Moderner Fundamentalismus. Stefan Breuer

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Moderner Fundamentalismus - Stefan Breuer

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Daß er dafür Gründe anführen kann, macht seine Lösungen nicht annehmbarer.

      Die Texte des vorliegenden Bandes sind als Versuche gedacht, die Tragfähigkeit des hier umrissenen Typus auszuloten. Einige davon wurden zwischen 1997 und 2001 an verschiedenen Orten veröffentlicht: im Berliner Journal für Soziologie (Einleitung), in Sinn und Form (I.1, II.3), der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte (II.2), dem von Wolfgang Braungart u.a. herausgegebenen Band Stefan George: Werk und Wirkung seit dem ‚Siebenten Ring‘ (Exkurs) den Recherches Germaniques (III.2), dem Jahrbuch der Klages-Gesellschaft, Hestia (IV) und der Internationalen Zeitschrift für Philosophie (V). Dennoch handelt es sich nicht um einen Sammelband im üblichen Sinne. Die schon publizierten Texte wurden vielfach erheblich erweitert und umgearbeitet, wie es immer da der Fall zu sein pflegt, wo ein Konzept nicht von Anfang an fest steht, vielmehr erst allmählich in der Auseinandersetzung mit bestimmten Erscheinungen Konturen annimmt. Für wichtige Anstöße hierzu bin ich Botho Strauß und Martin Riesebrodt verpflichtet: dem letzteren für seine klärenden Beiträge zur Religionssoziologie des Fundamentalismus, dem ersteren für die Idee, den Begriff auf außerreligiöse Phänomene anzuwenden. Dem Herausgeber der Kulturwissenschaftlichen Studien, Klaus Lichtblau, habe ich für manchen klärenden Hinweis auf begriffliche und sprachliche Inkonsistenzen zu danken.

      1Siehe die Beiträge von Schütze, Reichel, Klinger und Dubiel in: GegenModerne 1992.

      2Parsons 1980, 212. Parsons hat denn auch nicht gezögert, den Nationalsozialismus als Fundamentalismus zu deuten: vgl. Parsons 1973, 281.

      3Dieser regressive Zug charakterisiert natürlich auch den religiösen Fundamentalismus. Auffällig ist jedoch, daß der letztere, ungeachtet seiner grundsätzlich weltablehnenden Haltung, gegenüber der modernen Wissenschaft und Technik keineswegs die gleiche Reserve zeigt wie der moderne Fundamentalismus. Das gilt für den protestantischen Fundamentalismus in den USA, der sich bekanntlich virtuos der avanciertesten Formen der Massenkommunikation bedient, ebenso, wie für den Islamismus, der Wissenschaft und Technologie für neutral und deshalb islamischen Zwecken durchaus adaptierbar hält (vgl. Tibi 1992, 105 u.ö.). Nach den Prämissen der Religionssoziologie Webers ist dies nicht überraschend. Denn der protestantische wie der islamische Fundamentalismus sind beide auf Weltablehnung basierende Religionen der Weltbeherrschung, die den Erlösungsweg der Askese bevorzugen (Peters 1987). Askese aber ist stets ein aktiv ethisches Handeln „mit dem Bewußtsein, daß Gott dies Handeln lenke: daß man Gottes Werkzeug sei“ (Weber 1976, 328). Von da aus liegt es nahe, auch Wissenschaft und Technik als Werkzeuge anzusehen, mit deren Hilfe das gottgewollte Ziel zu erreichen ist. Anders gesagt: beim religiösen Fundamentalismus impliziert Weltablehnung nicht notwendig Zeitablehnung (jedenfalls nicht im totalen Sinne), wie umgekehrt beim modernen Fundamentalismus Zeitablehnung nicht Weltablehnung impliziert.

      4Troeltsch 1919, 931. Zu den unterschiedlichen Akzentsetzungen bei Troeltsch und Weber, auch und gerade in typologischer Hinsicht, vgl. Molendijk 1996, 46, 66, 84. Die zeitbejahenden Formen der Mystik hat Troeltsch nicht zuletzt in der von Eugen Diederichs publizierten ‚Verlagsreligion‘ lokalisiert (vgl. 1919, 934).

      5Weber 1976, 304. Womit natürlich nicht gesagt ist, daß nicht auch ‚Fachmenschen‘ sinndeutend tätig sein können. Wer eine höhere Bildung genossen hat, ist ein „potentieller Intellektueller“, sagt Schumpeter mit Recht, jedoch nicht ohne hinzuzufügen, daß etwa Ärzte und Advokaten keine Intellektuellen im eigentlichen Sinne seien (1987, 236). Dies ist gegen die Begriffsausweitung bei Robert Michels, Theodor Geiger und noch Arnold Gehlen festzuhalten.

      6Ich bin an anderer Stelle darauf ausführlicher eingegangen: vgl. Breuer 1999, 62 ff., 139 ff.

I. Moralischer Fundamentalismus

      1. Rousseau und die Folgen

      Nach einer einflußreichen neueren Deutung muß der moderne Fundamentalismus als Ergebnis einer Verschmelzung heterodoxer religiöser Traditionen mit dem Jakobinismus angesehen werden, dessen Kern im „Glauben in den Primat der Politik und die Fähigkeit der Politik, Gesellschaft zu rekonstituieren“, bestehe (Eisenstadt 1998, 67). Das ist eine bestreitbare These. Das Wesensmerkmal des Jakobinismus – der Glaube an die Allmacht der Politik – ist kein Wesensmerkmal des Fundamentalismus, nicht des modernen, der sich an Moral, Kunst oder Erotik orientiert, nicht des religiösen, von dem zu Recht gesagt wird: „Der politische Aktivismus ist oftmals nur ein vorübergehender Zug, den fundamentalistische Bewegungen unter gewissen Zeitumständen annehmen, aber auch wieder ablegen können“ (Riesebrodt 2000, 55). Umgekehrt ist das gemeinsame Merkmal aller Fundamentalismen – die Welt- bzw. Zeitablehnung – kein Wesensmerkmal des Jakobinismus. In dem Katalog der Präferenzen, die man ihm zugeschrieben hat – von der Unteilbarkeit der nationalen Souveränität über die Zentralisierung von Staat und Gesellschaft bis zur Idee der Erneuerung des Menschen durch die republikanische Schule (Furet/Ozouf 1996, 1171) –, sucht man vergeblich danach, und dies nicht von ungefähr. Robespierre, der wie kein anderer den Geist des Jakobinismus repräsentiert, ist tief durchdrungen vom Glauben an den Fortschritt der Menschheit, nicht nur auf physischem, sondern auch auf moralischem Gebiet. Die Jakobiner mögen an die Allmacht der Politik, an das Charisma der Vernunft und an die Verwirklichung der Tugend geglaubt haben; Fundamentalisten waren sie deshalb noch lange nicht.

      Damit ist jedoch nicht gesagt, daß der Fundamentalismus keine Rolle in der Französischen Revolution gespielt hätte. Zeiten beschleunigten sozialen und politischen Wandels pflegen Polarisierungen zu fördern, so daß neben einem Extremismus des Fortschritts stets auch mit dessen Gegenteil zu rechnen ist. Der Name, der sich hierfür sofort aufdrängt, ist Rousseau, dessen Werk zwar auf alle Richtungen der Revolution gewirkt hat (und damit auch auf die Jakobiner), dessen fundamentalistische Grundintention gleichwohl nur von wenigen aufgenommen und bis in die letzten Konsequenzen geführt worden ist. Rousseau war vielleicht nicht, wie Nietzsche gemeint hat, der erste moderne Mensch (KSA 6, 150). Gewiß aber war er der erste Moderne, der die Menschheit anstatt in einem allgemeinen Fortschritt zum Besseren in einer zunehmenden Denaturierung und Dekadenz begriffen sah. Er war der erste Diagnostiker einer genuin modernen Krise, die geradewegs auf die Revolution zusteuerte. Und er war schließlich auch der erste, der das Heil nicht mehr von der Religion, sondern von Moral und Politik erwartete. Gründe genug, um ihm im Pantheon des modernen Fundamentalismus einen zentralen Platz zuzuweisen.

      I.

      Um die Eigenart von Rousseaus Fundamentalismus zu verstehen, muß man sich zunächst klarmachen, inwiefern es sich nicht um einen religiösen Fundamentalismus handelt. Ein solcher ist nicht von vornherein auszuschließen, hat Rousseau doch den Boden der positiven Religion nie völlig verlassen. Er glaubt an den Schöpfergott der jüdisch-christlichen Tradition, an das Evangelium Christi, an die Pflicht, die Religion des Landes zu bekennen und zu lieben7. Der savoyische Vikar, so skeptisch hinsichtlich der einzelnen Dogmen, weiß doch zumindest um die Ordnungsfunktion der Offenbarungsreligionen und der auf sie gegründeten Kirchen: Jemanden dazu zu überreden, seine Religion zu verlassen, meint er, „heißt, ihn dazu zu überreden, Böses zu tun und folglich selbst Böses zu tun“ (Emile 330/629). Nicht ohne Grund bezeichnet Troeltsch Rousseau als „eine wirklich religiöse Natur“, als „die am meisten religiöse Persönlichkeit“ unter allen Deisten (Troeltsch 1925, 482).

      Nichtsdestoweniger sehen wir Rousseau nirgends bei jener Aktivität, die für den religiösen Fundamentalismus essentiell ist: der Reaktivierung und Mobilisierung der religiösen Tradition. Seine ganze Anstrengung richtet sich vielmehr darauf, diese Tradition zu entwerten, sie als religiöse Quelle zu entkräften (Cassirer 1991, 46). Rousseau verwirft die Offenbarungen, weil in ihnen Gottes Wort durch die Stimme des Menschen verfälscht werde. Er bezweifelt die Autorität der Propheten und der Kirchenväter, attackiert das Interpretationsmonopol

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