Zeit für Weiblichkeit. Diana Richardson

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Zeit für Weiblichkeit - Diana Richardson

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den ersten Blick erscheint.

      Das Aufsteigen der sexuellen Energie

      Der Mensch ist so beschaffen, dass er erweiterte Bewusstseinszustände erfahren kann, glückselige Erfahrungen des Einsseins mit der ganzen Schöpfung. Diese orgasmische Fähigkeit unterscheidet uns von unseren Freunden im Tierreich (mit Ausnahme der Delfine, von denen bekannt ist, dass sie beim Liebesspiel höhere Energiezustände erleben). Unser Körper hat die angeborene Fähigkeit, sich durch das Sexzentrum energetisch auszudehnen, und wenn dies auf die richtige Weise geschieht, führt diese Ausdehnung zu erweiterten Bewusstseinszuständen – Tälern ekstatischer Entspannung und Gipfeln orgasmischen Ausdrucks.

      Das Wirken der aufsteigenden Sexualkraft ist im Westen relativ unbekannt und nur von wenigen Menschen erforscht worden. Wenden wir uns aber dem Osten zu, dann finden wir dort viel ältere Kulturen, deren Heilkundige diese Energiepraktiken zum Wohle der Gesundheit und Langlebigkeit den Menschen beibrachten. In Indien und in China hatten die alten religiösen Kulturen das spiralförmige Aufsteigen der Energie als spirituellen Aspekt der Sexualität erkannt und als geheiligte Form des Sex kultiviert.1 Wenn diese Energie zum vertikalen Aufsteigen gebracht wird, ist sie Ausdruck einer höheren, regenerierenden Form der Sexualität. Dann entfaltet der Sex seine schützende Wirkung auf den ganzen Körper und wird zu einer verjüngenden, Leben spendenden Kraft im Menschen.

      Dieser regenerierende Sex ist in Absicht und Funktion das ziemlich genaue Gegenteil des biologischen Sex. Es besteht keine biologische Notwendigkeit, den Samen auszustoßen (damit er auf ein Ei trifft). Es entsteht kein neues Lebewesen, sondern die sexuelle Energie wird stattdessen bewahrt und bleibt den Beteiligten erhalten, was eine Steigerung der Lebenskraft bewirkt. Auf diese Weise erneuert sich das bereits vorhandene Leben: Mann und Frau fühlen sich energetisiert und bereichert, voller Liebe und Freude.

      Diese nach innen und oben gerichtete Energiebewegung geschieht beim regenerierenden Sex ganz von selbst durch das Ausrichten und Harmonisieren des Energieflusses zwischen den männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen. Die Energie bewegt sich entsprechend der angeborenen geschlechtlichen Polarität, über die wir im 4. Kapitel ausführlicher sprechen werden. Gemeinsam generieren die Geschlechtsorgane einen biomagnetischen Energiestrom, der durch innere Kanäle aufsteigt und schließlich die endokrinen „Meisterdrüsen“ im Gehirn erreicht, womit er zum Ursprung sämtlicher hormoneller Informationen, die der Körper von dort erhält, zurückkehrt.

      Diese Drüsen, insbesondere die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) und die Zirbeldrüse (Epiphyse), sind für die Sexualfunktion zuständig.2 (Bei einem hohen Grad an hormoneller Reinigung ist unser Körper sogar in der Lage, wohlriechende Duftstoffe freizusetzen.) Die Hirnanhangsdrüse liegt zwischen den Augenbrauen oberhalb der Stirnhöhle im Kopfinneren. Sie ist die übergeordnete endokrine Steuerungsdrüse und reguliert das Wachstum, die Funktionen der Geschlechtsdrüsen, der Nebennieren und der Schilddrüse. Diese Drüse steuert das Vorderhirn, das Sehvermögen und das rechte Auge und gilt als der „Sitz“ von Liebe, Mitgefühl, Erkenntnis, Menschenliebe und Hingabe. Sie spielt auch eine wichtige Rolle für die Intelligenz und das Begriffsgedächtnis, das wir zum Lesen, Denken und Studieren benötigen. Ihr benachbart ist die Zirbeldrüse, die über dem Mittelhirn in Richtung Scheitel liegt und deren Funktionen die Sensibilität und den sexuellen Zyklus betreffen.

      Die Zirbeldrüse steuert das Rautenhirn und ist zuständig für den Hörsinn, die Körperrhythmen, den Gleichgewichtssinn und die Wahrnehmung des Lichts durch Augen und Haut. Für all diese Funktionen, die wir so selbstverständlich nehmen, erweist es sich eindeutig als Vorteil, wenn diese Steuerungsdrüsen durch das Kanalisieren der sexuellen Energie – unserer Lebenskraft – aktiviert und genährt werden. Die nach oben gerichtete Energiespirale erzeugt eine Vitalität, die vom ganzen Wesen ausstrahlt. Man fühlt sich bis in jede Zelle durchdrungen von Zufriedenheit, Liebe und Frieden. Wird Sex auf diese Weise gelebt, bringt er einen enormen Zuwachs an Energie, Kraft und Vitalität. Energie geht nicht mehr verloren, sondern wird sogar zusätzlich generiert. Dadurch wird das Immunsystem gestärkt, Lebenskraft und Kreativität werden in vielfacher Hinsicht intensiviert.

      Durch das Kreieren dieser regenerierenden Energie können Frau und Mann ihr eigenes Leben verlängern, statt sich einfach nur fortzupflanzen, wie es durch die nach unten gerichtete Energiebewegung bei der Empfängnis bzw. Zeugung geschieht. Die Natur hat uns das Geschenk der sexuellen Vereinigung gegeben, damit wir die Beschränkungen durch unsere physischen Grenzen auflösen und uns selbst als vibrierende schwebende Lichtbündel der Liebe erleben können. Eine solche regenerierende sexuelle Erfahrung erhält den Menschen jung, abenteuerlustig und offen für alles, was das Leben bereithält.

      Es erscheint unglaublich, dass diese spirituelle Dimension des Orgasmus – das erfüllendste Geschenk, das wir Menschen zur Verfügung haben – in einer Zeit, da die Menschheit mit ihrer hoch entwickelten Technologie alle äußeren Gebiete erforscht hat, immer noch total unerforscht geblieben ist. Trotz unseres enormen technischen Fortschritts tappen wir auf sexuellem Gebiet immer noch im Dunkeln, gefesselt von unserer Unwissenheit und Selbstgefälligkeit. Wir bilden uns ein, allein aufgrund der Tatsache, dass wir Frau oder Mann sind, bereits automatisch alles über den Sexakt zu wissen. Aber wie erklärt es sich dann, dass die meisten Frauen so wenig über ihren Körper wissen und von ihrem enormen sexuellen Potenzial keine Ahnung haben? Vielleicht wurde ihnen in der Vergangenheit dieses Wissen absichtlich vorenthalten, um sie zu bereitwilligen Sklavinnen der Befriedigung männlicher Gelüste zu machen.

      Die Frauen finden es aber kaum überraschend, dass die heutigen Männer noch viel weniger als sie selbst über den weiblichen Körper wissen – genauso wenig wie über ihren männlichen. Frauen haben von alters her einen leichteren Zugang zum intuitiven Wissen – die sogenannte „weibliche Intuition“ –, während die meisten Männer viel schwerer an ihre eigene innere Wahrheit herankommen. Aufgrund ihrer Fähigkeit, nach innen zu schauen (und nach innen zu fühlen) sollten die Frauen es deshalb selbst in die Hand nehmen, Raum für den regenerierenden Sex und die daraus erblühende Liebe zu schaffen.

      Ohne die Mitwirkung der Frau ist es praktisch unmöglich, die sexuelle Vereinigung als göttliche Erfahrung zu erleben. Die unsensible Behandlung und der Missbrauch der Frau durch den Mann über viele Generationen hinweg haben zu der Situation geführt, dass der Geschlechtsverkehr den Frauen mehr oder weniger lieblos aufgezwungen wurde. Wenn ein Mann des Öfteren in den Körper einer Frau eindringt, obwohl sie noch nicht wirklich dazu bereit ist, wird die Frau allmählich die Lust am Sex verlieren. Ein gewisser Widerwille und sogar Ekel kann sich einstellen, und mit der Zeit machen viele Frauen zu und wenden sich schließlich ganz vom Sex ab, sofern es ihnen ihre Situation erlaubt. Ist der Geschlechtsverkehr unvermeidbar, dann werden sie oft zu wahren Meisterinnen im Aushalten und Erdulden der paar Minuten bis zur Ejakulation des Mannes. Hat die Frau erst einmal resigniert, weil ihr die sexuelle Befriedigung versagt bleibt, dann ist sie geradezu dankbar, wenn der Mann vorzeitig ejakuliert. Ihr bleibt dann zumindest die Gewissheit, dass das Ganze schnell vorbei ist.

      Der Mann hat seine männliche Qualität eingebüßt, mit dem Körper der Frau so einfühlsam zu kommunizieren, dass ein Dialog entsteht. Er weiß nicht mehr, wie er sie energetisch so öffnen kann, sodass sie das Penetriertwerden mit ihrem ganzen Wesen willkommen heißt. Die Männer haben sich so sehr daran gewöhnt, dass die Frauen sich nach ihnen richten und sie einfach gewähren lassen, dass sie gar nicht mehr wissen (oder es noch nie erlebt haben), wie sich der Geschmack und das Flair eines gemeinsamen sexuellen Erlebens anfühlt.

      Wenn die männliche und weibliche Sexenergie in Balance ist und die Frau mit leidenschaftlicher Sinnlichkeit mitmacht, dann verwandelt sie die ganze Erfahrung in einen wellenförmig auf- und wieder abklingenden, dynamischen Tanz der beiden Körper. Eine solche Erfahrung kann dem Mann das Gefühl vermitteln, dass er ein wertvoller Vertreter der männlichen Spezies ist. Viele Männer erleben sich dann zum ersten Mal in ihrem Leben richtig als Mann.

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