Die Todesstrafe II. Jacques Derrida

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Die Todesstrafe II - Jacques  Derrida Passagen forum

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zu verbinden, die beiden einander entgegensetzt. Wo es wirkliche Souveränität gibt, ist keine Todesstrafe nötig (im Gegensatz zu Kant, Schmitt oder Benjamin). Zuvor hatte Beccaria im selben Sinne gesagt, dass „dieses Recht […] ihresgleichen zu töten, […] gewiss nicht jenes sein [kann], von dem die Souveränität und die Gesetze sich herleiten“46. Das ist also das genaue Gegenteil der Benjamin’schen These über das Recht, das hier aber auf entgegengesetztem Wege zur selben Behauptung führt: Die Todesstrafe ist kein Recht (unter anderen). Sie werden ebenfalls bemerkt haben, dass es jenseits dieser üblichen Bedingungen, die für den Ausschluss der Todesstrafe gestellt werden (Ordnung, fest etablierte Souveränität, Macht der Meinung eher als die der Autorität, und vor allem eher durch Reichtum als durch Autorität zu erkaufender Genuss), ein liberal-demokratisches Modell, eine politische Ordnung, die den Markt offen lässt usw., ist, welches die Möglichkeit bietet, mit der Todesstrafe Schluss zu machen. Das gibt viel zu denken, wir wollen das aber für den Augenblick beiseite lassen.

      Der zweite Beweggrund, die Todesstrafe für gerecht und notwendig zu halten, ein zweiter Beweggrund, an den Beccaria ebenfalls nicht glaubt, von dem er aber weiß, dass er weit verbreitet ist, besteht in der Abschreckung. Er sagt wohlweislich „um die anderen abzuschrecken“47, die anderen, denn der hingerichtete Verurteilte kann dieses Mal nicht das Subjekt dieser abschreckenden Strafe sein. Dieses Argument der Abschreckung, der abschreckenden Nützlichkeit, der Todesstrafe als Mittel zur Abschreckung, von dem auch Kant, von einem anderen Standpunkt aus, sagte, dass es das Prinzip der Todesstrafe nicht rechtfertigen könne, wird Beccaria zu widerlegen versuchen, wobei er aber die Idee beibehält (was Kant nicht tut). Beccaria wird die Idee beibehalten, aber behaupten, dass lebenslange Haft und Zwangsarbeit grausamer und folglich für jeden potentiellen Verbrecher abschreckender, also letztendlich nützlicher seien als die Todesstrafe.

      Dieser ganze Umweg war dazu bestimmt, die Zweideutigkeit oder die „vage Verknüpfung“ zwischen ehren und strafen zu erhellen, von der Benveniste spricht. Wir haben gesehen, wohin uns zum Beispiel „die heimliche Bewunderung“ des Volkes oder der Menge für den großen Verbrecher führte, der auf diese Weise verflucht, bestraft und geehrt zugleich wurde.

      Wir wollen nun für einen Augenblick zu Benveniste zurückkehren. Nachdem er von einer ziemlich vagen Verbindung zwischen den beiden Bedeutungen, ehren und strafen, gesprochen hat, führt Benveniste weiter aus, dass nun zu fragen wäre, „ob die Bedeutung von timé [Ehre, Würde] und der verwandten Wörter eine Zusammenstellung mit der Familie von poiné [Strafe] nahelegt oder verbietet. Es genügt nicht, timé mit ‚Ehre, Achtung‘ wiederzugeben. Die Bedeutung muß in bezug auf Wörter mit benachbarter Bedeutung enger eingegrenzt werden.“48

      Genau das wird Benveniste mit dem Korpus einer Reihe von Beispielen zu tun versuchen, die er der Ilias und der Homerischen Hymne an Hermes entnimmt. Ich kann diese Analysen hier nicht im Detail verfolgen, sondern muss Sie darauf verweisen. Sie werden aber sehen, dass sie alle dazu tendieren, die beiden Bedeutungen, timé und poiné, radikal zu trennen, sowohl im Hinblick auf eine indirekte oder hypothetische Etymologie als auch, vor allem, im Hinblick auf ihr semantisches Funktionieren in den Texten. Selbst in einem Text, in dem diese Trennung schwierig zu sein scheint, lässt Benveniste es sich zur Ehre gereichen, wenn ich so sagen kann, zu vermerken, dass diese Verbindung gewagt und eine Ausnahme sei. Es handelt sich dabei um jene Passage, in der die Troer sich verpflichten, Helena und sämtliche Schätze für den Fall zurückzugeben, dass Menelaos den Sieg davonträgt. Sie verpflichten sich auch, darüber hinaus eine timé an Agamemnon und die Argeier zu entrichten. Man konnte denken, dass timé, die Ehre, damals eine Art Geldstrafe, eine Rückzahlung war. Was sie jedenfalls in diesem Fall auch wirklich war. Doch Benveniste will nicht bei diesem Beispiel stehenbleiben und schreibt:

      Rein zufällig und nur in diesem einen Beispiel wird timé mit dem Verb „zurückzahlen“ verknüpft. Daraus folgt keineswegs, daß der Dichter die timé als morphologisches Korrelat von apotinó angesehen hat. Eben dieser Text zeigt, ganz im Gegenteil, deutlich den Unterschied zwischen timé und poiné. Verweigern die Troer die timé, so hat Agamemnon guten Grund zum Kampf, um eine poiné zu erhalten. Das ist etwas ganz anderes: die poiné ist Bestrafung und Wiedergutmachung für einen Eidbruch.49

      Um seine Beweisführung zu stützen, ruft Benveniste auch mit klaren Worten in Erinnerung, dass poena im Lateinischen, ein Ausdruck des Strafrechts und eine alte Entlehnung des griechischen poiné, nichts mit dem Ausdruck honos zu tun habe, genauso wenig wie punire.

      Ich werde die Kompetenz und die Klarsicht von Benveniste nicht bestreiten. Wie lautet die Frage? Geht es darum, ob timé (Ehre, Würde) dasselbe bedeutet wie poiné, oder ob man die beiden wechselseitig ersetzen oder in einer dauerhaften Korrelation, einer engen und automatischen „Zusammenstellung“ (rapprochement, so Benvenistes Wort50) miteinander verbinden könnte? Natürlich nicht, und in dieser Hinsicht überzeugt Benvenistes Antwort vollkommen. Der gesunde Menschenverstand selbst. Aber geht es darum? Gibt es nicht andere logische oder symbolische Wege, um von der Konfiguration, ja der Ko-Implikation dieser beiden Unterscheidungen zwischen Ehre oder Würde einerseits, und Bezahlung, Geldstrafe, Bestrafung andererseits Rechenschaft zu geben? Selbst wenn man zu Unrecht versucht hätte, sie in der Sprache zu finden, woher käme diese Suche, dieser Trieb, eine privilegierte Beziehung zwischen den beiden zu finden? Denn wenn es da einen Fehler oder eine Projektion gibt, jenseits dessen, was Benveniste „Zufall“ nennt („Rein zufällig und nur in diesem einen Beispiel wird timé mit dem Verb ‚zurückzahlen‘ verknüpft“), müsste man anerkennen, und Benveniste tut das, ich zitiere ihn, dass es im Griechischen gab, was er „sekundäre Kontakte“51 zwischen den zwei Familien nennt, woraus insbesondere tīmōrein, „beistehen, helfen, züchtigen“, tīmōrós, „Schützer, Rächer“ resultieren, „wörtlich derjenige, ‚der über die tīmé wacht‘ (timá-oros), eine Mischung aus beiden Begriffen“, sagt Benveniste. „Desgleichen scheinen die ältesten Formen tínō, tinúō, den ī-Vokalismus von tīmé übernommen zu haben, wie aus der dialektal bezeugten Schwankung zwischen ι und ει hervorgeht.“52

      Man hätte immer noch das Recht, den Linguisten zu bitten, über all jene Phänomene Rechenschaft abzulegen, die er hartnäckig für Unfälle, Zufälle, Unreinheiten, „sekundäre Kontakte“ hält. Man hat den Eindruck, dass seine Sorge dem gilt, eine reine Abstammungslinie aufrechtzuerhalten, fern von Verschmutzungen, unversehrt, unangetastet von (ich zitiere seine Worte) „Zufällen“, „sekundären Kontakten“, einer „Mischung aus beiden Begriffen“. Was es zu vermeiden gilt, ist gerade das Unvermeidliche, der genetische Zufall, der sekundäre Kontakt, die genealogische Mischung, kurz die Kontamination einer Reinheit klarer und distinkter Begriffe, kurz das, was geschieht und wofür man die Verantwortung übernehmen muss. Benveniste will sich zwar nicht vorwerfen lassen, Phänomene, die jeder Gelehrte – wie er – bestätigen muss, mit Stillschweigen zu übergehen. In seiner Interpretation, und in einer Sprache, auf der die Konnotationen genealogischer Reinheit sehr schwer lasten, bewertet er aber genau das, was es zu denken gilt, um die Verantwortung dafür zu übernehmen, gleichzeitig als sekundär, zufällig, als Mischung und irrationale Unreinheit. Warum gibt es scheinbar zufällige, sekundäre Phänomene, Mischungen aus beiden Begriffen? Warum mischt sich das, und wer mischt? Wir werden weiterhin aufmerksam bleiben für diese Mischungen zwischen Begriffen, die man unterscheiden möchte (nützlich und gerecht, natürliche Strafe und poena forensis, Selbst- und Fremd-Bestrafung usw., die Liste wäre endlos).

      Seit ich Benveniste lese, habe ich in unterschiedlichsten Kontexten und bei unterschiedlichsten Themen bemerkt (ich könnte zahlreiche Beispiele dafür geben, veröffentlichte wie unveröffentlichte, von „Das Supplement der Kopula“ bis „Glaube und Wissen“53), dass ich immer zweierlei zugleich tun muss, dass ich seinem Wissen eine Hommage erweisen, also den Gelehrten ehren muss, ihn aber gleichwohl, im selben Moment, im Gegenteil auch verdächtigen, um nicht zu sagen ihn beschuldigen

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