Die Todesstrafe II. Jacques Derrida

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Die Todesstrafe II - Jacques  Derrida Passagen forum

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zu monopolisieren; und die Bewunderung, die den Verbrecher glorifiziert, ist ein Zeugnis dieser Situation. Aber da dasselbe Volk zugleich die Verurteilung fordern und den Verurteilten bewundern kann, und es ist Volk nur in dem Maße, in dem es zu diesem Widerspruch fähig ist, in einer Logik der Opferung, in der man sowohl die Logik des pharmakos (ausgeschlossen und gefeiert, ausgeschlossen und erwählt) als auch die Logik des sacer (gesegnete und verfluchte Sakralität zugleich) wiederfindet, kann der Begriff des „Volks“ oder der „Menge“ nicht auf einer Logik des repräsentativen und objektiven Bewusstseins beruhen, sondern bereits auf einem bestimmten unbewussten Affekt, den es im Herzen der Problematik zu berücksichtigen gilt. Das Volk ist unbewusst und verfügt über ein Unbewusstes, wo es sich auf die legale Gewalt, auf die Monopolisierung der Gewalt durch das Recht bezieht. Wenn Benjamin von einer „heimliche[n] Bewunderung“ des Volkes für den großen Verbrecher spricht, dann geht diese Heimlichkeit/dieses Geheimnis [secret], diese innerlich verborgene, private, heim-liche (heimliche*)32 Dimension, dieses Uneingestehbare der Bewunderung aus der Nacht des Unbewussten hervor, aus einer unbewussten Verhandlung zwischen dem (im Grunde legitimen, aber uneingestehbaren) Begehren, gegen die Monopolisierung der Gewalt durch das Recht zu protestieren, und dem scheinbar eher eingestehbaren und ebenfalls legitimen Begehren, das Recht und also die Verurteilung des Verbrechers zu billigen. Das vollzieht sich vielleicht zwischen jenen zwei Ordnungen, die Kant unterscheidet, der poena naturalis und der poena < forensis >.33 Ohne dass Benjamin es in dieser Form sagt, können wir daraus bereits schließen, dass der zum Tode verurteilte große Verbrecher immer gefürchtet34, aber heimlich, unbewusst bewundert wird wie ein Revolutionär, wie ein in politischen Angelegenheiten Verurteilter. Selbst wenn sein Verbrechen allem Anschein nach nicht politisch ist, selbst wenn es ein Verbrechen gemeinen Rechts35 ist, ist durch die Tatsache, dass er durch sein Verbrechen die politische Gewalt des Rechts, das staatliche Gewaltmonopol herausgefordert hat, jedes große Verbrechen ein politisches Verbrechen und/oder eine politische Großtat. Es ließen sich viele Beispiele anführen für diese oftmals unentscheidbare und poröse Grenze zwischen dem Verbrechen gemeinen Rechts und dem politischen Verbrechen. Nicht nur in all den Fällen, in denen der Staat es aus unterschiedlichen Gründen und in unterschiedlichen Situationen für opportun hält, einen Anklagepunkt umzuwandeln und einen politischen Anklagepunkt unter einem Anklagepunkt gemeinen Rechts zu verbergen (Mumia Abu-Jamal: Kommentieren+), sondern wir können auch in Betracht ziehen, dass die Logik rousseauistischen Typs, die darin besteht, die Todesstrafe zu rechtfertigen, indem man den Verbrecher im Allgemeinen als Staatsfeind definiert, der den verrät und das Gesetz herausfordert, < dass > diese Logik des „Staatsfeinds“ [ennemi public] darin besteht, aus jedem Verbrechen ein politisches Verbrechen zum machen.

      2. Zweites Motiv: Es gibt noch ein anderes Motiv, ich hatte es angekündigt, das ich, sehr kurz, in Benjamins Text situieren möchte, den ich Ihnen im Übrigen zur nochmaligen Lektüre empfehle. Wir wollen es „die begründende Ausnahme oder das ausgeschlosseneingeschlossene-Transzendentale“ nennen. Es handelt sich in Wirklichkeit um die Konsequenz aus dem, was wir gerade analysiert haben. Sie berührt aber direkt die Todesstrafe, während Benjamin bislang nur von der Monopolisierung der Gewalt durch das Recht und die heimliche Bewunderung für den großen Verbrecher sprach. Wenn er, vier oder fünf Seiten weiter, die Todesstrafe diesmal beim Namen nennt, tut er das im Rahmen einer Überlegung, die sowohl an Kant erinnert (der die Todesstrafe als Ursprung und Möglichkeit selbst des Rechts rechtfertigt), als auch die Notwendigkeit dieser Kantischen Logik in eine Geschichte einschreibt, die es vielleicht erneut in Frage zu stellen gilt (ausgehend von Benjamin’schen Schemata, die die mythische Gewalt des griechischen Rechts der göttlichen Gewalt jüdischen Typs gegenüberstellen, und die rechtsgründende Gewalt von der rechtserhaltenden Gewalt des Rechts unterscheiden, vgl. Gesetzeskraft36). Die rechtserhaltende Gewalt, so bemerkt Benjamin, wird als bedrohlich empfunden, und es ist diese Drohung, angesichts derer man gegen die Todesstrafe protestiert. Sobald das positive Recht in Frage gestellt wurde, war die Todesstrafe dabei das am stärksten Kritisierte. Die Argumente dieser Kritik, merkt Benjamin an, gingen der Sache jedoch nicht auf den Grund, sie waren in den meisten Fällen wenig „grundsätzlich*“; in der Kritik der Todesstrafe war man immer oberflächlich. Wenn auch die Argumente der Sache nicht auf den Grund gingen, so wurde doch das, worum es ging, gut ins Visier genommen, und zwar prinzipiell. Und das wie folgt: Ebenjene, die die Todesstrafe attackierten, ohne zu grundsätzlichen Argumenten in der Lage zu sein, spürten sehr wohl, dass sie, indem sie die Todesstrafe attackierten, nicht eine Bestrafung oder ein Gesetz unter anderen attackierten, sondern „das Recht selbst in seinem Ursprung“37. Dieser Ursprung ist eine Gewalt, eine vom Schicksal gekrönte Gewalt (schicksalhaft gekrönte Gewalt*). Daher besteht einiger Grund zu der Annahme, dass sich „in der höchsten Gewalt“, jener, die darin besteht, in der Ordnung des Rechts über Leben und Tod des Rechtssubjekts zu verfügen, die Ursprünge dieser Ordnung auf ebenso präsente wie furchtbare Weise manifestieren. Mit anderen Worten: Die Todesstrafe ist das, was den Ursprung und das Wesen des Rechts, das heißt die Gewalt, in herausragender Weise offenbart, wenn man so sagen kann. Wenn man zum Tode verurteilt, sanktioniert man nicht dieses oder jenes Delikt, sondern bekräftigt – auf disproportionale Weise – von Neuem die Notwendigkeit des Rechts und seiner Gewalt. Zum Tode verurteilen, das heißt nicht, diese oder jene Verfehlung zu bestrafen, sondern das heißt, das Recht auf das Recht, das Recht auf die Gewalt des Rechts zu setzen. So bestrafte man zum Beispiel „in primitiven Rechtsverhältnissen“, so Benjamin, das geringste Eigentumsdelikt „ganz außer ‚Verhältnis‘“38 mit dem Tode; ebendies machte deutlich, dass es nicht darum ging, diese oder jene besondere Verletzung des Rechts zu sanktionieren oder zu bestrafen, sondern das Recht erneut zu bekräftigen oder wiederherzustellen, wie auch ein neues Recht zu etablieren. Jedes Mal, wenn man mit dem Tode bestraft, erfindet man das Recht neu. Indem es die Gewalt über Leben und Tod ausübt, „bekräftigt das Recht sich selbst“, „mehr als in irgendeinem andern Rechtsvollzug“39. Dieses „mehr als“, dieses „am meisten“, diese Hyperbel, dieser Gipfel des Komparativs oder dieser Superlativ in der Argumentation Benjamins ist interessant. Denn es gibt zu denken, dass die Todesstrafe zwar die Bestrafung par excellence ist, gleichzeitig aber, da weniger dazu bestimmt, dieses oder jenes Delikt, diese oder jene Verletzung dieses oder jenes Gesetzes zu bestrafen, als vielmehr dazu, das absolute Recht auf das absolute Recht zu bekräftigen, dass diese höchste Strafe in Wirklichkeit keine Strafe ist; das ist keine Strafe unter anderen, sie steht nicht im Verhältnis zum Maß des Delikts – wie bei einer Verteilungsgerechtigkeit oder einer Abschreckungsjustiz. Ihre Unverhältnismäßigkeit, ihr „ganz ‚außer Verhältnis‘“ nimmt sie vom Bereich der Bestrafung aus. Bevor wir dieses Argument bis zu seiner äußersten Konsequenz treiben, die darin bestünde, zu sagen, dass die Todesstrafe40 keine Bestrafung, keine Art aus der Gattung Bestrafung beziehungsweise kein Fall von Bestrafung ist, wollen wir zunächst Folgendes sagen: Der absolute Verbrecher, der große oder sehr große Verbrecher, jener, welchen man mit der Todesstrafe zu bestrafen behauptet, hat nicht dieses oder jenes Verbrechen, ja diesen oder jenen Mord begangen. Er hat das höchste Verbrechen begangen, nämlich die Souveränität des Gesetzes absolut, womöglich auch noch souverän, zu überschreiten: Nicht dieses oder jenes Gesetz zu übertreten, sondern das Gesetz der Gesetze, das heißt das Prinzip selbst des Rechts, das dem Recht das Recht gibt, die Gewalt zu monopolisieren. Daher die Faszination für den großen Verbrecher, der nicht dieses oder jenes Gesetz übertritt, sondern das Prinzip selbst des Gesetzes überschreitet – und im Grunde genommen den Staat und die Politik, das Politische selbst. Das ist auch der Grund dafür, dass jeder große Verbrecher sogenannten gemeinen Rechts zunächst ein politischer Gefangener ist, politischer als jeder andere, da das, was er attackierte, die Möglichkeit, die Bewahrung, die Instanz des Politischen selbst ist, das soziale Band (das, was auch heimlich Liebende tun, die in dieser Hinsicht, zumindest in dieser Hinsicht, den großen Verbrecher[n]* vergleichbar sind). Wir wollen jetzt den Grund präzisieren, weshalb man, von diesem Standpunkt aus, der Ansicht sein könnte, dass die Todesstrafe keine Strafe, keine Bestrafung sei, dass es ein Missbrauch der Sprache ist, wenn man sie in die Kategorie der Bestrafung und also des Strafrechts einordnet.

      Die Argumentation könnte hier drei Argumente umfassen, deren Logiken unterschiedlich wären, die aber alle auf

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