Gusto auf Grado. Andreas Schwarz

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Gusto auf Grado - Andreas Schwarz

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Sommer bei ihren Eltern – und bei ihren beiden Großtanten Louise und Marie-Fernande Bianchi. Die beiden Schwestern waren damals, in den 1950er- und 60er-Jahren, schon hochbetagt, aber in den Villen immer noch bestimmend und höchst aktiv. Sie hatten das Haus von der Jahrhundertwende an geleitet und waren als rührige Chefinnen selbst zu einem Wahrzeichen Grados geworden. »Lo und Mitzi wurden sie genannt, die beiden haben nur für dieses Hotel gelebt«, erzählt die Bianchi-Nachfahrin mit unverhohlener Bewunderung und Liebe über die beiden Schwestern, die das Erbe des Barons Leonard Bianchi zu beispielloser Blüte führten. »Die Prinzessin von Bayern und ihre Schwester, die Großherzogin von Sachsen, haben mit Kindern und Gefolge hier gewohnt. Die Gräfin Fugger war da und die Kattus, die Sektdynastie aus Wien, 20 Jahre lang, die haben immer Hummer bestellt. Der Graf Benz mit Frau und Kindern kam, die Jane Tilden mit Tochter, die Schwarzenbergs, der Kanzler Schuschnigg mit Frau und Sohn, die Tochter vom Stauffenberg …« – Die Contessa kann gar nicht mehr aufhören, in Erinnerungen und in alten Listen zu kramen. Oder in altem, zusammengebundenen Karton zu blättern. Denn die Schwestern Bianchi führten ihre Gästelisten und ihre Notizen teils auf alten zerlegten Waschpulver-Schachteln. Darauf waren dann besondere Wünsche und Eigenheiten der Gäste notiert, auf die man das nächste Mal Rücksicht nehmen wollte. »Der Graf Thun kam 1931 mit Frau, drei Kindern und Nurse, und da hat meine Tante über sie geschrieben: ›Sie kam süß mit Luftbussis, wenn sie was wollte, ohne zu zahlen‹.«

      Heute sind die Villen längst in anderen Händen, die Bianchi haben sie vor Jahrzehnten verkauft. Und man merkt der Contessa an, dass sie ein bisschen davon träumt, wie’s gewesen wäre, wenn sie später selbst die Geschicke des Hauses gelenkt hätte – so wie seinerzeit Lo und Mitzi.

      Deren Vater, Baron Leonard Bianchi, hat jedenfalls Pflöcke eingeschlagen in Grado. Buchstäblich. Denn dort, wo er seine Villen unmittelbar nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hinsetzte, waren Sumpf und Wasser und ein bisschen Wiese entlang des Strandes. Für den Bau der Villen musste erst Land aufgeschüttet und danach die Fundamente für die fünf Häuser viele Meter tief in den Boden getrieben werden.

      Dass die Bianchi eine Hoteliers-Familie wurden, war ihnen nicht in die Wiege gelegt. Dafür aber eine außergewöhnliche Lebensgeschichte. In Mailand lagen die Bianchi mit der Familie der – wie könnte es anders sein! – Neri im Zwist und wurden vor vielen Jahrhunderten an den Comer See vertrieben. Dort brachten die Bianchi einen Erfinder hervor (»Der hat ein Gerät zum Abzapfen von Muttermilch erfunden und ein Barometer«, berichtet die Contessa aus den Familienaufzeichnungen) sowie so manchen Soldaten und Feldherrn. General Friedrich Bianchi zum Beispiel, Sohn des Barometermachers, schlug als Oberbefehlshaber der gegen Neapel anrückenden österreichischen Streitkräfte 1815 das Heer Murats, der als Schwager Napoleons die Königskrone in Neapel verteidigen sollte – für diesen Sieg erhielt der wackere Bianchi den Adelstitel eines Barons. Er lehnte mehrere Güter als Belohnung ab, erhielt dafür einen ordentlichen Batzen Geld und erwarb schließlich das Gut Mogliano Veneto in der heutigen Provinz Treviso, gleich bei Venedig.

      Auch Leonard Bianchi, 1846 in Venedig geboren, diente beim Militär: Er besuchte die Marine-Akademie in Fiume und nahm an der Seeschlacht von Helgoland teil. Unter dem damaligen österreichischen »Linienschiffskapitän« Wilhelm von Tegetthoff überlebte der gerade 18-Jährige im deutsch-dänischen Krieg die verlustreiche Seeschlacht, die von Preußen gleichwohl als Sieg betrachtet wurde. Tegetthoff wurde zum Conteradmiral befördert und avancierte in der Schlacht von Lissa zum österreichischen Seehelden. Bianchi quittierte vier Jahre später den Dienst und begab sich auf Reisen. Seine erste Ehe endete tragisch: Seine Frau Louise starb auf der Hochzeitsreise an einer Lungenentzündung. Vier Jahre später, Leonard Bianchi hatte inzwischen das halb verfallene Schloss Rubbia bei Görz gekauft, umfangreich restauriert und sich dort niedergelassen, heiratete er erneut: Josephine Steininger wurde eine Bianchi und brachte in den folgenden Jahren sechs Kinder zur Welt.

      »Meine Urgroßmutter hat die feuchte Luft in Rubbia nicht gut vertragen. Sie war immer wieder krank. Der Leonard kannte Grado. Er hat gewusst, dass Kinder und auch Erwachsene, die etwas an der Lunge hatten, nach Besuchen in Grado wie aufgeblüht waren. Also hat er noch einmal einen Ausflug dorthin gemacht und sofort beschlossen, sich hier niederzulassen«, erzählt Marie Therese Rossetti. Grado hatte sich damals tatsächlich schon einen Ruf als Heilstätte erworben, war vom Kaiser zum Kur- und Seebad geadelt worden. Nur was Pensionen und Hotels betrifft, sah es unmittelbar vor der Jahrhundertwende noch dürftig aus. Es gab neben kleineren Häusern gerade einmal die Hotels Post und Fonzari, die den Namen Hotel wirklich verdienten. Also beschloss der Baron: Hier muss eine Pension, ein Hotel her. Villen, deren Zimmer an Besucher vermietet werden. Und zwar fünf Stück, je eine Villa für eines seiner inzwischen fünf Kinder (Sohn Carl war mit nur sechs Jahren gestorben). Der Baugrund war mithilfe der Brüder Marchesini, die zu der Zeit den Bürgermeister stellten und auch sonst in Grado die Fäden zogen, schnell gefunden, erworben und – weil Lagune – aufgeschüttet. Leonard Bianchi hatte die Pläne für die Villen bereits selbst entworfen. Im Jahr 1900 nahm die Baufirma Minussi die Arbeit für die »camere con giardino« auf, die später so beworbenen Zimmer mit Garten. Wobei man sich vergegenwärtigen muss, dass alles Material für die Aufschüttung und den Bau mit Booten über die Kanäle durch sumpfiges Gelände aus Aquileia herangeschafft werden musste. Den Damm, der das Festland mit Grado verbindet, gab es ja noch lange nicht. In unvorstellbaren kaum zwei Jahren Bauzeit entstanden die Villa Spiaggia und die Villa Marina direkt am Strand sowie dahinter die Villen Adria und Onda sowie das Haupthaus Stella Maris. Die Ville Bianchi in der Via ai Bagni 429 bis 433 verfügten 1901, im Jahr ihrer Eröffnung, über 85 Zimmer und zehn Wohnungen mit Küche.

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       Blick vom Dach der Bianchi-Villen zur Altstadt – heute ist die Fläche dazwischen dicht verbaut, ebenso die Lagune rechts.

      Die Villen wurden umgehend ein großer Erfolg: Die Gäste kamen in Scharen, oft mit Köchin, Kammerdiener und Kindermädchen sowie Gepäck für den ganzen Sommer. Und da der Chef des Hauses ein Baron war, mietete sich besonders gerne die aristokratische Welt in den Ville Bianchi ein. Leonard Bianchi war zum Pionier der altösterreichischen Villen in Grado geworden. Einen Ruf als Finanzier und Wohltäter Grados hatte er ohnehin schon: Als am 4. April 1900 mitten in Grado Trinkwasser gefunden wurde, finanzierte der Baron Bianchi den ersten Brunnen. Und auch das erste Hospiz ein Vierteljahrhundert zuvor, ebenso wie das neu errichtete, verdankte Grado dem Geldgeber Bianchi. Zu seinen Ehren wurde später eine Straße in dem Seebad nach ihm benannt. Die Gradeser waren zwar gespalten hinsichtlich Fluch und Segen der neuen Besucherströme sowie der Villen- und Hotelerbauer. Aber Leonard Bianchi hatte einen tadellosen Ruf.

      Nur aus der Idee »eine Villa für jedes Kind« wurde dann nichts – die Bianchi-»Kinder« waren zum Zeitpunkt der Entstehung der Bianchi-Villen großteils schon erwachsen. Im Jänner 1912 starb der Baron mit nur 66 Jahren in seinem Schloss in Rubbia überraschend an den Folgen einer Lungen- und Rippenfellentzündung. Die Kinder lebten schon längst ihr eigenes Leben: Ein Sohn wanderte als Ingenieur nach Brasilien aus, einer (der Großvater der Rossetti) ging nach Innsbruck und gründete die Bergrettung, eine Tochter war auswärts verheiratet – blieben nur die Schwestern Louise und Marie, »Lo« und »Mitzi«. Sie führten den Pensionsbetrieb nach der Erkrankung und dem Tod des Vaters zwar weiter, hatten aber wenig Lust, das für immer zu tun – so liest es sich zumindest in den Briefen der Bianchi-Konkurrentin Emma Auchentaller. Die Wiener Unternehmerstochter hatte kurz nach Entstehung der Ville Bianchi die inzwischen renommierte Pension Fortino errichten lassen. In dem von der Friaul-Autorin Christine Casapicola zusammengestellten Buch Briefe aus Grado heißt es in einem Brief Emma Auchentallers vom November 1912: »Bitte sagt Elsa, dass die Ville Bianchi zu verkaufen sind … Baroness Luise sagte mir schon im Sommer, es sei furchtbar anstrengend für sie, sie kam jede Woche aus Rubbia für einen Tag. Nun wollen sie die Villen für 500 000 Kronen verkaufen. Das ist sehr preiswert, sie haben circa 100 Zimmer, liegen sehr schön, sind gut erhalten und möbliert. Haben den besten Ruf.«

      Für Marie Therese Rossetti ist das Unfug. Die Schwestern hatten von Beginn an

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