Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Sein Brustkorb war mit einem blutgetränkten Verband umwickelt und sein Gesicht blass.
Doch Noah hatte keine Zeit für Mitgefühl, und hektisch sah sich der Rettungsassistent in Ausbildung um. Sein Blick fiel auf Dr. Matthias Weigand, der mitten auf dem Flur stand.
»Schwester, machen Sie OP 3 bereit und bringen Sie den Patienten schon mal dorthin!« Wie ein Verkehrspolizist bemühte sich der Internist, den Überblick zu behalten und Ordnung zu schaffen. »So, lassen Sie mich überlegen. Der Junge hier gehört in den Schockraum. Wenn ich die Frau untergebracht habe, komme ich gleich nach.« Dr. Weigands Stimme war ruhig und besonnen. Die Schwestern und Kollegen, die ihm zugehört hatten, nickten zustimmend und machten sich zügig auf den Weg.
Schon wollte sich Noah einen Weg zu dem Internisten bahnen, als eine aufgeregte Stimme von hinten ertönte.
»Aus dem Weg! Schweres Schädel-Hirn-Trauma durch herabstürzenden Ast. Patient, weiblich, 18 Jahre alt, nicht bei Bewusstsein. Kreislauf instabil. Die Kleine wird beatmet«, erklärte Noahs Kollege, der mit einem weiteren Notarztwagen gekommen war, atemlos. Als er das Durcheinander auf den Gängen sah, blieb er ebenso abrupt wie ratlos neben Noah stehen. »Ach, du liebe Zeit. Ich dachte ja, dass es schlimm wird. Aber so schlimm …«
Weiter kam er nicht, denn es wurden bereits die nächsten Patienten eingeliefert. Wohin Noah auch blickte, fielen seine Augen auf Leid und Not. In diesem Moment zweifelte der junge Mann zum ersten Mal daran, ob er wirklich den richtigen Beruf gewählt hatte.
»Dachte ich es mir doch, dass ich dich hier treffe!« In seine Gedanken hinein hörte er eine wohlbekannte und tröstliche Stimme.
Erleichtert drehte sich Noah um und begrüßte den Vater seiner Freundin, Dr. Daniel Norden.
»Ein Glück, dass Sie hier sind. Können Sie mir helfen?« Er deutete auf die Frau mittleren Alters, die mit abwesendem Blick im Rollstuhl saß. »Ich hab ihr was gegen die Schmerzen gegeben«, erklärte Noah auf den fragenden Blick des Arztes hin. »Deshalb ist sie ein bisschen weggetreten.«
»Besser so«, lobte Daniel und ging um den Rollstuhl herum. Frau Mennickes rechter Unterschenkel sah so aus, als wäre er von einer Maschinengewehrsalve getroffen worden. Das, was von der Hose übrig war, hing in Fetzen herunter.
»Stellen Sie sich vor, sie hat sich mehr drüber aufgeregt, dass ihre Hose kaputt ist, als über ihre Wunden.«
»Das macht der Schock«, konnte Dr. Norden den jungen Rettungsassistenten trösten. Er kniete vor dem Rollstuhl und hatte eine erste Bestandsaufnahme beendet. Nachdenklich sah er sich um. »Dann lass uns mal eine ruhige Ecke mit einer Liege suchen. Wenn wir die gefunden haben, kümmere ich mich um die Wundversorgung und du kannst gehen und mir schon mal eine neue Aufgabe suchen«, scherzte er und zwinkerte Noah aufmunternd zu.
Ihm war der desolate Zustand des jungen Mannes nicht entgangen, und er verstand ihn nur zu gut. Diese Phase machte jeder Mensch, der sich für einen solchen Beruf entschieden hatte, wenigstens einmal durch. Entweder er blieb danach dabei. Oder aber er suchte sich danach ein neues Betätigungsfeld.
»Dann gehen wir mal auf Liegenjagd!«, erwiderte Noah, der sich durch Daniels Anwesenheit seltsam getröstet fühlte.
In diesem Moment wusste der erfahrene Arzt, dass der junge Mann Durchhaltewillen hatte, und sah ihm zufrieden nach, wie er sich einen Weg durch das Chaos bahnte.
Trotz der widrigen Umstände fand sich gleich darauf eine ruhige Ecke. Noah blieb noch bei der Patientin, bis Dr. Norden die nötigen Utensilien besorgt hatte, die er zur Behandlung brauchte. Als auch noch eine Schwester auftauchte, die überraschend Zeit hatte, dem erfahrenen Arzt zu assistieren, machte sich der junge Rettungsassistent wieder auf den Weg. Draußen gab es noch genug zu tun.
*
Nach einer knappen halben Stunde hatte Daniel Norden seinen ersten Einsatz beendet und machte sich auf die Suche nach Jenny Behnisch. Er verließ die Notaufnahme und stellte erleichtert fest, dass das Gedränge in den anderen Abteilungen nicht so groß war. Mit weitausgreifenden Schritten hastete er einen Flur hinunter, als er um ein Haar mit einer Frau zusammen gestoßen wäre.
»Hoppla!« Um einen Aufprall zu vermeiden, hielt er sie vorsichtshalber an den Schultern fest. Normalerweise hätte er sie auch mit Mundschutz erkannt. Doch die dunklen Höhlen, in denen ihre ungewöhnlich violetten Augen lagen, veränderten sie kolossal. »Alles in Ordnung?«, fragte er deshalb besorgt.
Im Gegensatz dazu hatte Fee ihren Mann natürlich sofort erkannt. Vor Erleichterung, Daniel gesund und munter vor sich zu sehen, hätte sie am liebsten der Schwäche in ihren Beinen nachgegeben. Doch die Tatsache, dass er sie nicht erkannte, reizte sie.
»Bis auf diese schrecklichen Sehnsuchtsattacken geht es eigentlich«, schniefte sie. »Sie sind meine Rettung!« Sie blinzelte ihm zu, und erst jetzt erkannte Daniel seinen unverzeihlichen Irrtum.
»Um Gottes willen, Fee!« Statt sich zu freuen, durchfuhr ihn ein entsetzlicher Schrecken. »Wie siehst du denn aus?«
Überrascht über diese unerwartete Begrüßung zuckte Felicitas zurück.
»Ehrlich gesagt habe ich mir unser Wiedersehen anders vorgestellt«, machte sie keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung.
Ihren Worten folgte ein Hustenanfall, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Daniels Sorge wuchs von Minute zu Minute.
»Du bist ja todkrank!«, stellte er fest und legte fürsorglich den Arm um ihre Schultern. Trotz der vielen Verletzten war es in diesem Teil der Klinik verhältnismäßig ruhig, und er fand ein leeres Zimmer, in das er Fee brachte. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, drückte er sie aufs Bett und sah sie fragend an. »Warum bist du hier und nicht zu Hause auf der Couch?«
»Ich bitte dich, Dan. Ich habe ein bisschen Grippe«, brauste Fee schlecht gelaunt auf. Die Sorge ihres Mannes gab ihr den Rest. »Das ist nichts gegen das Leid, das hier herrscht. Jenny braucht jede helfende Hand. Deshalb bin ich gekommen.« Sie machte eine Pause und studierte sein kritisches Gesicht. »Und bevor du mir noch mehr Vorwürfe machst: Nein, ich kümmere mich nicht um die Patienten und setze sie damit einer weiteren Gefahr aus. Ich erledige nur Handlangerdienste«, behauptete sie widerspenstig wie selten.
»Du solltest dich um dich kümmern und zu Hause im Bett liegen statt hier Betten zu schieben und Operationsbesteck zu sterilisieren«, erwiderte ihr Mann streng. Inzwischen hatte er Fees Puls gezählt. Die Hitze in ihren Gliedern verriet, dass sie Fieber haben musste. Ausgeschlossen, sie in diesem Zustand allein nach Hause zu schicken, zumal es keine gesicherte Diagnose gab, was ihr wirklich fehlte. »Du bleibst hier, und ich sehe nach, ob ein Behandlungszimmer frei ist. Ich will dich untersuchen.«
Fee wollte widersprechen, doch ihre Kraft reichte nicht aus. Solange sie unterwegs gewesen war, um Hilfe zu leisten, hatte sie ihre Schwäche nicht gespürt. Doch jetzt wurde sie überdeutlich. Außerdem wusste sie, dass es keinen Sinn hatte, sich gegen Daniel zu wehren, wenn er in dieser gefährlichen Stimmung war. Ergeben ließ sich Fee rückwärts in die Kissen fallen und musterte Daniel aus fiebrig glänzenden Augen. Ihre Streitlust verflog so schnell, wie sie gekommen war, und sie wurde sich bewusst, wie sehr er ihr gefehlt hatte.
»Wie gut, dass du wieder bei mir bist«, murmelte Felicitas matt. »Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht.«
Daniels