Die Todesstrafe II. Jacques Derrida
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1. Erstes Argument. Das als ausgeschlossen eingeschlossene Transzendentale. Wenn die Todesstrafe, wie Benjamin behauptet, dazu bestimmt ist, das Recht in seinem Ursprung als Monopolisierung der Gewalt zu begründen, dann fällt die Grundlegung oder der Ursprung des Rechts, insbesondere des Strafrechts, nicht unter das Strafrecht, gehört es nicht zu dem Ensemble, das „Bestrafung“, Strafe oder Entgelt, noch weniger Abschreckung genannt wird. Das ist, wenn Sie sich dieser Sprache auf mindestens formale Weise bedienen wollen, das Transzendentale des Rechts. Das Transzendentale wird hier von dem ausgeschlossen, was es ermöglicht; und wenn es hier eingeschlossen wird, dann als eine exemplarische Ausnahme in der Reihe. Auf jeden Fall ist die Todesstrafe keine Strafe, die mit den anderen vergleichbar, ihnen homogen oder von ihnen nur quantitativ verschieden wäre. Das ist keine der Strafen, die vom Strafrecht vorgesehen sind.
2. Zweites Argument. Frage der Zeit, wenn Sie so wollen. Ob man nun vom Standpunkt der Ökonomie der Verteilungsgerechtigkeit oder vom Standpunkt der unterstellten Nützlichkeit der abschreckenden Beispielhaftigkeit darüber nachdenkt, die Todesstrafe ist keine Strafe, sie fällt nicht unter das Strafrecht, weil das Subjekt, dem sie auferlegt wird, einerseits nicht mehr da ist, nicht mehr da sein wird, nicht mehr da gewesen sein wird, um die Strafe zu bezahlen oder zu erleiden oder zu vollziehen, insbesondere um abgeschreckt zu werden, es noch einmal zu tun; das bestrafte, hingerichtete, beseitigte Subjekt wird als Subjekt der Strafe beseitigt, es gibt keine Strafe mehr für es. Es ist nicht, es ist noch nicht und wird nicht das gegenwärtige Subjekt [sujet] der Strafe gewesen sein, der es, wie man sagt, unterworfen [assujetti] wäre. All dies impliziert natürlich eine anspruchsvolle und ziemlich unorthodoxe, ziemlich unübliche Interpretation der Zeitigung41 der Zeit. Ein wenig so, als ob die phänomenologische oder existenziale Analyse der Zeitigung – weit davon entfernt, einfach auf den Fall der Todesstrafe angewandt zu werden – in der Erfahrung (die, vielleicht, gerade ohne Erfahrung ist, und es geht dabei um die Erfahrung selbst der Todesstrafe: Wer macht die Erfahrung der Todesstrafe? Derjenige, der stirbt, oder diejenigen, die ihn sterben sehen oder machen? Weder die einen noch die anderen vielleicht), ein wenig so, sagte ich, als ob die phänomenologische oder existenziale Analyse der Zeitigung – weit davon entfernt, einfach auf den Fall der Todesstrafe angewandt zu werden, in der Erfahrung (ohne Erfahrung) der Todesstrafe ihre Prüfung selbst, ihren Prüfstein oder ihren Stein des Anstoßes, ihr skandalon selbst finden würde. Dieser Skandal ist das Thema [sujet] dieses Seminars, das mutmaßliche, aber vielleicht unauffindbare Thema dieses Seminars. Man wäre, ohne dass dies die schreckliche Sache, die uns beschäftigt, im Geringsten erleichtern oder entdramatisieren würde, oft versucht zu sagen: Die Todesstrafe existiert nicht, niemand ist ihr wirklich unterworfen, niemand ist ein Subjekt nach ihrem Maße, es gibt kein Subjekt, das heißt kein der Todesstrafe gegenwärtiges Subjekt. Niemand erleidet die Todesstrafe. Einmal hingerichtet, verschwindet der Verurteilte, noch bevor er eine wie auch immer geartete Strafe bezahlt. Das Rechtssubjekt, das Subjekt der Bestrafung, wird beseitigt [supprimé] und nicht aufgehoben [relevé]. Weit davon entfernt, irgendjemanden mit diesem den Namen oder Übernamen ‚Todesstrafe‘ tragenden Effekt zu trösten oder zu versöhnen, intensiviert diese Beseitigung, dieses Ungreifbar- oder Unspürbar-Werden des Moments oder der Instanz der Hinrichtung, was einem Taschenspielertrick ähneln würde (plötzlich erleidet niemand die Todesstrafe, niemand kann sie erleiden), weit davon entfernt, die Dinge abzuschwächen oder abzumildern, intensiviert all dies im Gegenteil die Dringlichkeit oder die Monstrosität der Sache42. Die Todesstrafe würde nicht existieren, niemand wäre ihr je begegnet, ihr selbst, niemand hätte sie erlebt. Sie wäre von selbst abgeschafft, vor jeder Abschaffung und jeder Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe. Ihr Problem besäße weder < eine > Einheit, ja nicht einmal < eine > Konsistenz. Das ist im Übrigen auch der Grund, warum es Gegenstand einer so mächtigen und insistierenden, so hartnäckigen Zerstreuung [distraction] ist, aber einer Zerstreuung, die uns nicht loslässt, wie der Tod selbst – wenn man ‚der Tod selbst‘ sagen kann.
Daher müssen wir vielleicht eher von der Ausführung [exécution], der Wirksamkeit der Umsetzung sprechen als von der Verurteilung oder vom Prinzip der Einschreibung der Strafe ins Recht (wie Kant es tut, in Bezug auf den, wie auf Rousseau, man zeigen könnte, dass er an der Einschreibung des Prinzips ins Recht festhält, wenn man auch – wie ich glaube und wie ich später zu beweisen versuchen werde – beweisen kann, dass dieses absolute und irreduzible Recht in vollkommen Kantischer Logik phänomenal, für den homo phaenomenon, unanwendbar bleibt: nicht ausführbar [non exécutable], und also in gewisser Weise inexistent). Es gibt vielleicht keine Todesstrafe, niemand ist ihr je begegnet, aber es gibt Ausführungen/Hinrichtungen [exécutions].
3. Drittes Argument. Die Anomie der Todesstrafe. Von einem ganz anderen Standpunkt aus, aber aus denselben Gründen, finden wir, trotz der Distanz, ja der Umkehrung der Logik (ich sage wohlweislich Umkehrung der Logik, denn auch Beccaria, um den es nun gehen wird, schließt ebenso wie Benjamin die Todesstrafe von der Immanenz des Rechts aus, aber nicht deshalb, weil sie die Grundlage des Rechts bilden würde, sondern weil sie überhaupt kein Recht ist, sie ist dem Recht gegenüber auf andere Weise heterogen; denn es gibt zwei Arten, dem Recht gegenüber heterogen und kein Teil von ihm zu sein: indem etwas die Grundlage des Rechts bildet – wie ein Transzendental oder ein ausgeschlossener Grund dessen, was es ermöglicht, wir haben das gerade sehen –, oder indem etwas dem Ensemble „Recht“ nicht angehört, weil es ein Nicht-Recht darstellt) < finden wir also > die These Beccarias wieder, der zufolge „die Todesstrafe kein Recht [ist]“43 und es auch nicht sein kann, sondern ein Kriegsakt, ein Krieg der Nation gegen einen Bürger, dessen Beseitigung sie für notwendig oder nützlich erachtet. Wonach Beccaria zeigen wird, zu zeigen bestrebt sein wird, dass diese Beseitigung des Bürgers weder nützlich noch notwendig sei. Außer, das ist wahr, und über diese Ausnahme hatten wir letztes Jahr gesprochen, in den Ausnahmefällen also, in denen die Nation noch nicht oder nicht mehr existiert, in denen es also noch kein Gesetz oder kein Gesetz mehr, also noch kein Recht oder kein Recht mehr gibt. Wir müssen uns hier die Beweisführung Beccarias in Erinnerung rufen. Dieser sagt nicht, er glaubt nicht, dass der Tod eines Bürgers notwendig, nützlich oder gerecht sein könne, aber er beschreibt die Situationen, in denen er als ebendies erscheinen kann, in denen er für nützlich, notwendig oder gerecht gehalten wird. Diese Fälle sind Grenzfälle, und die Grenze ist eben die der Nation oder des Gesetzes, oder der Souveränität, wenn diese noch nicht existieren oder nicht mehr existieren, oder vor allem, wenn sie in ihrer Existenz bedroht sind. „Der Tod eines Bürgers“, sagt er, „kann nur aus zwei Beweggründen für notwendig gehalten werden.“44 Der erste Beweggrund [motif] ist jener Fall, wenn ein bestimmter Bürger, selbst während er schon im Gefängnis sitzt, noch aus seinem Gefängnis heraus Beziehungen unterhalten und eine Macht behalten kann, die es ihm gestatten, die Sicherheit der Nation zu bedrohen oder eine für die etablierte Regierungsform gefährliche Revolution auszulösen. Die Beseitigung eines Bürgers wird in dem Moment notwendig, in dem die Nation dabei ist, ihre Freiheit wiederzuerlangen oder zu verlieren (Perioden der Anarchie, des Quasi-Bürgerkriegs, wenn es eben kein Gesetz gibt, wenn es keines mehr oder noch keines gibt). Man kann es also für nützlich halten, einen bestimmten gefährlichen Bürger zu beseitigen, aber Sie sehen schon, dass es dann, wenn man ihn als einen „öffentlichen“ oder „Staatsfeind [ennemi public]“ und nicht nur als einen politischen Feind betrachtet, nicht nur um jemanden geht, der in politischen Angelegenheiten verurteilt wurde [condamné politique], sondern auch um eine Bedrohung für die Politik oder das Politische selbst, für die politische Ordnung, ja die Ordnung des Politischen. Wo aber, so Beccaria, das Gesetz friedlich herrscht, wo die Regierung die Zustimmung der gesamten Nation genießt, nach außen wie nach innen durch die Macht [force] […]45 und vor allem durch die öffentliche Meinung verteidigt wird, die noch wirksamer ist als die Macht, wo die Macht [pouvoir] nur beim wirklichen Souverän liegt, wo Reichtum und nicht Autorität Genuss erkauft, da „kann es keine Notwendigkeit