Gusto auf Grado. Andreas Schwarz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gusto auf Grado - Andreas Schwarz страница 4

Gusto auf Grado - Andreas Schwarz

Скачать книгу

Werbung für die »Baron Bianchischen Villen«, schon unter italienischer »Herrschaft«

image

       Die Ville Bianchi heute – so etwas wie das Wahrzeichen Grados am langen Strand

      Vor der Villa Erica sitzt an einem der kleinen Tischchen Gabriella und wartet schon. Die Nachmittagssonne taucht die Ville Bianchi gegenüber in ein strahlendes Gelb. Gabriella ist eine Institution im Dreieck der Villen. In den Ville Bianchi hat sie ein halbes Leben gearbeitet, viele Jahre davon als Chefin des Personals in der Küche und im Restaurant. Die Stammgäste haben sie geschätzt und geliebt – Gabriella wusste über die Jahre, wo die Gäste am liebsten saßen, was die Lieblingsspeise der Kinder war (nicht schwer: Spaghetti) und welcher der Lieblingswein der Eltern. Als die Besitzer wechselten, war das nicht mehr ihre Welt. Sie fand Unterschlupf in der Villa Reale schräg gegenüber. Auch dort gibt es Stammgäste seit ewig, und auch dort wird eine umsichtige Hand stets gebraucht. »Das war immer schon so in den Villen. Die Leute kommen einmal, und dann kommen sie wieder und immer wieder. Oder sie waren als Kinder schon da. Und das Schönste für sie ist, wenn jedes Mal alles so ist, wie sie es kennen und gewohnt sind – und dazu gehört auch das Personal.«

      Das war vor 100 und mehr Jahren, als die Villen die ersten Besucher empfingen, nicht anders. Außer dass sich so mancher Gast – sicher ist sicher – sein Personal gleich selbst mitgebracht hat. »Zu Kaisers Zeiten reiste zumindest der Adel mit dem halben Hofstaat, wenigstens aber mit Köchin und Kindermädchen.« Nicht selten belegten Gäste samt Entourage dann über Wochen ein ganzes Stockwerk. Apropos Kaiser: Ob wir schon bei dem Tor waren, durch das der Kaiser einst geschritten ist, wie erzählt wird?

      Und das ist der eigentliche Beginn der Geschichte. Es handelt sich um ein kleines, schmiedeeisernes Tor. Ein Türl eher, wie man in Österreich sagen würde. Beige-braun und im feinsten Wiener Jugendstil gewoben, unterbricht es einen schlichten Zaun zu Strand und Meer hin. Von den Spaziergängern, die auf der Promenade zwischen den Ville Bianchi und dem Strand wandeln, wird es kaum je beachtet, so unscheinbar ist es. Von den Initialen F. J. an der Front des Türls und dem bronzenen Doppeladler darunter nehmen die Passanten daher kaum Notiz.

      Dabei sind diese Initialen Ausweis einer der vielen Geschichten, die Grado und seine altösterreichischen Villen heute noch zu erzählen haben: Als irgendwann vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Kunde geht, dass Kaiser Franz Joseph die Hafenstadt Triest bereisen werde, da sollte er auch nach Grado kommen. Jedenfalls setzen die Gradeser alles daran, dass der Monarch auch das ehemalige Fischerdorf auf der Halbinsel an der nördlichen Adria besucht. Schließlich hat seine Majestät es 1892 per Dekret zur »Kur- und Badeanstalt Grado« geadelt. Und die ist inzwischen dank des Aufstiegs in den Olymp der Sommerbäder das Dorado für Gäste aus der Monarchie geworden. Man ist dem Kaiser unendlich dankbar.

      Aber ob er dann auch wirklich kommt? Zur Überraschung aller kündigt Seine Hoheit tatsächlich ihren Besuch an. Die Freude und die Aufregung in Grado sind grenzenlos.

image

       Das viel zitierte »Kaisertürl« zum Strand – da soll Kaiser Franz Joseph durchgegangen sein?

      Ob der Kaiser dann in einer der fünf Ville Bianchi nächst dem Strandbad und seinem ausladenden Holzbau im Wasser abgestiegen ist oder, wie kolportiert, in der Villa Erica gleich dahinter, ist nirgendwo niedergeschrieben. Auch was er speiste in den Villen – wahrscheinlich Tafelspitz, weil der damals natürlich zur Gradeser Küche zählte –, ist nicht dokumentiert. Aber dass zu Ehren des Kaisers in aller Eile ein kleines Tor geschaffen wurde, das dem Monarchen den schnellen Zugang zum Strand ermöglichen sollte, das weiß man heute, mehr als ein Jahrhundert danach.

      Kurzum: Seine Majestät durchschritt es – und seit Franz Joseph tat das niemand mehr. Das Türl ist seit Kaisers Zeiten zu. Versperrt. Nicht mehr aufzukriegen. Denn der Verbleib des Schlüssels ist ein wohlgehütetes Geheimnis …

      So und in variantenreichen Abwandlungen steht die Geschichte in Reiseführern und auf Webseiten über Grado zu lesen. Immer und immer wieder wird abgeschrieben. So wird sie erzählt, von einem Besucher dem anderen, selten von Gradesern selbst, aber immer umweht vom Hauch des Geheimnisvollen, des Verschwörerischen: Pssst!, der Kaiser war hier, und, man glaubt es kaum, durch dieses Tor ist er gegangen.

      Es ist eine hübsche Geschichte, die nur einen kleinen Schönheitsfehler hat: Kaiser Franz Joseph war zeit seines langen Lebens nie in Grado.

      Das klingt jetzt auch fast unglaublich. Denn seine Hoheit soll von Grado beziehungsweise seinem Ruf als Heilbad so begeistert gewesen sein, dass er sogar Sand von der Adriaküste ins Strandbad Edlach bei Reichenau an der Rax bringen hat lassen – das liegt nicht am Meer, sondern an der eiskalten Schwarza in Niederösterreich, war aber seinerzeit auch Treffpunkt der feineren Wiener Gesellschaft. Nur nach Grado und in den Sand dort setzte Franz Joseph tatsächlich nie einen Fuß.

      Der Kaiser zwar nicht, andere Mitglieder der Habsburgerfamilie allerdings bereisten das Seebad sehr wohl. Was in Zeitungen wie dem Neuen Wiener Tagblatt zu der Zeit gebührend vermerkt wird: »Aus Grado wird uns telegraphiert: Bei herrlichem Wetter kamen gestern Nachmittag Erzherzog Franz Ferdinand und Gemahlin, Herzogin Sophie von Hohenberg, mit ihren Kindern an Bord ihrer Yacht … nach Grado. Am Hafen wurden die Gäste von Bürgermeister Dr. Marchesini, dem Stadtpfarrer …« und so fort empfangen. Sie besuchten den Dom, das Museum, den Bau der neuen Seepromenade, und »von dort begaben sich die Gäste zum Badeetablissement … Die rasche Entwicklung Grados, die schönen Bauten und Gartenanlagen fanden den vollsten Beifall der Gäste«, heißt es weiter. »Unter den Ovationen der gesamten Bevölkerung« verabschiedete sich der hohe Besuch nach einem Tag auch schon wieder und versprach, zur Badesaison wiederzukommen.

      Das war im April 1914. Der Mord am Thronfolgerpaar in Sarajewo zwei Monate später machte vieles und auch dieses Versprechen zunichte.

      Andere Mitglieder des Adelsstandes blieben hingegen wochenlang zur Sommerfrische am Meer, selbst im Juli 1914 noch: »Unter den Neuankommenden befinden sich: Prinzessin Windischgrätz, Erz. Gräfin Attems, Erz. Friedrich Graf Beck, Gräfin Degenfeld, Graf Starhemberg, Marie Gräfin von Bellegarde u. a. m.«, rapportiert die Reichspost noch, als sich die dunklen Wolken des großen Krieges schon über Europa zusammenbrauten. Die Monarchie war in Grado aber vor allem durch den höheren Mittelstand vertreten: Bedienstete des Hofstaates kamen zur Erholung an die Küste, Offiziere, Rechtsanwälte, Ärzte und Architekten, Beamte, Kaufmannsfamilien und Industrielle. Zudem gaben einander Künstler die Sommerfrische-Türen in die Hand, von Arthur Schnitzler über Otto Wagner bis Stefan Zweig – nur der Kaiser selbst ist nie dagewesen. Auch wenn es ihn vermutlich »sehr gefreut« hätte.

      Besagte Tür ist übrigens immer nur einfach ein Zugang zum Strand gewesen, der des Nachts abgesperrt wurde. Als Grado um die Jahrhundertwende endgültig zum beliebten Seebad aufgestiegen war, war der lange Sandstrand zunächst noch ohne Umzäunung frei zugänglich. Wobei »frei« natürlich relativ war. In Wahrheit gab es ein strenges Reglement. Die große Attraktion stellte die langgestreckte hölzerne Badeanstalt dar, die auf Eichenpfählen im seichten Meer ruhte. Davor reihten sich die Kabanen im Sand, das waren jeweils vier Stangen und ein großes Tuch darum. Sie dienten dem Umkleiden. Das »Badeetablissement« mit seinen Kabinen und Duschen war streng in eine Abteilung für Männer und eine für Frauen getrennt. Im Meer zu baden, war für beiderlei Geschlecht nur im Badekostüm gestattet, das Sonnenbad ohne Kostümvorschrift fand wieder nur in getrennten Bereichen statt. Lediglich die Kinder waren tatsächlich frei, sich in Badehose überall aufzuhalten. Voraussetzung: Sie mussten unter zehn Jahre alt sein.

      Nach dem Badevergnügen, am späteren Nachmittag, verlagerten sich die Attraktionen auf die Promenaden. Dort flanierten die Herren

Скачать книгу