„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher
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Realiter bestand die Freiheit eines Christenmenschen gemäß lutherischer Ordnungsvorstellung im absoluten Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, wie irrational oder verwerflich diese auch handelte. Mithin: Luther war ein demagogisch agitierender Anti-Philosoph. Par excellence. Er war „ein Unglück von einem Mönch“, wie Nietzsche ihn nannte.
Sicherlich sind Luthers Haltung zu den Juden und sein Urteil über dieselben im Kontext seiner Zeit und der des (zu Ende gehenden) Mittelalters zu sehen; gleichwohl tat der „Reformator“ sich auch hier durch besonderen Eifer hervor sowie durch seinen Hass auf jeden, der sich seinen Vorstellungen widersetzte. Nach und nach steigerte sich sein Hass gegen die Juden ins schier Unermessliche – Luther war nicht nur Antijudaist, sondern schlichtweg und schlechterdings auch Antisemit. Einer der übelsten Sorte. Nicht von ungefähr beriefen sich die National-sozialisten auf ihn.
„Luther rechtfertigt in seiner Schrift ´Ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können´ (1526) auch die Beteiligung an Kriegen: wenn die Obrigkeit Krieg befiehlt, müsse gehorcht, gekämpft, gebrannt und getötet werden … Geschätzt 100.000 Bauern wurden nach seinem Aufruf auf teilweise bestialische Weise hingerichtet. Dazu bekannte er sich in einer abstoßenden Mischung aus Stolz, Heuchelei und Blasphemie in einer seiner Tischreden: ´Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen; all ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden.´“
Welch schändliches Spiel er trieb, war Luther durchaus bewusst: „Ich möchte mich fast rühmen, dass seit der Zeit der Apostel das weltliche Schwert und die Obrigkeit noch nie so deutlich beschrieben und gerühmt worden ist wie durch mich. Sogar meine Feinde müssen das zuge-ben. Und dafür habe ich doch als Lohn den ehrlichen Dank verdient, dass meine Lehre aufrührerisch und als gegen die Obrigkeit gerichtet gescholten und verdächtigt wird. Dafür sei Gott gelobt!“
Was Luther über die einfachen Leute, also über die Masse des Volkes, nicht nur über die (aufständischen) Bauern dachte, kommt ebenfalls in seiner Schrift: Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können zum Ausdruck: „Man darf dem Pöbel nicht zu viel pfeifen, er wird sonst gern toll. Es ist billiger, ihm zehn Ellen abzubrechen, als ihm in einem solchen Falle eine Handbreit, ja, die Breite eines Fingers einzuräumen. Und es ist besser, wenn ihm die Tyrannen hundertmal unrecht tun, als dass sie dem Tyrannen einmal unrecht tun.“
Mithin drängt sich der Verdacht auf, dass weltliche Macht – und deren Neuordnung zugunsten der Fürsten – durch Luthers religiös verbrämte Herrschafts-Ideologie gegenüber der kirchlichen Autorität neu etabliert und dass dadurch erstere, die weltliche Macht, von letzterer, der kirchlichen Autorität, befreit werden sollte. Zweifelsohne wurde derart die Stellung (des Reiches und) der Fürsten gegenüber dem Kaiser gestärkt; Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, wusste sehr wohl, was er an „seinem“ Luther hatte.
Resümierend könnte man durchaus behaupten, Luther sei die Geister, die er rief, nicht mehr losgeworden: Das Aufbegehren gegen die (etablierte römisch-katholische) Amtskirche und die theologische Unterfütterung der Umwälzungsprozesse, die man eher als Revolution denn als Reformation bezeichnen müsste, will meinen: die Zerschlagung alter und die Implementierung neuer kirchlicher wie weltlicher Strukturen und Autoritäten, diese grundlegend radikale Umgestaltung der gesamten abendländischen Gesellschaft an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit war von so gewaltiger Dimension, dass es geradezu grotesk erscheint, Luther – und Luther allein – als spiritus rector des Geschehens zu bezeich- nen: Er, Luther, war allenfalls das Sprachrohr, das Aushängeschild, vielleicht auch nur Popanz der Interessen, die andere, ungleich Mächtigere hinter der Fassade vertraten, die man heute Reformation nennt!
Jedenfalls gilt festzuhalten: An der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit traten an die Stelle der alten Machthaber nach und nach neue. Wie in den feudalen Strukturen und Systemen zuvor ging es auch nun nicht um einzelne Personen, diese fungieren nur als Funktionsträger; es war vielmehr ein Wettbewerb der Systeme, der zu Luthers Zeit entfacht wurde, in dem das einfache Volk allenfalls die Statisten und Luther den Propagandisten der (noch) herrschenden alten (feudalen) Schicht gab: Mag seine anfängliche Empörung gegen Klerus und Papst, gegen all die Missstände der Kirche, gegen das in mehr als tausend Jahre verkrustete System noch weit(est)gehend authentisch gewesen sein, so verstand es Luther alsbald, sich (mit Hilfe seiner zwischenzeitlich gewonnenen Popularität und Autorität) zum Sprachrohr der (innerhalb der feudalen Strukturen) aufstrebenden Schicht der Landesherren (in deren Kampf gegen Kaiser und Papst) zu machen; das cuius regio eius religio des Augsburger Religionsfriedens von 1555 emanzipierte die Fürsten des Reiches, machte sie auch zu Kirchenoberen. Mit allen sich daraus ergebenden Pfründen.
Akteure des „Gesellschaftsspiels“, das man heute Reformation nennt, waren Adel und Klerus, waren Landes- und Feudalherren, waren Papst und Kaiser, waren die (freien) Städte und deren Bürger, waren Kirche und Großkapital (man denke an die Medici und an die Fugger, Welser und Rehlinger: „Marktwirtschaft, Kapitalismus, Globalisierung, alles, was sich heute durchgesetzt hat, entstand in ersten Ansätzen im Europa des Mittelalters. Handelsdynastien wie die Fugger waren europaweit aktiv – auch mit Bestechungsgeldern für Kaiser und Fürsten“), Akteure dieses Spiels um Herrschaft und Macht, um Pfründe und Lehen, um Reichtum und Armut, um all die Versatzstücke des langsam aufblühenden Kapitalismus´ und seiner Globalisierung, d.h. der Wirtschaftsform, die im Neoliberalismus der Jetzt-Zeit ihren (vorläufigen?) Höhepunkt gefunden hat, Akteure dieses „Gesellschaftsspiels“, das im Laufe der Jahrhunderte Millionen und Abermillionen von Menschenleben gekostet hat und bei dem die Frontlinien immer wieder verschoben und neu festgelegt, bei dem Bündnisse geschlossen und gebrochen wurden, bei dem das Großkapital – zu Luthers Zeiten beispielsweise die Fugger, im ersten Weltkrieg exempli gratia die Krupps – beide Seiten des Konflikts bedienten, Akteure dieses weltweiten wie fort- und anscheinend immerwährenden „Spektakulums“ waren, seinerzeit, auch die Bauern. Und andere unterdrückte Schichen. Und Luther. Der – vordergründig – gegen diese Unterdrückung Stellung bezog. Der realiter jedoch die Interessen der Fürsten vertrat. Gegen das päpstliche Finanzgebaren. Gegen den Ablasshandel, welcher die Kassen der Kirche füllte und den Bau des Petersdoms finanzierte. Gegen die Bauern und andere Underdogs mehr, die sich, irrtümlicherweise, auf ihn beriefen.
Es ist gleichwohl das Verdienst Luthers, dass durch seine theologische Grundsatzkritik das allgemeine Unbehagen an der Kirche und deren Missständen systematisch strukturiert, formuliert und propagiert wurde. Dennoch kamen Luthers (vordergründig) theologische Überlegungen und Ausführungen nur deshalb zum Tragen, weil sich gesellschaftliche, politische und auch wirtschaftliche Interessen sowohl der herrschenden Schicht als auch des „gemeinen Volkes“ mit der neuen evangelischen Lehre und deren Ablehnung des Papsttums und des weltlichen Herrschaftsanspruchs der Kirche deckten; deshalb nahmen breite Bevölkerungsschichten auch (wiewohl zu Unrecht) an, Luther vertrete ihre Interessen.
Insofern gilt es, wohl zu überlegen, inwiefern und inwie-weit die Reformation von Anfang an als „Regimechange“ (Verschiebung der [Vor-]Herrschaft von Papst und Kaiser zu den deutschen Fürsten) geplant war, als ein Machtwechsel unter der ideologischen Verbrämung religiöser Veränderung und Erneuerung. Den Herrschenden, wage ich zu behaupten, dürfte es egal gewesen sein, ob sie als Protestanten oder Katholiken in ihren (Duodez-)Fürstentümern nach Belieben schalten und walten konnten.
Jedenfalls stellten sich die Reichsfürsten – früher oder später – an die Spitze der reformatorischen Bewegung, wurden dadurch zu mächtigen Gegenspielern nicht nur des Papstes, sondern auch des Kaisers. Deren Macht – die des ersteren wie die des letzteren – schwand fortan rapide: nicht zuletzt als Folge von Reformation und Neuordnung der – seinerzeit aufs engste miteinander verbundenen – kirchlichen und weltlichen Machtverhältnisse und Herrschaftsstrukturen.
Mithin: Durch die