Alpendohle. Swen Ennullat
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Die Stimme gehörte einem anderen, weit jüngeren Mann von nicht einmal zwanzig Jahren, der wohl – genauso verdreckt und sehr wahrscheinlich auch verlaust – wie sein Kumpan ein Leben auf der Straße führte und jetzt mit einem breiten, unsympathischen Grinsen seine gelben Zahnstümpfe zeigte. Sein Gesicht, sein Hals und wahrscheinlich auch der Rest seines Körpers wiesen einen unappetitlichen dunkelroten Ausschlag mit eitrigen Pusteln auf. Torben trat instinktiv einen Schritt zurück, um sich nicht der Gefahr einer Ansteckung auszusetzen. Der Aussätzige, wie er ihn bereits gedanklich nannte, stampfte aus dem Zimmer, in dem er sich aufgehalten hatte, und blieb zwei Meter vor ihm stehen. Torben versuchte, seinen Würgereflex zu kontrollieren, denn die Entfernung war zu gering, um die Schweiß- und Alkoholausdünstungen seines Gegenübers nicht zu riechen.
Da er sich auf keinen Streit einlassen wollte, bemühte er sich, mit betont ruhiger Stimme zu sprechen, und sagte zum Professor: „George, ich glaube, wir lernen soeben zwei Bewohner des Hauses kennen!“ Während sich der Professor mit Blick auf die schäbigen Gestalten wieder aufrichtete und nur zustimmend brummte, antwortete dafür ein grobschlächtiger und glatzköpfiger Kerl, der seitlich unter der Treppe hervortrat. „Ich glaube, du irrst dich, du Lackaffe. Wir sind zu dritt! Her mit eurem Geld, Handys und was ihr sonst noch bei euch habt! Sonst steche ich zuerst den Köter und dann euch ab!“
Seine Forderung untermauerte er mit einem Springmesser, dessen Klinge er in diesem Moment mit einem schnarrenden Geräusch herausfahren ließ.
Torben – sicherlich nicht von ängstlichem Gemüt, aber einigermaßen von den Ereignissen überrascht – schätzte den Kerl wegen seines kräftigen Körperbaus und einem Gewicht von mehr als hundert Kilo als gefährlichsten der drei Männer ein. Just als er überlegte, wie sie am besten ihre Köpfe aus der Schlinge ziehen konnten, und instinktiv seine Arme hob, um den Kerlen seine Bereitschaft zur Kooperation zu signalisieren, sah er, wie der Professor mit einer Schnelligkeit, die er ihm nicht zugetraut hätte, seinen Spazierstock hochriss und dem bulligen Typ, der von Torbens Armbewegung abgelenkt war, mit voller Wucht ins Gesicht schlug. Die Nase des Glatzkopfes wurde von der Wucht des Schlages mit einem lauten Knirschen regelrecht zertrümmert und das Blut schoss aus seinen Nasenlöchern. Vor Schmerz schreiend, ließ er das Messer fallen und taumelte in die Richtung zurück, aus der er gekommen war.
Torben sah aus den Augenwickeln, wie sich der Aussätzige, um seinem Kumpan zu helfen, auf den Professor stürzen wollte. Er drehte sich deshalb blitzschnell zur Seite und gab dem Angreifer, als er auf seiner Höhe war, mit beiden Armen und mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, einen Stoß in die Seite, sodass dieser laut fluchend in einen Haufen Sperrmüll stürzte und sich Hände und Knie blutig schlug.
Der Betrunkene auf der Treppe rannte inzwischen den Aufgang hinunter, um sich ebenfalls auf den Professor zu stürzen, und nahm dafür immer drei Stufen gleichzeitig. Professor Meinert eilte ihm hastig entgegen, und gerade als der Bärtige den Fuß der Treppe erreicht hatte, stieß er ihm das untere Ende seines Spazierstockes mit voller Kraft in den Solarplexus. Der Oberkörper des Landstreichers kam augenblicklich aus vollem Lauf heraus quasi in der Luft zum Stillstand und sein Gesicht verzog sich vor Schmerz zu einer Grimasse. Der Rest seines Körpers blieb noch im Vorwärtsdrang, sodass er, als sich seine Beine weiter nach vorn bewegten, rückwärts nach hinten kippte, mit dem Kopf auf die untersten Steinstufen aufschlug und reglos liegen blieb.
Dem Professor blieb keine Gelegenheit festzustellen, ob der Angreifer endgültig außer Gefecht gesetzt war. Während Torben versuchte, mit gezielten Schimpftiraden, Tritten und Faustschlägen, die ihm Atem und Kraft raubten, dafür zu sorgen, dass der Aussätzige im Müllhaufen liegen blieb, denn festhalten wollte er ihn immer noch nicht, und Gertrud mit ihrem Bellen den Kampf ihres Herrchens begleitete, wandte sich der Professor wieder dem glatzköpfigen ersten Angreifer zu.
Der hatte sich von dem Schlag ins Gesicht zwar noch nicht ganz erholt, aber mit blutender Nase und irrsinniger Wut in den Augen wollte er sich erneut auf den Professor stürzen. Dieser hatte jedoch, als er erkannte, dass er mit dem Stock bei dem tobenden Berserker nichts mehr auszurichten vermochte, blitzschnell den Griff an seinem Spazierkopf mit einer leichten Drehung des Handgelenks gelöst, sodass eine etwa siebzig Zentimeter lange, dreikantige Klinge zum Vorschein kam, die er jetzt in die nach dem Messer greifende Hand des Glatzkopfs fahren ließ. Der markerschütternde Schrei, den der Kerl ausstieß, als sein Handrücken durchbohrt wurde, sorgte dafür, dass auch der Aussätzige beschloss, seine Gegenwehr fürs Erste einzustellen, nun selbst die Arme in die Luft streckte, sich fluchend in den Müll zurückfallen ließ und es sich dort widerwillig bequem machte.
Der Professor zog mit einem kurzen Ruck den kalten Stahl aus der Hand seines Gegners, wischte mit einem Taschentuch, das er danach wegwarf, die Klinge ab und ließ den Stockdegen wieder in seinen Schaft verschwinden. Er wandte sich von dem Verletzten ab, der mit seiner gesunden Hand auf die blutende Fleischwunde drückte und wegen der gebrochenen Nase beim Atmen schwer schnaufte. Der Professor ging zu dem noch immer vor Aufregung zitternden und unter Adrenalin stehenden Torben, nickte ihm anerkennend zu und sagte zu dem Pickligen: „Schnapp dir deine beiden Kumpane und verschwindet von hier. Lasst euch nicht einfallen, noch einmal aufzutauchen!“
Das ließ dieser sich nicht zweimal sagen. Er kroch zuerst zu dem Glatzköpfigen und half ihm beim Aufstehen. Ohne ein Wort zu verlieren, versuchten sie dann zu zweit, den bewusstlosen Bärtigen wachzurütteln, der noch immer auf den Treppenstufen lag. Gott sei Dank gelang es ihnen, und Torben atmete innerlich auf. Sich gegenseitig stützend, verließen die drei Galgenvögel gleich darauf den Korridor in Richtung Nordflügel. Offenkundig gab es noch andere Möglichkeiten, ins oder aus dem Schloss zu gelangen, als den Weg, den Torben und der Professor genommen hatten. Professor Meinert ließ es sich nicht nehmen, den Landstreichern hinterherzurufen, dass Sie es nicht wagen sollten, jemals wieder Graffiti anzubringen.
Gertrud hatte sich mittlerweile beruhigt und strich nun wieder schwanzwedelnd durch die Beine ihres Herrchens. Mit einem um Verständnis bittenden Blick und noch leicht bebender Stimme wandte sich der Professor an Torben: „Mein lieber Freund, ich hoffe, diese kleine Begebenheit bleibt unser beider Geheimnis! Bedauerlicherweise ist es in Deutschland nämlich nicht gestattet, einen Stockdegen zu besitzen.“
Torben, von der ungewohnten Anstrengung keuchend und noch völlig gefangen von den Ereignissen der letzten Minuten, war der Einwand im Augenblick schlichtweg egal und er winkte ab. „Wenn das Ihre einzige Sorge ist, wird Ihre Bitte gewährt! Aber die Waffe anzuwenden, steht bestimmt noch unter einer höheren Strafe, meinen Sie nicht? – Wie haben Sie es nur geschafft, so schnell zu reagieren, und woher können Sie mit dem Stock, der Waffe oder was auch immer Sie da haben, so gut umgehen?“
Professor Meinert lächelte. „Sie meinen sicher, wie bekommt ein alter Mann das noch hin? – Zu meiner Zeit existierten keine über Weltfrieden, Gleichberechtigung und regenerative Energiequellen philosophierenden Studentenverbindungen, aber es gab schlagende Burschenschaften. Und ebenso wie der ehemalige Hausherr der Dammsmühle Heinrich Himmler war auch ich aktives Mitglied einer solchen! – Aber genug davon, ich mag zwar gerade äußerlich die Ruhe selbst sein, aber innerlich bin ich so aufgeregt wie vor meiner ersten Hochzeitsnacht!“
„Erste Hochzeitsnacht?“, fragte Torben.
„Ja, aber das ist eine andere Geschichte. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich will hier so schnell wie möglich raus. Zum einen, weil ich diesem Gesindel nicht traue, und zum anderen, weil ich zur Beruhigung meiner Nerven dringend einen Schluck Rotwein brauche. Ich schlage vor, wir reduzieren unsere Suche auf das Arbeitszimmer, in dem Reiher damals das Zusammenpacken beobachtet haben will. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Himmler viel Zeit in der Küche, die wir uns auch noch ansehen wollten, verbracht hat. Reiher hat Ihnen etwas von einem