Der Kettenträger. James Fenimore Cooper

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Der Kettenträger - James Fenimore Cooper

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Bayard erwiederte meine Begrüßung freimüthig und mit gentlemanischer Sicherheit des Benehmens, obgleich auf seiner Wange ein leises Erröthen sichtbar war, welches mir sagte: »Ich wünsche Eure Schwester zu gewinnen.« Aber mir gefiel das Benehmen des jungen Mannes. Da war kein hastiges Fahren nach der Hand, kein Sichvordrängen, um gleich im ersten Augenblick der Begegnung ein vertrautes Verhältniß zu erzwingen; aber er erwiederte meine Verbeugung mit anmuthiger Verbindlichkeit und sein Lächeln hiebei schien den Wunsch nach genauerer und besserer Bekanntschaft auszudrücken.

      Nun habe ich auch schon gesehen, daß einer quer durch ein ganzes Zimmer schritt, um bei einer Vorstellung mit einem gänzlich Fremden die Hände zu schütteln, und während der ganzen Zeit ein so trübseliges Gesicht machte, als ob er ihm sein Beileid beim Verlust seiner Frau bezeugte. Diese Gewohnheit, mit feierlichem Ernst die Hände zu schütteln, nimmt bei uns nachgerade überhand, und wird aus einigen unsrer Schwesterstaaten eingeführt, denn gewiß ist es kein New-Yorker Brauch, außer unter vertrauten Freunden; und es ist nach meinem Dafürhalten ein schlimmer Brauch, weil er eines der besten Mittel, Gefühle abzustufen, vernichtet, und ganz besonders bei einer Vorstellung widrig ist. Aber ach! es gibt so viele solche Neuerungen, daß man nicht vorhersagen kann, wo sie aufhören werden. Ich schüttelte bei einer ersten Vorstellung, ausgenommen unter meinem eigenen Dach und wenn ich eine entschieden gastfreundliche Gesinnung an den Tag zu legen wünschte, nie die Hände bis zu meinem vierzigsten Jahre. In meinen jüngern Jahren hielten mich Manche für gemein, und ich weiß nicht gewiß, ob nicht Manche noch jetzt so denken.

      In dem kleinen, altmodischen »Empfangzimmer;« wie seit einigen Jahren meine gute Großmutter sich hatte bewegen lassen, das Zimmer zu nennen, welches sonst das beste Wohnzimmer war, fanden wir Miß Priscilla Bayard, die aus Gründen, welche unerklärt blieben, nicht mit an das Portal gekommen war, ihre Freundin zu begrüßen. Sie war in der That ein reizendes Mädchen, mit schönen, dunkeln Augen, glänzendschwarzen Haaren, von zarter, vornehmer Gestalt und einer Anmuth des Benehmens, welche vollkommene Vertrautheit mit der besten Gesellschaft des Landes verrieth. Kate und Pris umarmten einander mit einer Wärme und Aufrichtigkeit, welche zu Gunsten Beider sprach, und mit vollkommener Natürlichkeit. Ein affektirtes amerikanisches Mädchen, beiläufig bemerkt, ist eine große Seltenheit, und Nichts fällt mir eher auf, wenn ich meine Landsmänninnen neben Europäerinnen sehe, als der Unterschied gerade in dieser Beziehung; die Einen erscheinen so natürlich, die Andern so verkünstelt!

      Die Begrüßung, die mir von der Miß Bayard wurde, war verbindlich, doch bildete ich mir ein, irgend ein leiser Zug verrathe, daß sie sich bewußt sey, bei irgend einer müßigen Veranlassung ihren Namen in enger Verbindung mit dem meinigen aussprechen gehört zu haben. Vielleicht mag Kate in einem vertraulichen Augenblick etwas dahin Zielendes gesagt haben, oder habe ich mich vielleicht getäuscht.

      Meine Großmutter erklärte bald, die ganze Gesellschaft müsse die Nacht in Satanstoe zubringen. Da wir an solche plötzliche Entschlüsse gewohnt waren, erhoben weder Kate noch ich die mindeste Einwendung, während die Bayards einem Befehle, der jedoch auch für sie, wie ich bald entdeckte, keine ungewohnte Sache zu seyn schien, mit vollkommener Bereitwilligkeit und Folgsamkeit sich unterwarfen. So in der Vertraulichkeit eines stillen und kleinen Kreises, auf einem Landhause uns zusammenfindend, machten wir in unserer gegenseitigen Bekanntschaft große Fortschritte, und bis das Mittagessen vorüber war, das heißt um vier Uhr, fühlte ich mich schon wie ein alter Bekannter von Personen, welche vor kurzer Zeit noch mir bis auf den Namen hinaus fremd gewesen waren. Bayard und meine Schwester waren vom ersten Anfang an in der besten Laune, und ich gewann die Ueberzeugung, ihre Angelegenheit war in ihren Herzen eine ausgemachte Sache; Miß Priscilla jedoch war ein paar Stunden nicht frei von einigem Zwang, wie Jemand, der eine leichte Verlegenheit empfindet. Dies verlor sich jedoch, und lange ehe wir vom Tisch aufstanden, war sie ganz sie selbst geworden, – und sehr reizend war dieses Selbst, das war ich genöthigt zuzugeben. Ich sage: genöthigt; denn trotz Allem, was ich gesagt, und trotz einem gewissen gesunden Verstande, den ich mir hoffentlich zuschreiben darf, war es mir doch unmöglich, mich ganz des Mißtrauens zu entschlagen, welches sich an den Gedanken knüpfte, man erwarte, daß ich mich in die junge Dame verliebe. Meine gute Großmutter trug auch dazu bei, dies Gefühl in mir rege zu erhalten. Die Art, wie sie ihr Auge vom Einen auf das Andere schweifen ließ, und das zufriedene Lächeln, das über ihr Gesicht flog, so oft sie Pris und mich in unbefangenem Gespräch mit einander sah, verrieth mir ganz und gar, daß sie mit im Geheimniß war und bei dem Complott, wie ich die Sache anzusehen beliebte, die Hand mit im Spiel hatte.

      Ich hatte gehört, daß meine Großmutter die Heirath meiner Eltern schon ein oder ein paar Jahre, ehe die Sache sich machte, als lebhaften Wunsch im Herzen bewegt hatte, und daß sie sich immer einbildete, sehr wesentlich beigetragen zu haben zum Zustandekommen einer Verbindung, die so glücklich gewesen, wie ihre eigene. Die Erinnerung an diesen Erfolg, oder die Einbildung desselben, ermuthigte sie wahrscheinlich, auch an dem gegenwärtigen Anschlag Theil zu nehmen; und ich bin immer der Meinung gewesen, daß sie uns Alle bei dieser Gelegenheit zusammen brachte, um das große Projekt weiter zu fördern.

      In der Kühle des Abends wurde ein Spaziergang auf dem Landhals vorgeschlagen, denn Satanstoe hatte manchen reizenden Pfad, hübsche Durchsichten und weite Aussichten. So machten denn wir Vier uns auf den Weg. Kate voran, als die mit der Gelegenheit des Ortes Vertrauteste. Wir befanden uns bald am Strande des Sundes und an einem Punkte, wo das zurücktretende Wasser eine feste, weite Sanddüne zurückgelassen hatte; die innere Grenze gegen das Festland bildete ein Saum von Felsen. Hier konnte man ohne allen Zwang lustwandeln, denn es war Raum genug. Paarweise oder alle Vier neben einander zu gehen, wie wir Lust hatten. Da Miß Bayard etwas schüchtern schien, und man an ihr das Bestreben bemerkte, sich immer in der Nähe ihrer Freundin zu halten, gab ich die Absicht auf, an ihrer Seite zu gehen, blieb ein wenig zurück und knüpfte ein Gespräch mit ihrem Bruder an. Auch war es mir nicht leid, so bald Gelegenheit zu finden, einen Mann etwas genauer zu prüfen, der aller Wahrscheinlichkeit nach in ein so nahes Verhältniß zu mir treten sollte. Nach wenigen Minuten lenkte sich das Gespräch auf die jüngst durchgeführte Revolution und auf die Art und Weise, wie sie auf das künftige Schicksal des Landes einwirken werde. Ich wußte, daß ein Theil der Familie meines Begleiters der Krone angehangen und durch die Confiskationsakte ihre Güter verloren hatte: aber von einem andern Theil wußte ich das Gegentheil, und es blieb meinem Scharfsinn überlassen, zu schließen, daß Toms Zweig zu den Letztern gehören müsse, da bekannt war, sein Vater befinde sich in sehr günstigen Vermögensverhältnissen, wenn er auch nicht im eigentlichen Sinne reich heißen durfte. Es stand jedoch nicht lange an, so entdeckte ich, daß mein neuer Freund ein gemäßigter milder Tory war, und daß es ihm besser gefallen hätte, wenn die von uns angesprochenen Rechte, deren Verletzung er sehr bereitwillig zugestand, ohne förmliche Trennung der beiden Länder errungen und gesichert worden wären. Da die Littlepages, und zwar drei Generationen zu gleicher Zeit, förmlich gegen die Krone unter den Waffen gewesen waren, und diese Thatsache kein Geheimniß seyn konnte, gefiel mir die Aufrichtigkeit, womit Tom Bayard seine Ansichten über diese Punkte aussprach, denn es sprach dies für die Wahrhaftigkeit und Geradheit seines Charakters überhaupt.

      »Drängt es sich Euch nicht als eine nothwendige Folge der Entfernung beider Länder von einander auf,« fragte ich ihn im Verlaufe des Gesprächs, »daß eine Trennung früher oder später hätte eintreten müssen? Es ist unmöglich, daß zwei Länder lange gemeinsame Beherrscher haben, wenn ein Ocean dazwischenliegt. Zugegeben selbst, daß unsere Trennung etwas vorzeitig sey, eine Behauptung, die ich bei einer diesen Punkt ausschließlich betreffenden Erörterung läugnen würde, ist sie doch gewiß ein Uebel, welches seiner Natur nach mit jeder Stunde sich vermindert!«

      »Trennungen in Familien sind immer schmerzlich und peinlich, Major Littlepage; und sie sind es doppelt, wenn sie von Zwistigkeiten begleitet sind.«

      »Ganz richtig; und doch kommen sie immer vor. Wenn nicht in dieser Generation, dann in der nächsten.«

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