Alpendohle. Swen Ennullat

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Alpendohle - Swen Ennullat

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war Hitlers Sekretär. Er ließ Hitler in den Stunden vor seinem Tod nicht aus den Augen und hätte es sicherlich um nichts auf der Welt versäumt, die letzten Anweisungen oder Befehle Hitlers für die Nachwelt zu dokumentieren. Er muss etwas erfahren haben! Und er wollte diese Entdeckung bestimmt erhalten wissen. Was wäre, wenn er versucht hätte, den beiden mächtigsten Männern Nazideutschlands nach Hitler und Goebbels eine Nachricht über die letzte Anweisung des Führers zukommen zu lassen? Göring und Himmler! Gut, sie waren kurz vor Hitlers Tod ihrer Titel und Ränge enthoben worden, aber einflussreich und mächtig waren sie noch immer, und vor allem waren sie nicht in Berlin eingeschlossen!

      Es ergab durchaus Sinn, Reiher nach Carinhall im Norden von Brandenburg zu schicken. Vermutlich ging Bormann davon aus, dort noch getreue Anhänger von Hermann Göring zu finden, die ihm auf nur ihnen bekannten Wegen eine Botschaft oder einen Gegenstand zukommen lassen könnten.

      Carinhall diente Göring als Landsitz, auf dem er häufig ausländische Staatsgäste empfing und mit ihnen in der Schorfheide jagte. Der Name des Anwesens bezieht sich auf seine erste schwedische Frau, die er nach ihrem Tod mit einem Staatsakt nach Deutschland überführen und in einer Gruft auf dem Gelände von Carinhall beisetzen ließ.

      Göring war nicht nur für die Gründung der Gestapo, die Errichtung der ersten Konzentrationslager oder für die Endlösung der Judenfrage verantwortlich. In Carinhall ließ er auch eine riesige Kunstsammlung von unschätzbarem Wert anhäufen, die fast ausschließlich aus Raub- und Beutekunst aus ganz Europa stammte. Den größten Teil der Kunstgegenstände lagerte er schon 1943 in einem Salzbergwerk in der Steiermark ein, wo er später von den Alliierten gefunden wurde. Den Rest der Sammlung schaffte er im Januar 1945 nach Berchtesgaden und stellte ihn in Luftschutzbunkern unter. Göring war Anfang Mai also noch im Besitz eines riesigen Privatvermögens. Allerdings hatte er ja Berlin, wie bereits gesagt, am 20. April 1945 den Rücken gekehrt. Bormann musste davon ausgehen, dass Göring wie üblich auf dem Anwesen Soldaten zurückgelassen hatte. Vermutlich wusste er aber nicht, dass dieser Trupp der Luftwaffe Carinhall auf Görings Weisung, um es nicht in die Hände der Roten Armee fallen zu lassen, bereits am 28. April 1945 gesprengt hatte.

      Reiher hat also instinktiv richtig gehandelt, sich in Richtung Dammsmühle zu wenden. Außer den Postenhäuschen und den Unterkünften für die Wachmannschaft hätte er in Carinhall nichts vorgefunden.

      Aber bleiben wir noch kurz bei Göring. Sein Handeln, sich selbst als neuen Führer auszurufen, hatte ja dazu geführt, dass er wegen Hochverrats auf dem Obersalzberg festsaß. Als aber bekannt wurde, dass Hitler tot war, ließ ihn die SS unverzüglich frei. Das bestätigt, dass auch noch andere Kräfte neben Bormann in Göring den nächsten starken Hoffnungsträger Deutschlands sahen. Er stellte sich – aus Angst vor den Russen – aber am 9. Mai 1945 der 7. US-Armee. Er wurde in Nürnberg zum Tode verurteilt, nahm sich jedoch in der Nacht vor seiner Hinrichtung im Oktober 1946 mit einer Zyankalikapsel selbst das Leben.“

      Der Professor machte eine kurze Pause, weil er bemerkte, dass Torben mit seinen Notizen wieder nicht hinterherkam. Als es sicher war, dass er weitermachen konnte, stellte er die Frage: „Und was wurde aus Carinhall? – Vor ein paar Jahren hat man noch eine kleine erhaltene Bunkeranlage mit ein paar Kunstgegenständen ausgegraben. Ich habe das Anwesen mehrfach mit Studenten besucht. Der Bunker wurde zur Beherbergung von Fledermäusen ausgebaut. Die restlichen Nebengebäude sind inzwischen Baudenkmäler. Die einzig erhaltende Statue, die Kämpfende Amazone von Franz von Stuck, die westlich des ursprünglichen Hauptflügels stand, wurde nach Eberswalde gebracht. Auch diese Spur ist kalt. Meiner Meinung nach bleibt uns ebenso wie Reiher nur die Dammsmühle Heinrich Himmlers, um unsere Suche in der Hoffnung fortzusetzen, dort einen Hinweis zu finden.“

      Damit beendete der Professor seine Ausführungen und sah Torben erwartungsvoll an. Wie auf Stichwort hob auch Gertrud, die bis dahin ein kleines Schläfchen in der Frühlingssonne gehalten hatte, ihren Kopf und blickte ebenfalls in Torbens Richtung.

      Torben, schon längst von dieser Idee überzeugt, schlug sein Notizbuch zu, zwinkerte in Gertruds Richtung und antwortete: „Was soll ich da noch sagen? Offensichtlich werde ich – falls ich ablehne – sowieso überstimmt!“

      „Sehr gut, mein lieber Freund!“, rief der Professor begeistert. „Und da bekanntlich Zeit Geld ist oder flieht, wie der Lateiner mit tempus fugit zu bedenken gibt, sollten wir gleich den heutigen Tag für den Ausflug zur Dammsmühle nutzen!“

      Zwei Stunden später saßen sie in Torbens zehn Jahre altem VW Golf und fuhren in Richtung Wandlitz vor den Toren Berlins.

      Sie hatten die Zeit genutzt, um noch etwas essen zu gehen, wobei Torben überrascht wurde, welche Menge an Kleinigkeiten in den Magen eines Chiwawas passten. Noch im Park hatte der Professor einen seiner ehemaligen Mitarbeiter angerufen und gebeten, etwas über die Dammsmühle in Erfahrung zu bringen. Offensichtlich genoss Professor Meinert noch immer ein hohes Ansehen bei seinen ehemaligen Angestellten, denn bereits vor dem Dessert rief dieser zurück.

      Sie erfuhren, dass es sich bei der Dammsmühle, oder besser, dem Schloss Dammsmühle um ein neubarockes Herrenhaus nördlich von Berlin in der Nähe von Wandlitz handelt, das über den Ortsteil Waldsiedlung zu erreichen ist.

      Dieser Ortsteil war 1950 in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt, als beschlossen wurde, die wichtigsten SED-Politbüromitglieder der kommunistischen DDR in einem gesonderten, speziell gesicherten Komplex unterzubringen, der vom Ministerium für Staatssicherheit leichter als die Stadthäuser in der Berliner Innenstadt abzuschirmen war. Die Bewohner lebten im Vergleich zu anderen DDR-Bürgern dort recht luxuriös. Das wenige Kilometer entfernte Schloss Dammsmühle wurde in diesem Zusammenhang vom Inlandsgeheimdienst der DDR vereinnahmt und diente über Jahrzehnte den roten Bonzen als Jagdschloss.

      Der Name des Anwesens war im Übrigen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Mühle zurückzuführen, die sich im 16. Jahrhundert an gleicher Stelle befand.

      Ursprünglich wurde das Schloss im 18. Jahrhundert von einem Berliner Lederfabrikanten als zweigeschossiges Palais in der Nähe des Mühlenbecker Sees errichtet. Später wurde es umgebaut, aufgestockt und unter anderem mit einem Turm mit Zwiebelhaube versehen. Die Besitzer wechselten mehrfach. Selbst Napoleon, Wilhelm II. oder Zar Nikolaus II. logierten hier.

      Während der Nazizeit wurde der letzte Eigentümer, der Brite Harry Goodwin Hart, enteignet, der damals nicht nur Direktor von „Unilever“, sondern auch mit einer jüdischen Frau verheiratet war. Auf diese Weise gelangte die Dammsmühle in die Hände von Heinrich Himmler. 1943 wurde sie kurzzeitig Außenlager des nahe gelegenen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Fünfundzwanzig Häftlinge hatten die „ehrenhafte“ Aufgabe, Himmlers Parkanlagen rund um Schloss und See zu pflegen. Kurz vor Kriegsende bezog der neue Kommandeur der Heeresgruppe Weichsel, Generaloberst Gotthard Heinrici, dort sein Hauptquartier.

      Diese Information begeisterte den Professor regelrecht und er erachtete es als notwendig, Torben die Person des Obersts sofort näherzubringen. So erfuhr er, dass Heinrici kommandierender Offizier bei der „Schlacht um die Seelower Höhen“ war, die vor den Toren Berlins noch zu sehr großen sowjetischen Verlusten, vorrangig bei Panzern, geführt hatte. Weil er letztendlich doch den Rückzug befahl, wurde er jedoch am 29. April 1945 von Hitler – einen Tag vor dessen Freitod – seines Postens enthoben und sollte vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Nach Hitlers Suizid wurde freilich auch dieser Befehl nicht mehr umgesetzt und Heinrici ergab sich Ende Mai den britischen Truppen.

      Der Professor erklärte weiter, dass der Oberst bereits während des Russlandfeldzuges mehrfach Befehle ignoriert hatte und zweimal seines Kommandos enthoben wurde. Seine hervorragenden militärischen Kenntnisse, insbesondere über Rückzugsgefechte, sorgten jedoch dafür, dass ihm immer wieder

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