Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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Eine Stunde später hatte dann das Telefon geläutet, und sie hatte erfahren, dass ihr Mann tödlich verunglückt war. Beim Verlassen des Stadions war er direkt in ein Auto hineingelaufen.
Noch heute fragte sich Julia immer wieder, ob Wim noch leben würde, wenn er das Ende des Fußballspiels abgewartet hätte und mit seinen Freunden zusammen nach Hause gefahren wäre.
Jahrelang hatte sie dieser Gedanke bis in ihre Träume verfolgt.
Nach Wims Tod hatte sie noch ein wenig Trost in dem Gedanken an ihr gemeinsames Kind gefunden. Aber die vielen Aufregungen und die schlaflosen Nächte mussten dem Baby wohl geschadet haben. Es war wenige Minuten nach der Geburt gestorben. Damals hatte sie geglaubt, nicht mehr weiterleben zu können. Aber dann hatte sie sich mit dem Unabänderlichen abgefunden.
Julia wandte sich von ihrem Spiegelbild ab. Es war sinnlos, der Vergangenheit nachzutrauern. Sie war heute achtundzwanzig Jahre alt und hatte eine fantastische Stellung. Ihr Chef Enno Cornelius ließ ihr völlige Freiheit in ihrem Arbeitsbereich, und sie schätzte ihn nicht nur als Vorgesetzten, sondern auch als Menschen. Von Anfang an hatte sie gespürt, dass sie beide viele gemeinsame Interessen hatten.
Dass seine Ehe unglücklich war, gab er zwar niemals zu, aber Julia wusste es auch so. Ihr war auch klar, dass sein kleiner Sohn sein ganzer Lebensinhalt war. Pieter war ein besonders reizendes Kind. Leider war er für einen fünfjährigen Jungen viel zu scheu. Aber sicherlich würde das nun anders werden. In einem Kinderheim lebten die meisten Kinder auf, dachte Julia.
Auch ihr Sohn wäre heute etwas über fünf Jahre alt, ja, fast sechs. So wie Pieter.
Die beiden Jungen waren im gleichen Monat zur Welt gekommen, hatte sie inzwischen festgestellt. Vielleicht würde Herr Cornelius erlauben, dass sie Pieter im Kinderheim besuchte? überlegte Julia weiter, als sie nach ihrer Handtasche griff und das Zimmer verließ.
Auf dem Weg zum Lift begegnete sie Enno Cornelius.
»Ich bin so froh, dass ich Sie noch antreffe, Frau van Arx«, sagte er leise und umschloss ihre Hand fest. »Bitte, tun Sie mir den Gefallen und verbringen Sie den heutigen Abend mit mir. Wollen Sie?« Seine dunklen Augen sahen sie bittend an.
Julia nickte. »Ja, Herr Cornelius« erwiderte sie, dabei wurde ihr ganz warm ums Herz.
»Wir werden irgendwohin essen gehen.«
Julia blickte an sich hinunter. »Eigentlich müsste ich mich noch umkleiden«, meinte sie leicht verlegen.
»Ich bringe Sie zu Ihrer Wohnung und warte dann im Wagen auf Sie. Einverstanden?«
»Einverstanden.« Sie sah ihn an und bemerkte nun den gequälten Zug um seinen Mund.
»Ich danke Ihnen, Frau van Arx.« Enno hakte sich bei ihr unter, als sie zum Lift gingen. Ihre weibliche Ausstrahlungskraft war für ihn wie Balsam.
Auf dem Weg zu Julias Wohnung sprachen sie nur wenig. Impulsiv lud Julia ihn ein, mit ihr nach oben zu kommen.
»Gern«, sagte er sichtlich erleichtert. »Hoffentlich haben Sie etwas zum Trinken da.«
»Habe ich«, entgegnete sie lächelnd. »Whisky, Cognac, Gin und …«
»Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie so viel trinken«, scherzte er.
»Ich bin Holländerin!« Sie blitzte ihn übermütig an.
»Ich weiß, Frau van Arx.«
Mit dem Fahrstuhl fuhren sie bis zum fünften Stock hinauf. Als Julia die Wohnungstür aufschloss, fing ihr Herz plötzlich schneller zu schlagen an. Vielleicht hätte sie ihn doch nicht zu sich in die Wohnung bitten sollen?
»Hübsch«, stellte er nach einem Blick ins Wohnzimmer fest.
»Finden Sie? Die meisten Möbel habe ich aus Amsterdam mitgebracht. Ich konnte mich von den Sachen ganz einfach nicht trennen. Bitte, setzen Sie sich doch«, bat sie leise.
Aber Enno schien sie nicht zu hören. Wie magnetisch angezogen ging er zu dem Sekretär aus Rosenholz und betrachtete gefesselt die Fotografie in dem breiten Silberrahmen. »Ist das Ihr Mann?«, fragte er nach einem Weilchen.
»Ja, das ist Wim.«
»Ich bin fast sicher, ihm einmal begegnet zu sein. Oder er ähnelt jemandem, den ich sehr gut kenne. Aber wem?«
»Sie waren doch früher häufig in Amsterdam. Wim war Ingenieur. Vielleicht haben Sie ihn in seiner Firma getroffen?«
»In welcher Firma hat er gearbeitet?«
»Bei Kinker & Co. in der Hoogenstraße.«
»Der Name ist mir völlig unbekannt. Schon möglich, dass ich ihm damals irgendwie einmal begegnet bin. Er hat ein sehr markantes Gesicht, das man nicht so schnell vergisst.«
»Möchten Sie Whisky? Oder …«
»Bitte, Whisky«, bat er und setzte sich nun.
»Eiswürfel bringe ich sofort. Mit Soda?«
»Ohne, bitte.« Er legte die Hände auf die Seitenlehnen des tiefen Sessels und schlug seine langen Beine übereinander. »Darf ich rauchen?«
»Natürlich.« Sie ging in die Küche und kam kurz darauf mit den Eiswürfeln zurück.
»Mir gefällt es bei Ihnen«, erklärte er und nahm sich Eis. »Am liebsten würde ich den heutigen Abend hier verbringen, Frau van Arx.«
»Warum nicht?«, fragte sie spontan. »Ich habe immer irgendeine Kleinigkeit im Eisschrank. Für ein Abendessen für uns beide langt es gewiss.«
»Soll das eine Einladung sein? Passen Sie auf, ich nehme sie tatsächlich an«, erwiderte er fröhlich.
»Ich freue mich sehr, dass Sie bleiben.« Leichte Röte breitete sich auf ihren Wangen aus. Sie fühlte sich plötzlich so leicht beschwingt wie seit langem nicht mehr. Zum erstenmal nach dem Tod ihres Mannes hatte sie einen Gast – einen männlichen Gast. Am liebsten hätte sie sich festlich angezogen für diesen Abend. Aber sie unterdrückte diesen Wunsch gewaltsam, um bei ihrem Chef nicht in ein falsches Licht zu geraten.
Als sie den Tisch deckte, spürte sie seine Blicke fast körperlich. Und dann hielt er sie am Arm fest. »Ich habe eine Bitte«, sagte er drängend. »Darf ich Sie Julia nennen?«
»Aber ja«, erwiderte sie so verlegen wie ein junges Mädchen, das seine erste Liebeserklärung bekam. »Ich freue mich sogar darüber. Seit dem Tod meines Mannes hat mich kein Mensch mehr so genannt.«
»Haben Sie keine Verwandten mehr? Oder gute Freunde?«, fragte er erstaunt.
»Nein, niemanden. In Holland habe ich noch zwei Freundinnen. Aber wir haben uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Nach dem plötzlichen Tod meines Mannes habe ich Amsterdam fast fluchtartig verlassen. Aber auch schon zu Wims Lebzeiten bin ich kaum mit Freunden zusammengekommen. Wir waren beide so jung und so verliebt, dass wir glaubten, niemanden zu brauchen. Wir wollten immer nur allein sein«, berichtete sie mit einem