ME/CFS erkennen und verstehen. Sibylle Reith

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ME/CFS erkennen und verstehen - Sibylle Reith Multisystemische Erkrankungen - die medizinische Herausforderung  unserer Zeit

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die letztgültige(n) „Taufe(n)“ der Namensgebung für ME/CFS, bzw. für dessen Untergruppen noch aus.

      Die Suche nach dem Biomarker

      Schon diese kurze Übersicht, die sich nur auf die Namensnennung bezieht, lässt erahnen, dass die Krankheit ME/CFS sehr vielschichtig ist. Bis heute gibt es keine schlüssige Erklärung für das Auftreten von ME/CFS und keinen bestimmenden einzelnen Labortestwert, der durchgängig bei allen Betroffenen eindeutig auffällig gewesen wäre.

      Wer an z.B. Rheumatoider Arthritis leidet, kann eine eindeutige Diagnose erwarten. Um diese Erkrankung und damit verbundene Gewebeschäden frühzeitig zu erkennen, steht eine ganze Palette von Biomarkern zur Verfügung.

      Biomarker sind messbare Laborparameter, die als eindeutige Indikatoren für die Diagnostik verwendet werden können. Pathologische Veränderungen lassen sich objektiv darstellen. Für ME/CFS wurde bisher kein eindeutiger Biomarker gefunden. Seit die Krankheit bekannt geworden ist, suchen Wissenschaftler nach einem Schlüssel, der einerseits die Unterschiedlichkeiten und andererseits die Gemeinsamkeiten erklären könnte.

      Gesucht wird ein Laborwert, der die eindeutige Aussage zulässt, ob jemand an ME/CFS erkrankt ist - oder eben nicht. Ein solcher Wert würde möglicherweise auch Auskunft über die Ursache der Erkrankung geben und als Grundlage für eine geeignete Therapie dienen. Und nicht zuletzt würde ein solch „beweisender“ Wert gutachterliche Auseinandersetzungen wesentlich vereinfachen.

      Nach jahrzehntelanger Suche gibt es erfreulicherweise in jüngster Zeit zunehmend internationale Studien, die Patienten und Behandlern Grund zur Hoffnung geben.

      In Kapitel 4 „Aktuelle internationale Forschung“ wird die Arbeit des 2015 gegründeten Forschungsverbundes EUROMENE vorgestellt. EUROMENE hat einen länderübergreifenden Forschungsbericht zu ME/CFS-relevanten potentiellen Biomarkern erstellt. Im gleichen Kapitel 4 werden einige herausragende Studien vorgestellt, deren Fokus auf das Finden von Biomarkern gerichtet ist.

      1.2 DIE INTERNATIONALEN ME-KONSENS-KRITERIEN 2011

      ME/CFS wird bislang nur über klinische Symptome diagnostiziert, also über die Beschwerden, die der Patient berichtet. Zu den gebräuchlichsten Konsenskriterien, die die Krankheit ME/CFS definieren, gehörten oder gehören:

      ■ Die Oxford-Kriterien 1991: Nach dieser Definition werden auch Patienten mit unspezifischen Erschöpfungszuständen, wie sie bei psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen beobachtet werden, eingeschlossen. Nach heutigen Erkenntnissen sind sie zu weit gefasst. Die Ergebnisse von Studien, die die Studienteilnehmer anhand dieser Kriterien auswählten, sind sehr umstritten.

      ■ 1994 wurden die sogenannten Fukuda Kriterien entwickelt, auf denen viele ältere Studien zu ME/CFS basieren. Auch sie schließen psychosomatische und psychische Erkrankungen nicht eindeutig aus. Psychische Erkrankungen und ME/CFS sind jedoch unterschiedliche Krankheitsbilder, auch wenn gemeinsame Symptome vorliegen.

      ■ 2003 wurden die sogenannten Kanadischen Konsenskriterien entwickelt. Sie beschreiben die immunologischen, neurokognitiven und weiteren Beeinträchtigungen. Sie bieten damit ein genaues und eng gefasstes Diagnoseschema. Zudem werden bewährte Therapieoptionen vorgestellt.

      Das Komitee des US-amerikanischen Institute of Medicine (IOM) schlug 2015 sehr kurzgefasste Kriterien vor. Die Erkrankung, für die von den Autoren der Name „Systemic Excertion Intoleranz Disease“ (SEID) vorgeschlagen wurde, liegt demnach vor, wenn der Patient seit mindestens sechs Monaten unter Fatigue, Post-Exertional Malaise und nicht erholsamem Schlaf leidet, kombiniert mit kognitiven Beeinträchtigungen und/oder einer Zustandsverschlechterung beim aufrechten Stehen. Diese Kriterien werden als zu undetailliert kritisiert.

      Die Internationalen ME-Konsenskriterien 2011/ME-ICC 2011

      Im Juli 2011 wurde eine überarbeitete, aktualisierte Version der Kanadischen Konsenskriterien 2003 in The Journal of Internal Medicine unter dem Originaltitel Myalgic encephalomyelitis: International Consensus Criteria 2011 (ME-ICC 2011)/Deutsch: Myalgische Enzephalomyelitis: Internationale Konsenskriterien 2011 veröffentlicht. 1.2 / 1, ME-ICC 2011

      13 Länder und ein breites Spektrum an Fachgebieten waren bei den Beratungen vertreten. Die Autoren betonen, dass durch diese Expertenrunde ca. 500 Jahre klinische Erfahrung abgebildet wurden - die von ihnen diagnostizierte und behandelte Patientenzahl wird mit insgesamt 50 000 Patienten angegeben. Mehrere Mitglieder des Gremiums haben wissenschaftliche Arbeiten und/oder Bücher publiziert.

      Nur für Patienten, die die Kriterien der ME-ICC 2011 erfüllen, soll der Begriff „Myalgische Enzephalomyelitis“ verwendet werden, da dieser die „genaueste und angemessenste Bezeichnung“ sei. Ziel der ME-ICC 2011 ist es, eine relativ homogene ME-Patientengruppe zu bilden, um sie mit anderen Patientenpopulationen vergleichen zu können und um spezifische ME-Krankheitsmechanismen zu erforschen.

      Patienten, die bislang nach unterschiedlichen Konsenskriterien eine ME oder CFS-Diagnose bekommen haben, sollen anhand der ME-ICC 2011 neu beurteilt werden Wer diese Kriterien nicht erfüllt, hat nicht ME, sondern fällt in die umfassendere, heterogene Klassifikation „CFS“, die zukünftig durch weitere Klassifizierungen in Subgruppen unterteilt werden kann.

      Die Internationalen ME-Konsenskriterien 2011 gelten aktuell verbindlich als wissenschaftlich-medizinische diagnostische Grundlage für ME. Sie sollen einerseits dazu dienen, diagnostisch eindeutig Patientengruppen für die Forschung bestimmen zu können, andererseits definieren sie Richtlinien für die Behandlung. Damit wurde ein wichtiger Beitrag zu einer, dem derzeitigen Forschungsstand entsprechenden, objektivierenden Klassifizierung geleistet.

      Patienten könnten anhand dieser Kriterien eine fachärztliche Diagnostik ihrer Krankheit erwarten. Die Realität sieht aktuell leider noch anders aus.

       Zum Weiterlesen:

      Der im Jahr 2012 herausgegebene International Consensus Primer for Medical practioners (englischsprachiger Download) basiert auf den ME-ICC 2011. Dieser Konsensleitfaden wurde auf Deutsch übersetzt. ▸ Siehe Anhang 3

      Auf den Seiten der Lost-Voices-Stiftung finden Sie einen Vergleich verschiedener Konsenskriterien: www.lost-voices-stiftung.org/ was-ist-me/diagnosekriterien/

      Vergleich der Konsenskriterien (Englischsprachig): Case definitions and diagnostic criteria for Myalgic Encephalomyelitis and Chronic fatigue Syndrome: from clinical-consensus to evidence-based case definitions. Gerwyn Morris, Michael Maes 2013 1.2/2, Morris, Maes

      1.2.1 ZUR VERWENDUNG DES BEGRIFFS „ME/CFS“ IN DIESEM BUCH

      Warum ist in diesem Buch im Folgenden nicht ausschließlich von ME die Rede, wie die ME-ICC 2011 es nahelegen, sondern von ME/CFS? Die Begrifflichkeiten bei diesem Krankheitsbild sind ein Dilemma. Denn kaum haben wir verstanden, dass ME sich unterscheidet von CFS, werden wir mit mehreren Stolpersteinen konfrontiert:

      ■ Die bisherigen Studien (auch aktuelle) verwenden entweder ME oder (meistens) CFS oder eine Kombination. Es klappt also nicht, ausschließlich den Begriff ME zu verwenden und dann Studien zu CFS oder zu ME/CFS darzustellen. Auch wegweisende Studien wie z.B. die Naviaux-Studie verwenden den Begriff „Chronic Fatigue SyndroME/CFS“. ▸ Siehe Kapitel 4.8

      ■ Der Begriff ME, ist nicht unumstritten, weil es nur wenige direkte Belege für eine Gehirnentzündung (Enzephalomyelitis)

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