Eine illegitime Kunst. Pierre Bourdieu

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Eine illegitime Kunst - Pierre  Bourdieu eva taschenbuch

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widmet sich die Hälfte der Passionierten ihrer Liebhaberei seit mehr als zehn Jahren. Eine Praxis, die in der Gruppe keinerlei Unterstützung findet, vermag nur dann zu dauern, wenn sie zur Devotion wird oder in wütenden Fanatismus umschlägt. In einer dem Photographieren wenig aufgeschlossenen Umgebung setzt eine intensive Praxis in aller Regel eine Wahl voraus, die zudem entschieden genug sein muß, um nicht an den ökonomischen Hindernissen zu scheitern, d.h. eine Wahl von Dauer. Es genügt nicht, die Intensität der Praxis einzig dem Willen zuzuschreiben, eine Ausrüstung, die (vergleichsweise) teuer war, nicht ungenutzt zu lassen. Bereits die Entscheidung für eine Kamera, die viel kostet, setzt eine Neigung oder Passion voraus, die stark genug ist, um zu überdauern, und schließt launenhaften Wankelmut im allgemeinen aus. Ganz anders liegt der Fall, wenn die teure Ausrüstung eine Art Statusattribut darstellt. Dann kann sie ebensogut ein Engagement ausdrücken wie eine kurzlebige Begeisterung.

      Somit sind Form und Dauer des Engagements eine Funktion des Verhältnisses der Subjekte zu dem in ihrer Gruppe am weitesten verbreiteten Typus dieser Praxis. Man kann sich sogar fragen, ob die implizite Berufung auf die modale Praxis nicht das Grundprinzip der Devotion ist: In Ermangelung einer Tradition, die als ein Kodex von Kenntnissen und Regeln übermittelt werden könnte, in Ermangelung eines Dogmas und einer Liturgie, die zur Definition einer Hierarchie von Praktiken beitragen könnten, vermag sich die individuelle Praxis einzig durch Bezugnahme auf die modale Praxis zu bestimmen und zu regeln. Im Gegensatz zur Beschäftigung mit den sanktionierten Künsten, bei der sich der Eifer an einem Ideal messen und objektiv wie subjektiv durch Beachtung einer Anzahl fester Grundsätze ausweisen kann, die den Modalitäten des ästhetischen Handelns ihren festen Platz in einer Hierarchie zuweisen, kann die Devotion nur gelebt werden, indem sie von der üblichen Praxis abrückt und die Norm der Lauen übertritt. So kommt es, daß in einer Gruppe, in der die Voraussetzungen für die Photographie überaus günstig sind, nämlich bei den mittleren Angestellten, der Eifer nur sichtbar werden kann in der Übertrumpfung anderer, durch zusätzliche Riten wie das Entwickeln und Vergrößern der Photos: Das erklärt, daß diejenigen, die ihre Photos selbst entwickeln, in dieser Gruppe ebenso zahlreich sein können wie bei den Arbeitern, obgleich bei diesen die Neigung dazu viel stärker ausgeprägt ist, weil sie Freude an manueller Tätigkeit haben und weil sie vor allem auf Sparsamkeit bedacht sind.45

      Es ist dieselbe Logik, die manche Mitgliedschaft in einem Klub von Amateurphotographen erklärt, ein Schritt, mit dem man sich von der Masse der Amateure entfernt, um die kulturelle Initiation zu erlangen. Wenn die Mehrzahl dieser Klubs die meisten ihrer Mitglieder aus sozialen Schichten rekrutiert, die der Photographie besonders aufgeschlossen gegenüberstehen (d. h. vor allem aus den Mittelschichten und hier wiederum aus dem unteren Bereich), dann zweifellos deshalb, weil hier die engagierten Amateure in ihrer Umgebung für ihren Eifer Unterstützung finden; in der Tat geht es ihnen hauptsächlich darum, zu dokumentieren, daß sie sich mit einer, wie sie meinen, allzu platten Praxis nicht zufriedengeben mögen. Im übrigen jedoch sind diese »Ästheten«, deren ästhetische Intentionen sich insbesondere bei den weniger Gebildeten auf die Negation der gängigen Normen beschränken, die die legitimen Gegenstände der Photographie definieren, angetrieben von der Hoffnung auf ein neues Normensystem, das ihnen die beruhigende Sicherheit zurückgeben könnte, deren sie sich durch ihren Bruch mit der gemeinsamen Tradition begeben haben. Es drückt sich in der Mitgliedschaft einer Sekte, die den Initiierten eine neue Geborgenheit und neue Regeln verspricht, wahrscheinlich die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer integrierten Gruppe aus, einer Gruppe, die diese Sehnsucht in ihr Gegenteil verkehrt, indem sie sich über die Negation gemeinsamer Regeln konstituiert.46

       Klassenunterschiede und sich bewußt unterscheidende Klasse

      Mithin ist das Verhältnis der Photoamateure – vor allem der ambitioniertesten – zur Photographie niemals unabhängig von ihrem Verhältnis zu ihrer Gruppe (oder, wenn man so will, vom Grad ihrer Integration in die Gruppe) und von ihrem Verhältnis zur modalen Praxis ihrer Gruppe (in dem ihre Lage innerhalb der Gruppe zum Ausdruck kommt), die ihrerseits eine Funktion der Bedeutung und des Platzes ist, die der Photographie von der Gruppe zugewiesen werden. Diese Zuordnung hängt einerseits von dem gruppenspezifischen System impliziter Werte sowie der Position der Photographie innerhalb des Systems der schönen Künste ab (die sich mit der Lage der Gruppe gegenüber diesem System ändert), andererseits von der Bedeutung und dem Platz, die die anderen Gruppen aufgrund derselben Logik der Photographie zuschreiben.

      Und schließlich ist die – technisch wie ökonomisch – extrem leichte Zugänglichkeit des Mediums zu berücksichtigen. In der Tat unterscheidet sich das Photographieren ebenso von solchen Tätigkeiten, die zwar kostspielig sind, aber keinerlei intellektueller Vorbereitung bedürfen (z.B. der Tourismus), wie von den zwar erschwinglichen, aber nur jenem Personenkreis vorbehaltenen Beschäftigungen, der über bestimmte Grundkenntnisse verfügt (z.B. dem Besuch von Museen). Anders gesagt, nichts ist weniger esoterisch als das Photographieren, da es genügend preiswerte Kameras mit geringem Bedienungsaufwand gibt, und da die Neigung (und nicht lediglich die Befähigung) zu deren Gebrauch nicht das Ergebnis einer praktischen oder theoretischen Bildung ist. Daraus folgt, daß die Bedeutung, die dieser leicht zugänglichen Praxis verliehen wird, mitkonstituiert ist durch den – vorwiegend – negativen Vergleich mit der üblichen Praxis. Die verschiedenen Gruppen einer geschichteten Gesellschaft können die photographische Praxis unterschiedlichen Normen unterwerfen, welche zumindest darin übereinstimmen, daß sie (in je besonderer Weise) von jener Norm abweichen, welche die gängige Praxis reguliert. Das ist der Grund, warum die Photographie ein aufschlußreiches Beispiel für die Logik der Bemühung um Andersartigkeit um der Andersartigkeit willen ist oder, wenn man so will, für die Logik eines Snobismus, der kulturelle Tätigkeiten nicht an sich und für sich wahrnimmt, sondern einzig in und aufgrund einer Beziehung mit den Gruppen, die ihnen nachgehen. Dieser Differenzierungsmechanismus veranlaßt einen Teil der Angehörigen der Mittelschichten dazu, Originalität in der engagierten Beschäftigung mit einer Photographie zu suchen, die ihrer familialen Zwecksetzungen entkleidet ist, während er einen Teil der Angehörigen der Oberschicht von diesem Engagement abhält, dem das Odium des Gewöhnlichen anhaftet, weil es weit verbreitet ist.

      Die bäuerliche Gesellschaft ist genügend stark integriert und ihrer Werte hinreichend sicher, um bei ihren Mitgliedern das Gebot der Konformität durchzusetzen und jeden Versuch zu vereiteln, sich durch Nachahmung der Leute in der Stadt von den anderen Mitgliedern ihrer Gesellschaft zu unterscheiden. Somit können weder die ökonomischen Hemmnisse, etwa die hohen Kosten der Ausrüstung, noch die technischen Hindernisse erklären, warum das Photographieren im bäuerlichen Milieu eher die Ausnahme ist.47 Die Bauern nutzen die Photographie lediglich als Konsumenten, noch dazu in selektiver Weise, und sie können auch gar nicht anders, weil das System der Werte, an denen sie teilhaben und die um ein bestimmtes Bild vom »typischen« Bauern angeordnet sind, ihnen untersagt, selbst zu photographieren und sich so mit den Städtern zu identifizieren.

      Die Photographie erscheint hier als Luxus. Das bäuerliche Ethos macht es zur Pflicht, Geld zunächst in die Vergrößerung des ererbten Besitzes oder zur Erneuerung des landwirtschaftlichen Geräts und erst dann in Verbrauchsgüter zu investieren. Mehr noch: Jede Neuerung ist suspekt in den Augen der Gruppe, und zwar nicht nur als Absage an die Tradition, sondern vor allem deshalb, weil hinter ihr die Absicht, sich zu unterscheiden, sich von den anderen abzuheben, die anderen zu beeindrucken oder auszustechen, vermutet wird. Diese Prinzipientreue beherrscht die gesamte gesellschaftliche Existenz und hat mit Egalitarismus nichts zu tun. Im Grunde haben Ironisierung, Spott und Dorfklatsch den Zweck, den Aufschneider oder den Prahlhans, der mit seinem Versuch, Neuerungen einzuführen, anscheinend der ganzen Gemeinde eine Lektion erteilen oder sie herausfordern möchte, zur Räson zu bringen, d.h. zu Konformität und Gleichförmigkeit anzuhalten. Ob er diesen Vorsatz tatsächlich hegt oder nicht, der Verdacht bleibt auf ihm sitzen. Unter Rekurs auf die Erfahrungen der Vergangenheit und indem man alle anderen Gruppenmitglieder als Zeugen anruft, soll öffentlich bekräftigt werden, daß die Neuerung keinem wirklichen Bedürfnis entspringt.

      Die kollektive Mißbilligung weist jedoch je nach Art der

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