Jenseits-Welten. Ernst Sturmer
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Das Grab ist der Treffpunkt zwischen den Lebenden ‒ den Hinterbliebenen ‒ und den Toten. Die Toten bleiben Teil der Familie. Die Ba-Seele des Verstorbenen ist einerseits an den Körper bzw. an die Mumie gebunden, kann sich aber anderseits außerhalb des Grabes frei bewegen und die Welt der Lebenden durchwandeln. Zum Beispiel besucht sie Orte, an denen sie sich zu irdischen Lebzeiten gern aufgehalten hat. Sie kann sogar zu den Sternen fliegen oder mit dem Sonnengott über den Himmel reisen.
Zunächst durchwandern die Verstorbenen bzw. deren als menschenköpfiger Vogel dargestellte Seele (Ba) aber die labyrinthische Unterwelt.
Ba – vergleichbar mit unserer Seele – wird als Vogel mit Menschenkopf dargestellt. Der Ba macht die Persönlichkeit aus
Die Ba-Seele schwebt über der Mumie
Die den Toten als Grabbeigaben mitgegebenen Totenbücher ‒ Jenseitsführer ‒ weisen ihnen den Weg und unterrichten sie mit Tipps und Tricks über das richtige Verhalten in der geheimen, schauerlichen und bedrohlichen Unterwelt. Wenn sie die auf der Reise lauernden existentiellen Gefahren heil überstanden haben, müssen sie sich in der „Halle der Wahrheit“ dem Jenseits-Tribunal mit 42 dämonischen Totenrichtern stellen. Im sogenannten „negativen Sündenbekenntnis“ zählen die Prüflinge litaneiartig auf, was sie alles an Untaten nicht getan haben. Zum Beispiel: dass sie keine Tiere gequält, kein Waisenkind um sein Eigentum geschädigt, keinen Diener bei seinem Herrn verleumdet, kein Getreide gestohlen, die Milch nicht vom Säugling fortgenommen oder das Vieh nicht von der Weide verdrängt haben. Die Unschuldsbeteuerungen sollen das Gericht überzeugen, dass die Kandidaten die im Reich gültigen Lebensregeln und Tabuvorschriften nicht verletzt haben.
Entscheidend beim Totengericht ist letztlich aber die Wägprüfung: das Herz des Verstorbenen (in Altägypten das Organ des Denkens und Fühlens sowie des Gewissens) wird gegen eine Straußenfeder aufgewogen. (Die Feder symbolisiert Maât, die Göttin der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der moralischen Weltordnung).
Der verstorbene Schreiber Ani kniet beim Jenseitsgericht vor dem Totengott Osiris
Verschlungen vom Großen Fresser
Der Große Fresser Ammit lauert
Fällt die Prüfung durch die Gerechtigkeitswaage negativ aus (wenn das – sündenbeladene - Herz schwerer ist als die Feder), wird der frevelhafte Verdammte vom „Großen Fresser“, einem Monster mit Krokodilskopf, Löwenrumpf und Nilpferdunterleib, verschlungen. Das ist die Pforte zur „Hölle“.
Nach dem „zweiten und endgültigen Tod“ werden die Unglückseligen ohne Ende in geballter Finsternis und Totenstille abscheulichen Dämonen ‒ Schlächtern, Henkern und Folterknechten ‒ ausgeliefert.
Im Chaos der Ur-Finsternis warten auf sie Prügelhäuser, Marterpfähle, Schlachtbänke und Feueröfen. Sie werden gemetzelt und geschmort. Die Verdammten gehen auf dem Kopf, ernähren sich vom eigenen Kot und eigenen Urin.
Sorglos und leidfrei
Wer das Jenseitsgericht reinen Herzens bestanden hat, wird als „Verklärter“ in das lichte Reich des Gottes Osiris, des Herrschers der Unterwelt, aufgenommen und genießt in den seligen Gefilden die Freuden einer sorglosen und leidfreien Existenz. Die idyllische Landschaft wird von einem gewundenen Fluss durchzogen, dessen Ufer schattenspendende heilige Sykomoren ‒ ausladende Maulbeerfeigen-Bäume ‒ säumen.
Das liebliche Totenreich ist ein unbemessener Raum und erstreckt sich über Millionen und aber Millionen Meilen.
Die Bewohner des altägyptischen Paradieses genießen nach Gewürzen duftendes Fleisch und Geflügel, samtigen Wein und kühlendes Bier. Sie sind bestens versorgt. Sie feiern fröhliche Feste. Wenn sie nicht über Seen schippern oder anderem Müßiggang frönen, bestellen sie gerne die fruchtbaren himmlischen Felder und Äcker: säend, pflügend und erntend.
Himmlische Ernte
(Die unliebsamen und mühsamen Arbeiten verrichten stellvertretend Diener, die ihnen in Form von mit magischen Kräften versehenen Statuetten und Figuren als Beigabe ins Grab gelegt wurden. Die Dienerfiguren waren mit Arbeitswerkzeugen, landwirtschaftlichen Geräten und Körben ausgestattet).
Alles in allem: ein unbeschwertes Leben in Fülle und Überfluss ist der Lohn der Verklärten. Die Altägypter stellten sich das (biologische wie soziale) Leben im Jenseits wie das Leben im Diesseits vor ‒ nur besser.
Das Jenseits: ein idealisiertes Diesseits.
Die Jenseitserwartungen im ältesten Kulturvolk am Mittelmeer waren je nach Epoche und Region freilich unterschiedlich. Unsere summarische Skizze der fantastischen Vorstellungen über das Leben nach dem Tod bezieht sich speziell auf das Neue Reich mit Beginn der 18. Dynastie ab 1500 vor Christus.
Kapitel 3
Tanz im Myrtenhain
Antikes Griechenland und Rom
Der große griechische Philosoph Epikur (341-271 v.Chr.) handelte die Jenseitsfrage kurz und bündig ab: „Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht, ist er, bin ich nicht.“ Parole: Koste das Diesseits aus, denn das Jenseits gibt es nicht! Die mit Vernunft begabten „Seelen-Atome“ lösen sich nämlich nach dem Tod in gleicher Weise auf wie die Atome des Leibes, lehrt der Nihilist Epikur.
Der Epikureismus ‒ die Lehre Epikurs – war aber nur eine von vielen philosophischen Schulen, die unterschiedliche Meinungen über die Seele vertraten.
„Seele“ = Psyche: ein Begriff, den die griechischen Denker eingeführt haben: als Ort menschlichen Fühlens und Denkens, als Kern der Person.
Nach Platon (428-348 v.Chr.) ‒ Schüler von Sokrates und Lehrer von Aristoteles ‒ ist die Seele als unstoffliches Lebensprinzip unabhängig vom Leib und dem Tod nicht unterworfen (also unsterblich).
Die unzerstörbare Seele wird beim Tod aus der „Gefangenschaft“ des vergänglichen Körpers befreit, vergisst das frühere Leben und kann sich erneut „einkörpern“. Die Wiedergeburt (Reinkarnation) der freien Geistseele kann nach Platon sogar in einem Tierkörper erfolgen.
Geistesgigant Platon: Begründer der abendländischen Philosophie
Sokrates (469-399 v.Chr.) glaubte an die Unsterblichkeit und erhoffte nach dem Tod vorteilhafte Daseinsbedingungen vorzufinden.
Aristoteles (384-322 v.Chr.) bestritt die Unsterblichkeit der Seele. Nach ihm ist die Seele kein eigenständiges bzw. vom