Gin - Alles über Spirituosen mit Wacholder. Karsten Sgominsky

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Gin - Alles über Spirituosen mit Wacholder - Karsten Sgominsky

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künstlichen Aromatika versetzt. Aufgrund mangelnder Strukturen und Mittel, später zusätzlich verstärkt durch die amerikanische Wirtschaftskrise ab 1929, war die Prohibition von Anfang an nicht wirksam umsetzbar. Sie wurde nicht umsonst als «The noble experiment» («Das ehrenhafte Experiment») bezeichnet. Im Dezember 1933 wurde unter der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt das Gesetz zur Prohibition wieder aufgehoben, es aber den einzelnen Staaten der USA überlassen, es beizubehalten oder aufzuheben. Bis 1948 war die Prohibition in drei Staaten immer noch gültig.

      Nach Aufhebung des Alkoholverbots ging das Trinken von Alkohol und (Gin-)Cocktails in gewohnter Manier weiter, jetzt aber eben wieder legal und mit qualitativ besseren Spirituosen.

      Als die Prohibitionszeit begann, wurden viele Bartender brotlos und eine baldige Zurücknahme des Verbots war nicht absehbar. Deshalb machten sich nicht wenige von ihnen auf den Weg nach Europa, wo sie offiziell ihrem Beruf nachgehen konnten, und brachten dadurch die Barkultur verstärkt in die Alte Welt. Gin war groß in Mode und in Cocktails sehr gefragt. Doch im Wandel der Zeiten und auf der steten Suche nach Neuem ermattete in England das Interesse an Cocktailpartys schon gegen Ende der 30er-Jahre. An ihre Stelle traten jetzt Sherry-Empfänge. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs fiel für Cocktails gänzlich der Vorhang. Gin wurde nur noch in stark reduzierten Mengen hergestellt. Alle Getreide­kapazitäten waren der organisierten Versorgung der Truppen und Zivilbevölkerung zugeführt worden, denn der Seekrieg verursachte unübersehbare Lücken. Gin gab es nur noch rationiert und unter dem Ladentisch. Cocktails waren ausschließlich noch jenen möglich, die entweder genügend Vorräte hatten oder privilegierten Zugriff auf die Alkoholbestände.

      Über dem Ärmelkanal in den Niederlanden und Belgien sah man hin­gegen eine Wiederholung dessen, was man teils schon aus dem Ersten Weltkrieg kannte: Deutsche Besatzungstruppen beschlagnahmten Destillieran­lagen, um diese einzuschmelzen und der Rüstungsindustrie zuzuführen. Dieses Vorgehen beeinträchtigte zusätzlich die ohnehin schon über die letzten Jahrzehnte rückläufige Genever-Industrie, zumal internationale Absatzmärkte fehlten, denn Exporte waren zu Zeiten des Krieges wohl gänzlich unmöglich.

      So begab es sich, dass ab der Nachkriegszeit Genever ein Produkt von rein regionaler Bedeutung wurde, das Interesse am Old Tom Gin stark zurückgegangen war und die internationale Showbühne ganz dem ­London Dry Gin gehörte.

      Gin-Renaissance

      Auch unter den britischen London-Dry-Gin-Herstellern hatte der Zweite Weltkrieg im wahrsten Sinne des Wortes seine Opfer gefordert. Mit den 1950er-Jahren lebte der Gin aber wieder auf und hatte seinen Höhepunkt in den 1960ern, als er die meistgetrunkene weiße Spirituose der westlichen Welt war.

      Aus diesem Grunde wirkt es mehr als paradox, dass die Filmfigur des britischen Agenten James Bond nicht das Nationalgetränk Groß­britanniens als Martini-Cocktails trinkt, sondern Wodka Martinis. Superagent 007 wurde vom britischen Autor und Gin-Liebhaber Ian Fleming erfunden, der James Bond in seinen Büchern, die von einer britischen Produktionsfirma verfilmt wurden, Gin Martinis trinken ließ. Die Voraussetzungen konnten britischer nicht sein, warum also Wodka statt Gin? Die einzige Erklärung dafür: Produktplatzierung für Smirnoff Wodka. Dass die James-Bond-Filme der 60er-Jahre den Trendwechsel «pro Wodka – kontra Gin» einläuteten, wäre eine kühne Behauptung. Gänzlich abwegig ist sie dennoch nicht, hält man sich den Welterfolg der James-Bond-Filme vor Augen. Immer mehr Cocktail­rezepturen enthielten Wodka und ab den 70ern hatte der Wodka den Gin weltweit fast völlig verdrängt.

      Erst Mitte der 90er-Jahre besinnt man sich wieder der traditionellen Barkultur. Gin steht wieder höher im Kurs und feiert eine dezente Revitalisierung. Mit seiner eigentlichen Renaissance im großen Stil ließ er sich aber noch bis zum Jahrtausendwechsel Zeit. Allein in den letzten Jahren sind unglaublich viele neue und vor allem hochwertige Gins auf den Markt gekommen, die nicht nur eine Neubelebung des mit anderen Spirituosen übersättigten Markts herbeiführten, sondern in denen auch durch filigrane Herstellungsmethoden eine Vielzahl von Aromaträgern zur ­Anwendung gelangt, die das großartige Potenzial des Gins zu neuen Höhen emporklimmen lässt. Wo man in den meisten Bars noch vor nicht allzu langer Zeit höchstens drei bis vier verschiedene Gin-Sorten sah, sieht man heute oftmals mehr Gins als Whiskeys oder Wodkas im Angebot. Gleichzeitig hat sich auch sehr viel in Sachen Tonic getan. Neue, geschmacklich sehr unterschiedliche Tonics ermöglichen zusätzliche Variationen, sodass man heutzutage einen Gin Tonic auf mannigfaltige Weise probieren und genießen kann.

      Die Welt der Cocktails befindet sich seither in einem steten Progress. Durch Barmessen und das Internet werden Trends, Ideen, Entdeckungen, alte und neue Rezepturen viel schneller als dereinst kommuniziert, wodurch sich eine neoklassische Barkultur entwickelt hat. Der Gin hat von diesem jähen Aufschwung in grandioser Manier profitiert, und in seinem Fahrwasser segelt auch zunehmend der Genever wieder mit. Dem Bartender und dem Cocktail-Connaisseur gleichermaßen bieten sich jetzt noch nie da gewesene Kombinations- und Auswahlmöglich­keiten bei der Zusammenstellung von Cocktails und Longdrinks, wobei die heutigen Gins, Old Toms und Genever auch pur ein Genuss sein ­können. Die Geschichte des Gins ist hier aber nicht zu Ende, sondern geht weiter, und wir können uns glücklich schätzen, Zeitzeugen einer neuen Gin-Ära zu sein.

      Kapitel 2:

      Gin

      Gin – wie schon im vorangegangenen Kapitel beschrieben, handelt es sich hierbei um eine Spirituose, die mit Wacholderbeeren und einer Auswahl verschiedenster Kräuter, Gewürze und Zitrusfrüchte, zusammengenommen «Botanicals» genannt, aromatisiert ist.

      Der Grundstock

      In den Anfängen der Gin-Herstellung diente Getreide als Ausgangs­basis. Um 1920 regelte man in England per Gesetz die Herstellung des Gins dahingehend, dass neben Getreide seitdem auch Rohstoffe wie Wein, Rüben, Kartoffeln, Zuckerrohr und Obst für die Alkoholgewinnung zum Einsatz kommen dürfen. Diese Regelung hat noch heute Bestand, obwohl ­primär Getreidealkohole verwendet werden.

      Durch das mehrfache Destillieren vergorener Maische oder Melasse aus den oben aufgeführten Rohstoffen werden Neutralalkohole von bis zu 96% Vol Alkohol ausrektifiziert, um sie geschmacklich zu neutra­lisieren; daher auch die Bezeichnung «Neutralalkohol». Nur wenige Gin-Hersteller produzieren ihren Neutralalkohol noch selbst. Stattdessen wird dieser von Firmen zugekauft, die sich darauf spezialisiert haben.

      Dieses rektifizierte Destillat wird für den weiteren Verarbeitungsprozess heruntergewässert (verschnitten). Wieso? Derart hochprozentiger Neutral­alkohol würde sich als zu aggressiv erweisen, um ein schonendes Extrahieren der Geschmacksstoffe aus den Botanicals zu ermöglichen.

      Gin entsteht

      Wie kommen nun die Aromen der Botanicals in den Neutralalkohol? Die gängigsten Vorgehensweisen sind die Mazeration und die Dampf­infusion.

      Mazeration: Hier werden die ausgesuchten Botanicals für eine bestimmte Zeit in den Neutralalkohol eingelegt, um dadurch die Aromastoffe zu ­extrahieren. Dieser Vorgang kann über Nacht erfolgen oder ein paar Tage oder auch länger dauern. Die Botanicals werden üblicherweise in Beutel gefüllt und zum Mazerieren eingelegt.

      Eine Nebenform ist die Digeration, in der für die Mazeration erwärmter Alkohol verwendet wird. Da jedes Botanical seine Aromastoffe unterschiedlich schnell abgibt, ist die separate Mazeration einzelner Botanicals (oder Botanical-Gruppen) eine zwar aufwendigere, aber zusehends immer populärer werdende Methode.

      Nach der Mazeration erfolgt eine abschließende Destillation, an deren Ende ein wichtiger Arbeitsschritt steht: die Abtrennung von Vorlauf* und Nachlauf*. Hier kommt die ganze Erfahrung des Brennmeisters zum Tragen, denn er muss den Mittellauf, der das Herzstück bildet, genau abtrennen.

      * siehe www.gin-buch.de

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