beeindruckt. Mir ist unerklärlich, wie Busse meist pünktlicher sein können als der schienengebundene Zugverkehr. Ist nicht der Straßenverkehr, in dem sich Linienbusse bewegen, chaotischer und unberechenbarer als der zentral gelenkte Verkehr auf der Schiene? Außerdem geht auch immer unkalkulierbar Zeit drauf, wenn vom Fahrer Tickets verkauft oder kontrolliert und langwierige Tarifauskünfte gegeben werden müssen. Im ZOB Bad Salzuflen steige ich im Busbahnhof aus. Was für ein Gebäude! Ich wähne mich in Spanien. Jeder Bussteig hat seinen eigenen Torbogen und ist komplett überdacht.

      Am selben Ort entere ich am nächsten Morgen die Linie 350 und fahre frohgemut meinem Ziel entgegen. An der Haltestelle Borgholzhausen/Strothenke - welch lyrischer Name! - erwartet mich neben einem von vier Umstiegen an diesem Tag eine unangenehme Überraschung. Eine, die international bekannt, verflucht und geächtet ist. Nein, nicht der Tritt in Hundescheiße. Die ist an Haltestellen eher unterrepräsentiert. Ich stolpere auch über keine Zigarettenfilter, dem sichersten Hinweis für die Existenz von Haltestellen.

      Nein, ein frisch ausgespieenes Kaugummi verbindet sich unlösbar mit der neuen Sohle meines bequemsten Schuhwerks. So frisch, dass er sich gefühlt zwei Meter langzieht, als ich den nächsten Schritt mache. Wissenschaftlern im gesamten uns bekannten Universum ist es bislang nicht gelungen, wirksame Mittel gegen diese Plage der Menschheit zu entwickeln.

      Allerdings gibt es wehrhafte Orte, die Widerstand leisten. Wesel erwägt, unabhängig von Größe, Farbe und Geschmacksrichtung eine Kaugummisteuer einzuführen. Mannheim hat in seine Polizeiordnung geschrieben, dass es verboten sei, sowohl Hundescheiße als auch eingespeichelte Kaugummis zu hinterlassen. Und in Singapur hat man die Schnauze respektive die Schuhe wohl richtig voll gehabt. Herstellung, Import und Verkauf von Kaugummis war bis vor kurzem komplett verboten. Neuerdings dürfen Apotheken dort 19 zu therapeutischen Zwecken zugelassene Sorten Kaugummi gegen Notierung von Namen und Reisepassnummer an Kund*innen abgeben. Bei Verstoß gegen diese Regeln drohen dem Drogisten empfindliche Geldstrafen oder gar Kerker. In London dagegen produziert ein phantasiebegabter Künstler Miniaturbilder auf die getrockneten Hinterlassenschaften am Boden, bleibt straffrei und wird damit weltbekannt. Die spinnen bekanntlich, die Briten.

      Mir hilft das alles nichts. Mit klebrigem Schuhwerk erreiche ich nach weiteren Umstiegen früh am Tag das Ziel der Etappe: Bad Laer.

      Privatkur

      Bad Laer? Nie gehört. Macht nichts. Dieser Kurort ist das Ziel meiner Etappe. Am Rande des Teutoburger Waldes, wo die Sole aus der Erde tritt. Salziges Wasser, hilfreich bei jeglichen Zipperlein. Ich solle unbedingt auch bei "da L." ein herrliches Eis schlecken, schlug G. mir vor, als sie mich hierher sandte. Aber das Eiscafé hat noch geschlossen, die

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