Baltrumer Bärlauch. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Bärlauch - Ulrike Barow страница 9
Kurz darauf hatte Inga die Wellenzone hinter sich gelassen. Sie ließ sich rücklings vom Wasser tragen und die Sonne an ihrer Nase kitzeln. Und schnell war sie sich sicher, dass dieses Gefühl von Leichtigkeit nur mit dem Wort ›Paradies‹ beschrieben werden konnte.
Nach einer guten halben Stunde radelte sie zurück zu ihrer Wohnung. Kräftig trat sie in die Pedalen, denn nichts war ihr jetzt wichtiger, als den nassen Bikini vom Leib zu bekommen, den sie unter ihrem T-Shirt trug.
Von den beiden, die ihr den Blick zur Sonne verstellt hatten, war nichts mehr zu sehen gewesen. Hätten ja nur ins Wasser nachzukommen brauchen, dachte sie, dann hätte das mit der Bekanntschaft schon geklappt. Und der Blonde, so beschloss sie, der war schon eine Überlegung wert.
*
Gerdje Claassen saß mit ihrer Enkelin am Küchentisch. Sie hatte Tee aufgegossen und wartete darauf, dass er die richtige Stärke annahm. »Na, wie wär’s? Ein Stück Stachelbeerkuchen?«
»Gerne, Oma. Stachelbeeren aus dem eigenen Garten, wie üblich?«
»Natürlich, giftfreie Inselaufzucht, wie sich das gehört. Und nach der Ernte sofort eingekocht.«
»Du und dein Garten. Aber schön, dass du so viel Spaß daran hast. Ist auch wichtig zum Abschalten. Wie viele Gäste hast eigentlich im Moment?«
»Ach, nur fünf. Aber ist vielleicht auch gut so. Bei der kleinen Zahl kommen die sich wenigstens auf dem Klo und in der Dusche nicht in die Quere.« Gerdje legte ein dickes Stück Kluntje in jede der dünnschaligen Teetassen und goss Tee darüber. Das Knacken der Zuckerstücke verbreitete Gemütlichkeit in der altmodischen Küche. »Heidi hat auch gesagt, wir sollten umbauen. In Ferienwohnungen. Aber schließlich sind wir nicht mehr die Jüngsten. Alle anderen sind in unserem Alter schon drei Mal in Rente. Aber unsereins schuftet weiter und weiter, weil er es nicht anders gelernt hat. Vorruhestand, wenn ich das Wort schon höre …«
»Aber Opa hat das mit dem Vorruhestand doch prima hingekriegt, oder?«
Gerdje unternahm den mühsamen Versuch einer Erklärung, wohl wissend, dass sie bei ihrer Enkelin auf taube Ohren stieß. »Dein Opa hatte es im Kreuz, vergiss das nicht.«
»Klar, die letzten dreißig Jahre. Mensch, Oma, wach doch mal auf.«
Gerdje seufzte. »Womit wir wieder beim Thema wären, Lena. Bitte tu mir den Gefallen und lass Opa in Ruhe. Ich bin diejenige, die das ausbaden muss, wenn du wieder weg bist.« Gerdje strich auf der bunt gemusterten Plastikdecke unsichtbare Falten glatt. »Aber eines ist klar, ich muss bald wirklich mit der Arbeit aufhören. Ja, ja, ich weiß, ihr redet seit Jahren, und ich habe es mir selber aufgehalst, aber es ging immer noch ganz gut, und letztendlich hält der Umgang mit den Gästen jung und geistig rege. Und waschen, mangeln und bügeln ersetzt jedes Fitness-Center. Das glaub man.«
Noch immer waren Oma Gerdjes Hände unablässig in Bewegung. »Nur, kannst du mir sagen, wie das dann hier weitergehen soll? Habt ihr euch darüber schon mal Gedanken gemacht? Euren Opa kriegt ihr nicht von der Insel, das ist sicher. Das Haus verkaufen? Wo sollen wir dann hier hin? Nicht verkaufen und von unserer fast nicht vorhandenen Rente leben, ist aber auch nicht unbedingt ein Gedanke, der mich aufmuntert. Opa hat nicht viel zusammenbekommen, und ich hab immer nur den Mindestsatz eingezahlt. Aber wenigstens das habe ich gemacht. Gibt genug alte Insulaner, die das nicht für nötig gehalten haben. Schließlich sind wir selbständig. Uns kann keiner. So war die Meinung damals. Hat sich Gott sei Dank heutzutage etwas geändert, dieser Standpunkt.«
Lena schaute ihre Oma betroffen an. »Ich muss mich echt entschuldigen, Oma. Es war mir bis jetzt überhaupt nicht klar, was du für Probleme an den Hacken hast.«
»Und noch eins, Lena. Früher haben wir unser Haus nur im Baltrum-Prospekt angeboten. Die Leute, die ihren Urlaub hier verbringen wollten, haben sich den angesehen und dann einen Brief an uns geschrieben. Später kamen die telefonischen Anfragen. Damit konnten wir leben, das hatten wir gelernt. Aber heute geht alles nur über den Computer. Wir haben seit bestimmt zehn Jahren keine schriftliche Anfrage mehr bekommen. Die Leute wollen alles schnell wissen, sich sofort ein Bild von ihrer Wohnung machen können. Das ist der Lauf der Zeit. Auch telefonisch tut sich kaum noch etwas. Wenn du keine Homepage hast, kannst du die Vermietung vergessen.«
Lena lächelte ihre Oma an. »Mensch, Oma, mit was für Worten du herumwirfst. Kompliment.«
»Jetzt ist es aber gut, Lena, erstens bin ich knapp über siebzig und nicht alt, und zweitens habe ich mir das auf Heidis Computer angesehen. Bei der laufen die Vermietungen prima. Bei ihr kann man sogar einen Rundgang durch die Wohnung machen, und alles sehen, bis in die hinterste Ecke. Also, per Kamera natürlich.«
»Virtuell nennt man das, Oma. Sag mal, was sollte dich eigentlich daran hindern, einen Computerkurs zu belegen?« Lenas Augen strahlten.
»Erstens die Insellage. Wo soll ich denn hier wohl so ’n Kurs machen? Und zweitens, selbst wenn ich das schaffen sollte, müssten wir Hinrich noch überreden, dass wir uns einen Computer kaufen. Und was sollen wir denn anbieten auf unserem virtuellen Rundgang, Lena? Unsere altmodischen Zimmer mit den dunklen Möbeln, Klo und Badezimmer auf dem Flur mit braunen Fliesen bis zur Decke und Opa, wie er in unserer Fünfziger-Jahre-Küche rumhängt? Außerdem, ganz ehrlich, ich habe keine Lust mehr zu einem Neuanfang.« Gerdje ließ resigniert den Kopf hängen. »Wenn ich wüsste, dass einer von euch Interesse daran hätte, das Haus zu übernehmen, dann sähe das anders aus, aber ihr müsstet mit dem Klammerbeutel gepudert sein, eure guten Jobs aufzugeben, um hier für die Gäste die Klos zu putzen. Ganz abgesehen davon, was an dem Haus erst noch alles gemacht werden müsste. Schau dich doch um«, ihre weit ausholende Armbewegung umfasste das Küchenrund. »Nee, so einfach, wie du das gerne hättest, ist das alles nicht. Wir hätten Schritt halten müssen, investieren, immer alles auf den neuesten Stand bringen. Heute weiß ich, dass es mein größter Fehler war, ständig auf Hinrich Rücksicht zu nehmen. Aber nun ist es zu spät.«
Lena schaute ihre Großmutter an. »Weißt du, was ich glaube, Oma? Wenn Opa dir nicht als ewiger Hemmschuh an den Hacken kleben würde, dann würdest du glatt noch mal durchstarten. Aber so, das stimmt schon, da vergeht einem die Lust. Aber du kannst ihn schlecht ins Altersheim stecken, oder? Da würde das Personal ihn spätestens nach zwei Wochen zurückschicken.«
»Lena, jetzt halt aber mal den Rand.« In Gerdjedines Gesicht machten sich Lachfalten breit. »Aber ich sehe schon, ich muss mir was einfallen lassen.«
»Wenn du mich brauchst, ich bin da. Aber jetzt weihe ich erst mal die Liegewiese ein.«
Als Lena die Küche verlassen hatte, wurde Gerdje schlagartig wieder ernst. Es stimmte, sie musste sich etwas einfallen lassen. Sie musste Hinrich daran hindern, den Vertrag zu kündigen. Sie durfte sich nicht wieder durch seine schroffe Art abwimmeln lassen. Aber wie oft hatte sie es schon aufgegeben, ein Gespräch mit ihm zu Ende zu bringen. Wie oft hatte sie schon gegen die Fernbedienung ihres altersschwachen Fernsehers verloren.
*
Frisch geduscht stieg Inga die Treppe hinunter und ging in den Garten, neugierig, ob der Mann ihrer Vermieterin wohl schon an der Arbeit war.
»Kommen Sie man rein, junge Frau.« Eine Stimme im tiefsten Bass schallte ihr entgegen. »Hier bin ich, in meinem Atelier.«
Sie entdeckte eine kleine grüne Laube, die sich zwischen zwei mächtige Holunderbüsche zwängte. Die Zweige hingen schwer von beinahe schwarzen Beeren.
»Die