Das Sandmann-Projekt. Anette Hinrichs
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Читать онлайн книгу Das Sandmann-Projekt - Anette Hinrichs страница 6
»Frau Wenninger«, sagte Malin, »Ihr Bruder ist keines natürlichen Todes gestorben.«
»Sie meinen, er wurde ermordet?« Ilse Wenninger schnaubte. »Auch das wundert mich nicht. Er war intrigant und raffgierig.«
»Können Sie das vielleicht ein wenig ausführen?« Malin war verblüfft.
Ilse Wenninger reckte angriffslustig ihr Kinn. »Das sind Familiengeschichten. Und die gehen die Polizei überhaupt nichts an.«
Tiedemann ergriff das Wort, ehe Malin reagieren konnte. »Wann haben Sie Ihren Bruder zuletzt gesehen?«
»Bei der Beerdigung unserer Mutter. Vor dreiundzwanzig Jahren.«
»Aber Sie hatten schriftlichen Kontakt?«, hakte er nach.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Wir haben die Aussage des Postboten, dass er einen Brief von Ihnen an Ihren Bruder zugestellt hat.«
Ilse Wenninger schüttelte rigoros den Kopf. »Der Mann muss sich irren.«
Malin warf Tiedemann verwundert einen Blick zu, doch ihr Kollege ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ihr Verhältnis zu Ihrem Bruder war also nicht besonders gut?«
Wieder schnaubte die Alte. »Das ist noch maßlos untertrieben.«
»Gibt es noch weitere Familienmitglieder?«
Ihr Blick wurde wachsam. »Nur noch meine Tochter Ruth und ihre zwei Kinder.«
»War Ihr Bruder verheiratet?«
Ilse Wenninger schüttelte den Kopf. »Genauso wenig wie ich. Eine unserer kümmerlichen Gemeinsamkeiten. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie jetzt bitten, zu gehen und meine Zeit nicht länger zu vergeuden. In meinem Alter hat man schließlich nicht mehr allzu viel davon.« Die alte Frau erhob sich aus ihrem Sessel und verließ erstaunlich flink den Raum.
Malin und Tiedemann tauschten einen kurzen Blick und folgten ihr in den Flur. Keine Minute später standen die beiden Kriminalbeamten im Treppenhaus.
Tiedemann kratzte sich hinterm Ohr. »Ich sag’s ja immer. Im Alter werden sie alle schrullig.«
25. Januar 1979
Sie hatten ihr die Augen verbunden und ihre Hände gefesselt. Jemand packte sie grob am Oberarm und stieß sie über eine Stufe in eine Art Metallverschlag. Ein Riegel wurde vorgeschoben. Rena konnte sich kaum rühren, so eng war es. Dann wurde ein Motor angelassen.
Ich bin in einem Auto, schoss es ihr in den Sinn. Das Gefährt setzte sich in Bewegung.
Die Angst schnürte Rena die Kehle zu. Was hatte man mit ihr vor? Was war mit Romy? Bei dem Gedanken an ihre kleine Tochter schluchzte sie auf. »Wo bringen Sie mich hin?!«
Niemand antwortete. Das Fahrzeug nahm eine scharfe Kurve und Renas Kopf prallte mit voller Wucht gegen die Metallwand. Tränen schossen ihr aus den Augen. Sie rückte ihre Glieder zurecht, um eine bequemere Position zu finden. Das Bild ihrer kleinen Tochter im Nachthemd, den Schlenkerbären an die Brust gepresst, schob sich zurück in ihr Gedächtnis. Was hatten sie mit Romy gemacht?
Erneut prallte ihr Kopf gegen Metall. Die Fahrt zog sich schier endlos. Die Fesseln schmerzten an ihren Handgelenken. Es war stickig in dem Gefährt und Rena hatte Schwierigkeiten zu atmen. Sie durfte nicht in Panik geraten.
Das Tempo hatte sich mittlerweile erhöht. Rena schärfte ihre Sinne. Sie fuhren über eine Straße mit nur wenigen Unebenheiten. Die Autobahn? Jemand in der Fahrerkabine hustete.
»Wo bringen Sie mich hin?!« Wieder keine Antwort. Peter, schoss es ihr durch den Kopf. Peter würde bald nach Hause kommen und sich um alles kümmern. Er würde sofort merken, dass etwas nicht in Ordnung war. Einen Moment lang war sie erleichtert.
Und wenn Peter aufgehalten wurde? Es wäre nicht das erste Mal, dass sich seine Dienstreise unerwartet verlängerte.
Das Tempo wurde gedrosselt und das Gefährt bog in eine scharfe Kurve. Ihre Knie stießen gegen Metall, doch zumindest gelang es Rena, dieses Mal den Kopf rechtzeitig zurückzureißen. Der Wagen rumpelte wie über Kopfsteinpflaster und hielt schließlich an. Ein Tor wurde geöffnet. Die Fahrt ging im Schritttempo holprig weiter. Kurze Zeit später ein weiteres Tor. Bald darauf kam das Gefährt endgültig zum Stehen.
Rena hörte, wie Autotüren geöffnet wurden. Ein paar gedämpfte Stimmen waren zu vernehmen. Dann wurde die Tür zu ihrem Metallspind aufgesperrt. Jemand zog sie unsanft am Arm und Rena stolperte aus dem Wagen. Es war ein komisches Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Dann wurde ihr mit einem Ruck die Augenbinde vom Kopf gerissen.
5
Es dämmerte bereits, als Malin die verzinkte Stahlbrücke betrat, die vom Uferweg am Eilbekkanal zu einem modernen, holzverkleideten Hausboot mit Glaskuppeldach führte. Thies Conradi hatte seine Unterkunft mit dem Komfort eines Einfamilienhauses von einem befreundeten Architekten zur Verfügung gestellt bekommen, solange dieser im Ausland weilte.
Thies saß mit einem Buch in der einen und einem Glas Weißwein in der anderen Hand auf einem der Teakstühle auf der großen Holzterrasse.
Wie friedlich es hier ist, dachte Malin mit einem Blick auf das ruhig liegende Gewässer, in dem sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages spiegelten. Die vergangenen zwei Wochen hatte sie fast komplett bei Thies auf dem Hausboot verbracht. Malin hatte den Professor für Strafrecht während einer Ermittlung an der Corvinius Law School zweieinhalb Monate zuvor kennengelernt, während sie dort den Mord an einer Studentin untersuchte. Damals hatte sie sich noch mitten in dem Gefühlschaos befunden, das ihr Teampartner Frederick Bartels ausgelöst hatte, in den sie lange Zeit verliebt gewesen war. Fred war verheiratet, einer der Gründe, warum aus ihnen kein Paar wurde. Und dann war Thies auf der Bildfläche erschienen.
»Malin!« Thies ließ sein unwiderstehliches Lächeln aufblitzen. Er legte sein Buch beiseite und umfasste ihre Taille, als sie neben ihn trat. »Möchtest du auch ein Glas Wein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde lieber erst etwas essen.«
»Erst?« Er zwinkerte schelmisch.
»Vor dem Wein, meinte ich.« Sie löste sich lächelnd aus seiner Umarmung und trat durch die geöffnete Schiebetür ins Innere. Lasierte Eichendielen, eine weiße Sitzlandschaft und ein offener Essbereich samt Designer-Küche bildeten den Wohnbereich des Oberdecks.
Gleich zu Beginn ihrer Beziehung hatte Thies sie aufgefordert, sich auf dem Hausboot wie zu Hause zu fühlen. Dennoch kam es Malin immer noch vor, als täte sie etwas Verbotenes, wenn sie sich am Kühlschrank bediente.
Sie entdeckte eine Schüssel Salat, ein Schälchen mit gegrillten Scampi und eins mit selbstgemachtem Dressing. Malin nahm alles heraus, zog Besteck aus einer der Schubladen und mischte die Zutaten zusammen. Sie schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein und ging mit ihrem Essen zurück auf die Terrasse.
»Im Brotkorb sind noch zwei