ME/CFS erkennen und verstehen. Sibylle Reith

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ME/CFS erkennen und verstehen - Sibylle Reith Multisystemische Erkrankungen - die medizinische Herausforderung  unserer Zeit

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Aufbruchstimmung: mehrere Studien geben Anlass zu der Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit endlich Biomarker geben wird, die eindeutige diagnostische Aussagen zulassen werden. Mit Hilfe neuester Technologien, die in Millisekunden tausende von Molekularstrukturen untersuchen können, kommen internationale Spitzenforscher dem Rätsel ME/CFS näher. Diese Entwicklung wurde nun endlich auch z.B. von den US-amerikanischen Gesundheitsbehörden National Institutes of Health (NIH) und von führenden Wissenschaftskreisen mit mehr Ernsthaftigkeit wahrgenommen.

      Die Wissenschaftsjournalistin Amy Maxmen stellte die derzeitige Forschungsentwicklung in einem dreiseitigen Artikel in der renommierten Fachzeitschrift Nature dar, der am 3. Januar 2018 veröffentlicht wurde. Ihrem Bericht gab sie den Titel: A reboot for chronic fatigue syndrome research - Research into this debilitating disease has a rocky past. Now scientists may finally be finding their footing. Auf Deutsch: „Ein Neustart für die Erforschung des chronischen Müdigkeitssyndroms - Die Erforschung dieser kräftezehrenden Krankheit hat eine sehr steinige Vergangenheit. Jetzt können Wissenschaftler endlich Fuß fassen.“

      Vielleicht wird dieser Nature-Artikel zum Katalysatoren der längst überfälligen Kehrtwende? II /1, Nature

      Kapitel 1

      ME/CFS:

      Ein rätselhaftes Krankheitsbild

      1.1 EIN KRANKHEITSBILD MIT VIELEN NAMEN

      Seit dem ersten Auftreten von ME/CFS Mitte des vergangenen Jahrhunderts war immer im gleichen Atemzug von der Rätselhaftigkeit dieser Erkrankung die Rede. Sie gehört zu den vielschichtigsten und herausfordernsten Krankheitsbildern unserer Zeit.

      Die Verwirrung fängt schon bei der Namensgebung an. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, trifft auf mehrere Bezeichnungen, mit denen das Krankheitsbild im Laufe der Zeit und an verschiedenen Orten versehen wurde.

      Hier einige der Bezeichnungen, die im engeren oder weiteren Umkreis für das Krankheitsbild, um das es hier geht, verwendet wurden oder werden. Einige sind diskriminierend.

      ■ Ch ronische Epstein-Barr-Infektion/CEBV

      ■ Ch ronische Mononucleosis Infektion (Mononukleose = Pfeiffersches Drüsenfieber)

      ■ Yuppie-Grippe

      ■ Non-HIV AIDS

      ■ Ep idemische Neuromyasthenie

      ■ Idiopathisches Chronisches Müdigkeitsund Muskelschmerz Syndrom (idiopathisch: ohne bekannte Ursache)

      ■ Postvirales Fatigue Syndrom

      ■ PIFS: Postinfektiöses Fatigue Syndrome

       ME/CFS: Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome

      In diesem Buch verwende ich die heute weltweit gebräuchlichste Abkürzung ME/CFS als Sammelbegriff für dieses Krankheitsbild. ME und CFS werden meist synonym verwendet, ME vor allem in Europa und in Kanada, CFS eher in den USA und in Australien.

      ME steht für Myalgische Enzephalomyelitis, dabei steht das Entzündungsgeschehen im Vordergrund. (Myalgie: „Muskelschmerz“, Enzephalomyelitis: Entzündung von Gehirn und Rückenmark). Dieser Begriff wurde Ende der 1950er Jahre geprägt. Als „Myalgische Enzephalomyelitis“ ist die hier dargestellte Krankheit seit 1969 (!) von der Weltgesundheits-Organisation (WHO) als neurologische Erkrankung klassifiziert (aktuell ICD-10; G 93.3).

      CFS ist die Abkürzung für engl. „Chronic Fatigue Syndrome“. Diese englischsprachige Bezeichnung wurde 1988 durch die sogenannte „Holmes-Definition“ geprägt und ersetzte die Bezeichnung „Chronic Epstein-Barr virus syndrome“. 1.1 /1, Holmes et al. Im deutschen Sprachraum wird die Erkrankung „Chronisches Müdigkeits- oder Erschöpfungssyndrom“ genannt. ▸ Siehe Kapitel 1.3.1

      Der Begriff Syndrom

      Krankheitsbilder, die nicht durch Laborwerte eindeutig diagnostiziert werden können, werden üblicherweise so genau wie möglich definiert und damit eingegrenzt. Experten erarbeiten anhand der regelhaften Symptommuster und bekannter Befunde „am Konferenztisch“ eine Charakteristik der Krankheit, die dann als „Syndrom“ bezeichnet werden kann. Syndrom ist keine präzise Krankheitsbezeichnung oder Diagnose, sondern eine Zusammenfassung von Symptomen, ein krankheitstypischer „Zustandsbericht“, auf den sich Experten geeinigt haben - unabhängig von nachweisbaren Laborwerten.

      Konsenskriterien

      Kein Arzt konnte die zahlreichen und massiven Beschwerden, über die betroffene Patienten berichteten, anhand der erhobenen Befunde erklären. Aus dieser Ratlosigkeit entstanden im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mehrere sogenannte Konsenskriterien, die die rätselhafte Erkrankung charakterisierten und von anderen Erkrankungen abgrenzten. Patienten, die z.B. nach den weitgefassten Oxford-Kriterien diagnostiziert werden, sind nicht zwingend identisch mit Patienten, die nach den Fukuda-Kriterien oder den präziseren Internationalen ME-Konsens-Kriterien 2011 diagnostiziert werden.

      Seit den ersten Erwähnungen ist ein wissenschaftlicher Disput zu verfolgen, bei dem sich die Verfechter verschiedenen Ansätze vehement streiten. Es gibt kaum eine Krankheit, die so zum Spielball weltanschaulicher Hypothesen und Debatten, wissenschaftlicher Karrieren, gesundheitspolitischer Aspekte und wirtschaftlicher Interessen wurde wie ME/CFS. Unter „historisch“ bedingten Verharmlosungen und Stigmatisierungen haben ME/CFS-Patienten noch heute zu leiden.

      Die deutsche Bezeichnung „Chronisches Müdigkeits- oder Erschöpfungssyndrom“ ist unglücklich gewählt und wird oft als diskriminierend empfunden. Zum einen, weil das Symptom Fatigue (Müdigkeit, Erschöpfung) eine Beschwerde ist - und keine Krankheit. Zum anderen ist die Fatigue zwar bei vielen Patienten ein herausragendes Symptom - aber lange nicht das Einzige. Und zum dritten verharmlost der Begriff die Brisanz dieser Erkrankung - wer ist heutzutage nicht mal müde und erschöpft?

      ME - Myalgische Enzephalomyelitis vs. Chronic Fatigue Syndrom - Fakten Hintergründe Forschung ist der Titel eines Buches von Katharina Voss. Die Bloggerin und Mutter zweier schwer erkrankter Töchter erläutert in dem Buch und in ihrem Blog den medizinischen Unterschied zwischen der „Myalgischen Enzephalomyelitis/ME“ und dem „Chronic Fatigue Syndrom/CFS“. Sie kritisiert, dass in der Praxis und in Studien unter dem Begriff CFS allzu leicht unterschiedliche Erkrankungen, die mit Erschöpfung einhergehen, subsummiert werden. Das 543 Seiten umfassende Buch widmet sich vielen weiteren ME-relevanten Themen. ▸ Siehe Anhang 2/ Blog und Anhang 3 / Buch

      In den USA wird die Erkrankung mittlerweile häufig „CFIDS“ genannt, als Abkürzung für „Chronic Fatigue and Immune Dysfunction Syndrome“ (Deutsch: „Chronisches Erschöpfungs- und Immundysfunktions-Syndrom“). Diese Bezeichnung hat sich im deutschsprachigen Raum nicht durchgesetzt.

      Im Februar 2015 hat das U.S.-amerikanische Institute of Medicine/IOM, (jetzt National Academy of Medicine/NAM) nach der Auswertung von 9000 wissenschaftlichen Arbeiten zu ME/CFS einen umfassenden Bericht mit dem Titel: Beyond Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: Redefining an Illness vorgelegt (Deutsch: „Jenseits von Myalgischer Enzephalomyelitis und Chronischem Müdigkeitssyndrom: Neudefinition einer Krankheit“). Die Kommission schlug in diesem Bericht die Bezeichnung „Systemic Excertion Intoleranz Disease“ (SEID)/ Deutsch: Systemische Belastungs-Intoleranz-Erkrankung vor. Bisher hat sich auch diese Bezeichnung nicht durchgesetzt. 1.1

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