Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Daniel runzelte die Stirn und schob Felicitas ein Stück von sich. Sein kritischer Blick ruhte auf dem Gesicht seiner Frau.
»Dann hast du dich nicht untersuchen lassen?«
Ehe Fee auf diese Frage eine Antwort geben konnte, hallte Lennis aufgekratzte Stimme durch das Haus. Sie war überglücklich, ihre Familie wieder um sich vereint zu haben, und hatte groß aufgekocht.
»Essen ist fertig. Schnell, sonst fällt das Soufflé in sich zusammen«, trieb sie sämtliche Familienmitglieder zur Eile an und klatschte in die Hände.
Um Daniel nicht anzustecken, drückte Fee ihm einen Kuss auf die Wange und gesellte sich dann gemeinsam mit ihm zu ihrer hungrigen Kinderschar.
Wie von Dési schon angekündigt, hatten auch Danny und seine sehbehinderte Freundin wieder einmal den Weg ins Haus Norden gefunden. Selbst ohne Familie in Deutschland, hatte Tatjana die Nordens kurzerhand adoptiert und liebte die geselligen Runden am Esstisch über alles. Nicht selten steuerte sie eine ihrer köstlichen Kreationen als Nachtisch bei. Seit sie nach ihrem Studium eine Ausbildung als Bäckerin und Konditorin begonnen hatte, waren ihrer Kreativität keine Grenzen mehr gesetzt und sie sprudelte fast über vor ständig neuen Ideen, die sogar in einem Backbuch festgehalten werden sollten.
Gut gelaunt saß Tatjana gemeinsam mit den Geschwistern Norden und Fee und Daniel am Tisch.
»Ein Soufflé ist eine herrliche Idee!«, lobte sie Lennis Kochkünste begeistert. Dank einer Operation hatte sie einen Teil ihrer Sehkraft wieder erhalten und hypnotisierte das perfekt aufgegangene Backwerk förmlich. »Und wie das duftet! Lass mich raten.« Sie atmete tief ein und gleich darauf wieder aus. »Ich rieche Garnelen! Käse. Champignons. Und einen Hauch Zwiebeln«, zählte sie eine nach der anderen die Zutaten auf.
Gespannt starrten die Anwesenden auf Lenni. Hatte Tatjana mit ihren feinen Sinnen wieder einmal recht?
»Stimmt genau!« Die Haushälterin war sichtlich überrascht. »Woher weißt du das eigentlich immer so genau?«, fragte sie, während sie das Soufflé auf die Teller verteilte.
Versonnen lehnte sich Tatjana zurück und ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit und zurück in die Zeit schweifen, als sie mit ihrem Vater in Marokko gelebt hatte.
»Im Deutschen gibt es das Nomen ›Souvenir‹ für Mitbringsel. In Frankreich ist dieses Wort ein Verb und bedeutet ›sich erinnern‹. Wann immer mir der Duft von besonderen Inhaltsstoffen in die Nase steigt, erinnere ich mich an die Zeit in Marokko.« Tatjanas große, dunkelblaue Augen begannen zu leuchten wie zwei Sterne. »Obwohl ich damals nichts sehen konnte, weiß ich genau, wie der Markt aussah. Noch heute kann ich sagen, wo der Stand mit den Gewürzen war, der Fischhändler, wo es Gemüse und Ziegenkäse zu kaufen gab. Kurz zuvor bin ich ja blind geworden, und in der Zeit in Marokko, auf meinen vielen Besuchen auf dem Markt, haben sich meine anderen Sinne immer mehr geschärft. Vielleicht liegt es an diesen außergewöhnlich starken Eindrücken, dass ich das mit fast jedem Gericht heute noch kann.«
Es kam selten vor, dass die selbstbewusste, schlagfertige Tatjana ihre tiefgründigen Gedanken preisgab. Wie gebannt saßen ihre Freunde mit ihr am Tisch.
»Das ist eine sehr beeindruckende Erklärung«, staunte Felicitas, die über Tatjanas innigen Worten ihre Krankheit wenigstens für einen Augenblick vergessen hatte.
»Womit die Behauptung ›Stille Wasser sind tief‹ eindeutig widerlegt ist«, kam Felix mal wieder nicht um eine freche Bemerkung herum und zwinkerte Tatjana zu.
Statt ihm böse zu sein, lachte sie belustigt auf. Mit dieser Behauptung hatte er zweifelsfrei recht. Die aufgekratzte Bäckerin war alles andere als still und wusste das selbst am besten.
»Wenn ihr nicht gleich esst, gibt es statt einem luftigen nur noch ein zähes Soufflé«, machte Lenni ihre Familie ungeduldig aufmerksam. »Und diese Behauptung lässt sich nicht widerlegen. Guten Appetit!«
Das ließen sich besonders die Männer nicht zwei Mal sagen und griffen mit gutem Appetit zu. Der aufregende Tag hatte viele Nerven gekostet, und zuerst herrschte geschäftiges Schweigen am Tisch. Eine Weile war nur das Klappern von Besteck und Geschirr, unterbrochen von zufriedenen Seufzern, zu hören. Als der erste Hunger gestillt war, entspann sich ein Gespräch zwischen Sohn und Vater.
»Weißt du übrigens schon, dass das Dach der Praxis ziemlich lädiert ist?«, erkundigte sich Danny und schob eine Gabel Salat in den Mund.
»Stimmt, ich wollte ja den Dachdecker anrufen.«
»Da bist du mit Sicherheit momentan nicht der Einzige«, wandte Felix zu Recht ein.
Doch Daniel Norden hatte noch einen Trumpf im Ärmel, den er jetzt ausspielte.
»Zufällig habe ich heute im Flugzeug neben einer Frau gesessen, deren Freund Dachdecker ist.« Triumphierend zog er die Visitenkarte aus der Hosenasche und schnitt eine Grimasse, als er sie in die Höhe hielt.
Die jüngste Tochter des Hauses hatte den beiden zugehört und sprang sofort auf, um das Telefon zu holen.
»Dann solltest du am besten gleich einen Termin ausmachen, bevor die Praxis davon schwimmt«, empfahl sie ihrem Vater, der sich mit einem gerührten Lächeln bedankte.
Das Gespräch war schnell geführt und tatsächlich bekam Dr. Norden von Sebastian Hühn sofort einen Termin für den kommenden Vormittag.
»Das klappt ja wie am Schnürchen«, freute sich auch Tatjana darüber, dass der Arbeitsplatz ihres Freundes gerettet war. »Dann kann ich ja zur Feier des Tages meine Himbeer-Zitronen-Törtchen mit Mascarpone-Topping servieren. Ihr müsst mir unbedingt sagen, ob sie es wert sind, in mein Backbuch aufgenommen zu werden.«
Als sie die kleinen köstlichen Kunstwerke auf den Tisch stellte, brachen die Zwillinge und Felix in begeisterte Rufe aus. Danny und Daniel hingegen musterten die Kalorienbomben sehnsüchtig.
»Ach, du liebe Zeit, das sieht nach schrecklich viel Hüftgold aus«, seufzte Daniel und klopfte sich auf den flachen Bauch. Dabei sah er Fee vorsichtig von der Seite an. Immerhin achtete sie penibel darauf, dass er in Form blieb. Die schien mit den Gedanken jedoch weit fort zu sein und hatte sogar ihr Soufflé nur zur Hälfte gegessen. »Hast du nicht neulich an einem Kuchen aus Kartoffeln und Karotten gearbeitet?«, wandte sich Daniel daher hilfesuchend an Tatjana.
Doch die lachte nur ausgelassen.
»Besondere Ereignisse verlangen nach besonderen Maßnahmen«, war alles, was sie dazu sagte, ehe sie ihrem Schwiegervater in spe ein Törtchen auf den Teller legte.
»Und das hier ist ein besonderes Ereignis?«, fragte Daniel immer noch skeptisch und griff unter dem Tisch nach der Hand seiner Frau.
Es war Felix, der diese Frage beantwortete.
»Das weißt du spätestens, wenn du probiert hast!«, versprach er mit vollem Mund und verdrehte genießerisch die Augen.
*
Als der Wecker am nächsten Morgen klingelte, hätte Daniel Norden in sich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen. Der Abend war noch lang und lustig gewesen, und am liebsten hätte der Arzt die Wirklichkeit noch ein bisschen ausgesperrt. In