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»Jetzt stell dir mal vor, ich wäre genauso betriebsam wie du«, konterte ihr Kollege.
Betriebsam? Sie verkniff sich eine Antwort und betrachtete Ole Tiedemann aus den Augenwinkeln. Heute wirkte er besonders blass, unter seinen Augen konnte man sogar das Schimmern der Adern erkennen. Ihr Kollege sah immer ein wenig kränklich aus und einmal mehr fiel Malin auf, dass sie im Grunde nichts von ihm wusste.
»Sag mal, Ole, wohnst du eigentlich mit jemandem zusammen?«, platzte es aus ihr heraus.
»Wie kommst du jetzt darauf?« Er schaute sie überrascht an.
»Na ja, solange Fred im Urlaub ist, sind wir ja mehr oder weniger Teampartner. Sollte man da nicht etwas besser übereinander Bescheid wissen?«
»Ich bin allein.« Tiedemanns Miene war ausdruckslos. Nach einigen Sekunden fügte er leise hinzu: »Es ist lange her, dass mich überhaupt jemand danach gefragt hat.«
Malin fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Sie wünschte, sie hätte einen besseren Zeitpunkt für ihre Frage gewählt.
Gregor Lenz hatte einen bulligen jungen Mann mit Kochschürze im Schlepptau, als er zurück in den Gastraum kam. »Das ist Friedhelm, mein Koch. Und das«, er wies auf die beiden Kriminalbeamten, »sind die Herrschaften von der Polizei. Bei unseren Schmauchfreunden ist es doch vor einiger Zeit etwas lauter zugegangen. Weißt du noch, ob der hier dabei war?« Der Wirt wies auf Wenningers Foto, das noch immer auf der Theke lag.
Der Koch nickte sofort. »War er. Ich bin ihm im Flur über den Weg gelaufen. Der war ziemlich besoffen.«
»Weißt du auch noch, an welchem Tag?«
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Dienstag, der fünfte August. Das war der Tag, an dem ich eigentlich frei hatte«, sagte er spitz.
»Haben Sie mitbekommen, worum es ging?«, mischte sich Malin ein, bevor Lenz auf den unüberhörbaren Vorwurf seines Kochs reagieren konnte.
Friedhelm schüttelte den Kopf. »Nein, nur dass der Alte total aufgebracht war. Ich glaube, er wollte gerade gehen.«
»Wissen Sie noch, wie spät es da war?«
»Muss kurz vor zwölf gewesen sein, ich war gerade mit dem Saubermachen fertig und wollte Feierabend machen. Mehr weiß ich aber auch nicht. Kann ich wieder in die Küche? Meine Sauce brennt sonst an.«
»Gehen Sie nur.« Tiedemann wandte sich wieder dem Wirt zu. »Haben Sie vielleicht ein paar Namen für uns?«
Lenz schüttelte den Kopf. »Ich führe hier keine Anwesenheitsliste, ich habe nur den Raum vermietet.«
»Und wer bezahlt die Miete?« Tiedemann steckte Wenningers Foto wieder ein und zückte sein Notizbuch.
Der Wirt dachte angestrengt nach. »Wie heißt der noch gleich … König, Kaiser, irgendwie so.«
»Irgendwie so?« Tiedemanns Miene wurde streng. »Für die Miete muss es doch Belege geben.«
»Da müsste ich erst nachsehen.« Gregor Lenz wurde rot. »Zu Hause.«
»In Ihrem eigenen Interesse wäre es besser, wenn Sie diese Belege finden würden.«
Lenz nickte. »Heute Abend findet übrigens auch ein Treffen der Schmauchfreunde statt. Um acht.«
»Wir kommen wieder.« Tiedemann warf dem Wirt einen finsteren Blick zu und drehte sich um.
Malin folgte ihm zum Dienstwagen. »Es gibt keine Belege.«
Ihr Kollege deutete ein Nicken an. Er schien etwas sagen zu wollen, doch er zögerte einen Moment. »Wegen deiner Frage vorhin, Malin … Mach dir keine Gedanken um mich. Ich halte Berufliches und Privates getrennt. Das ist besser so.« Bevor sie etwas erwidern konnte, stieg er in den Dienstwagen und startete den Motor.
Zwei Stunden später stand Malin vor Frickes klobigem Holzschreibtisch, einem Relikt seiner früheren Dienststelle, und sah ihren Vorgesetzten ungläubig an. »Das ist nicht dein Ernst, Chef!«
»Das ist mein völliger Ernst.« Fricke zog ein Salamisandwich aus einer Papiertüte und biss genüsslich hinein. »So gut solltest du mich mittlerweile kennen«, fügte er zwischen zwei Bissen hinzu.
»Aber, Chef.« Malin setzte sich unaufgefordert auf den durchgesessenen Besucherstuhl. »Vielleicht …«
Fricke unterbrach sie mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Nichts da. Ole und Sven übernehmen diesen Pfeifenclub. Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, mich um den Finger zu wickeln. Dein Undercover-Einsatz an der Corvinius Law School war das letzte Mal, dass dir das gelungen ist. Und wir wissen beide, wie das geendet hat.« Er nahm einen weiteren Bissen von seinem Sandwich und warf ihr einen scharfen Blick zu. »Ich erwarte, dass du dich an meine Anweisungen hältst.«
Malin hätte ihn gern darauf hingewiesen, dass sie mit ihrem verdeckten Einsatz damals den Ermittlungen entscheidend auf die Sprünge geholfen hatte, doch sie bemerkte gerade noch, wie sich Frickes Hals rosa verfärbte. Wenn die Farbe erst einmal bis ins Gesicht wanderte und ins Dunkelrote wechselte, wäre mit ihrem Chef nicht mehr gut Kirschen essen. Es lohnte sich nicht, ihn an diesem Punkt weiter zu reizen. Auch sie hatte dazugelernt.
»Außerdem habe ich für dich eine ganz andere Aufgabe.« Fricke griff nach der Serviette und wischte sich die verbliebenen Brotkrümel vom Mund. »Du hast doch in der Vergangenheit schon öfter dein Händchen für ältere Damen unter Beweis gestellt.«
»Hab ich?«, fragte Malin irritiert.
»Du wirst dich gleich morgen früh um Wenningers Schwester kümmern. Fühl ihr auf den Zahn. Ich will wissen, was es da für Feindseligkeiten zwischen ihr und ihrem Bruder gegeben hat. Frag sie auch nach diesem Michael Baumann. Konfrontiere sie mit dem Testament.«
Malin nickte. »Soll ich jemanden mitnehmen?«
Der Anflug eines Lächelns streifte Frickes Lippen. »Ich denke, das bekommst du genauso gut alleine hin.« Dann wurde sein Blick ernst. »Günther Peters von 412 geht Ende des Jahres in Ruhestand.«
Malin sah ihren Vorgesetzten fragend an. Was hatte sie mit dem Kollegen aus einem der anderen Ermittlungsteams zu tun?
Fricke räusperte sich. »Dein Teampartner hat mir vor seinem Urlaub mitgeteilt, dass er sich für Günthers Stelle beworben hat.« Er musterte Malin aus zusammengekniffenen Augen. »Weißt du etwas über Fredericks Gründe, Brodersen?«
Malin erstarrte. Er hatte es also tatsächlich getan. Sie dachte an den heftigen Streit mit Frederick Bartels während der Ermittlung vor zweieinhalb Monaten. Am Ende ihrer Auseinandersetzung hatte ihr Partner verkündet, das Team nach Abschluss des Falls zu verlassen. Das war vor acht Wochen gewesen.
»Brodersen?«
Malin schluckte. »Ich …« Sie biss sich auf die Lippe.
»Er hat dir nichts davon gesagt, oder?« Fricke strich sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Eine schöne Bescherung. Du solltest mit ihm reden, Brodersen. Ich hatte immer das Gefühl, ihr hättet einen besonderen Draht zueinander. Vielleicht lässt er sich von dir umstimmen.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Am besten machst du jetzt Feierabend. Sortier deine Gedanken,