Sie senden den Wandel. Viviana Uriona
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Ich finde es schwer vorstellbar, dass im Datenmaterial selbst bereits Erkenntnisse »schlummern«, die dort sozusagen objektiv bestehen und von jedem Forschenden gleichermaßen nur aufgefunden werden müssen, solange die Methode beachtet wird. Ich denke, im Datenmaterial schlummern vielmehr solche Erkenntnisse, die nach den ideellen Maßstäben, der sozialen Verortung, der Klassenzugehörigkeit und der Vorbildung des Suchenden dort spezifisch erkennbar werden. In diesem Punkt folge ich eher Strauss, der die Haltung vertrat, dass theoretisches Vorwissen in die Analyse der Daten notwendig einfließen müsse, wobei ich anmerken möchte, dass bereits das theoretische Vorwissen nicht allein gleichsam in der Summe des Gelesenen und Behaltenen besteht, sondern immer zugleich das »für richtig« und »für relevant« Gehaltene beinhaltet, das wiederum ohne Hinzuziehung der sozial-ökonomischen Verortung des Forschenden nicht sinnvoll bestimmt werden kann.
Ähnlich Strauss gemeinsam mit Corbin:
»Theory is not the formulation of some discovered aspect of a pre-existing reality ›out there‹ [...] Theories are interpretations made from perspectives as adopted or researched by researchers« (Strauss, A. und Corbin, J. 1994: 279)
Dazu schreibt Strübing aufschlussreich:
»Aus Daten allein ›emergiert‹ gar nichts, erst recht keine Konzepte. Zwar rekonstruiert der Kodierprozess in der Grounded Theory in der von Strauss und Corbin vertretenen Variante durchaus, doch ist der Prozess kein durchweg logischer, denn er kommt nicht ohne das kreative Zutun der Forschenden aus: Wir ›machen‹ Sinn aus den Daten, sie sprechen nicht zu uns. Auch wenn wir den Sinn der Interaktionen von Handelnden zu rekonstruieren versuchen, so ist der dabei zu leistende analytisch-interpretative Prozess doch kein logisch zwingender, sondern ein tentativ-experimenteller. Zwischen Daten und Konzepten liegen mühevolle Explikationen, die Aktivierung von alltags- und wissenschaftlichem Vorwissen und Heuristiken, Abduktionen, riskante, weil probabilistische Schlüsse und die fortgesetzte experimentelle Überprüfung vorläufiger Konzepte (Ad-hoc-Hypothesen) an systematisch ausgewähltem Datenmaterial.« (Strübing, J. 2006: 150)
Während der Analyse der Interviews sprachen die Daten also deutlich zu mir, während sie anderen Personen durchaus auch Anderes zu erzählen gehabt hätten. Die Daten gaben mir schon beim offenen Kodieren oft eine deutliche Richtung an, die ich dann durch das Heranziehen anderer Vergleiche und in zyklischer Form nicht selten validieren konnte (»Radio und sozialer Wandel«). Viele andere Codes (»Radio und Familie«), die bereits von Anfang an nicht relevant für die Analyse waren, validierten sich auch in ihrer Relevanzlosigkeit.
Diese notwendige Subjektivität besteht m.E. auch im Bereich der (zyklischen) Theoriebildung unter Berücksichtigung spezifischer Literatur. Für diese Arbeit habe ich eine Vielzahl von Literatur herangezogen, die vor allem im lateinamerikanischen Raum als relevant erachtet wird und im deutschsprachigen Raum bislang kaum bis gar nicht in der Sozialwissenschaft rezipiert wurde.
»People construct texts for specific purposes and they do so within social, economic, historical, cultural and situational contexts. Texts draw on particular discourses and provide accounts that record, explore, explain, justify, or foretell actions, whether the specific texts are elicited or extant.« (Charmaz, K. 2006: 35)
Viele der herangezogenen Texte lateinamerikanischer Autoren entstammen dem Feld eines kritischen dialektischen Materialismus. Es dürfte auf der Hand liegen, dass dessen Einbeziehung in die Theoriebildung deutlich andere Ergebnisse hervorbrachte, als es etwa im Falle der ausschließlichen Einbeziehung idealistischer (deutscher) Philosophie der Fall gewesen wäre.
»Es geht bei der Datenanalyse um die Dialektik von Daten und Theorie ebenso, wie von Feld und Forschenden.« (Strübing, J. 2006: 150)
Dimension sowie auch Relevanz des dialektischen materialistischen Aspekts werden in der vorliegenden Studie später vertieft (Kapitel 4: Quellenanalyse und Theoriebildung). Als ich meine Forschungen begann, kannte ich den ganz überwiegenden Teil der nun verwandten lateinamerikanischen Literatur selbst nicht. Ich las diese Literatur vielmehr erstmals entlang der Codierungen der Interviews. In weiten Teilen schien mir diese Literatur auch wesentlich geeigneter zur Theorienbildung als die (zum Teil) innerlich als untauglich verworfene europäische Literatur. In Teilen entsprach ich damit einer von Strauss und Corbin geforderten Haltung, wonach die Forschenden bereit sein müssten, vorhandenes Vorwissen auszublenden bzw. zu revidieren. (Corbin, J. und Strauss, A. 2008: 37-38)
2.2 Hinterfragung der gewählten Methode (Warum nicht Aktionsforschung?)
Intention der Aktionsforschung ist es (u.a.), praxisnahe Hypothesen aufzustellen, die zu Veränderungen im Sinne einer Problemlösung führen. Diese Studie sieht in der Hegemonie der klassischen Medien ein Problem, zu dessen Lösung sie beitragen möchte. Es wäre also zunächst nicht fernliegend, bei der Wahl der Methoden statt oder neben der Grounded Theory auch die Aktionsforschung15 einzubeziehen, zumal beide Methoden von einem starken Praxisbezug ausgehen. Beide Methoden können grundsätzlich ergänzend, also nebeneinander angewandt werden bzw. in einen befruchtenden Zusammenhang gebracht werden, wie unter anderem Dick feststellt.16 Dazu müssten dann m.E. aber auch für beide Ansätze die Minimalvoraussetzungen vorliegen. Dazu sogleich.
2.2.1 Darstellung der Aktionsforschung
Die Aktionsforschung versteht sich als eine problemlösende Forschungsstrategie, die die Akteur*innen und Forscher*innen gleichermaßen einbezieht. (Pieper, R. 1972)17 Von Anfang bis zum Ende eines Prozesses sollen Forscher*innen und Akteure Probleme feststellen und Lösungsansätze ausarbeiten, die entlang des realen Erlebens geschehen bzw. evident werden. Durch die zyklische Form des realen Prozesses (welche nicht zu verwechseln ist mit dem von der Grounded Theory angeratenen ideellen, zyklischen Durchlaufen abduktiver Logikkreisläufe) sollen Ergebnisse oder Lösungsansätze im konkreten Umfeld getestet bzw. ausprobiert werden.
»The research needed for social practice can best be characterized as research for social management or social engineering. It is a type of action-research, a comparative research on the conditions and effects of various forms of social action, and research leading to social action. Research that produces nothing but books will not suffice.«18 (Lewin, K. 1946: 202-203)
Bezüglich des Zyklischen benennt schon Moser im Jahr 1977 als Minimalkriterium, dass
»[...] ein Datenfeedback stattfinde[t]n soll, ein problematisierender Diskurs mit den Betroffenen.« (Moser, H. 1977a: 58)
Nach Moser ist die Aktionsforschung darauf ausgerichtet, auch die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse der Forschenden dem Feedback der Akteure zu unterziehen. (Moser, H. 1977a: 59) Und tatsächlich ist dem Ansatz wohlwollend entgegenzubringen, dass die Sozialwissenschaft ein merkwürdiges Verständnis von sich selbst hätte, wenn sie an ihrem Echo in der (sozialen) Realität kein Interesse hätte. Doch der Imperativ der Aktionsforschung geht noch weiter:
»Aktionsforschung […] erfordert die zielbezogene Diskussion konkreter Forschungsmethoden, wobei insbesondere mitzureflektieren ist, auf welche Weise die sozialen Beziehungen durch die betreffende Methode mitbestimmt bzw. verändert wird [sic!].« (Moser, H. 1977a: 60)
Sogar die Methodenwahl der Forschenden kann gemeinsam kritisch evaluiert werden, bis hin zu deren Abwahl und der Neuausrichtung der Forschung. (Moser, H. 1977a: 61)
Seit Lewin und über Moser hinweg hat sich die Aktionsforschung