David Copperfield. Charles Dickens
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Dennoch nahm ich bei Murdstone und Grimby eine gewisse Sonderstellung ein. Außer daß Mr. Quinion tat, was ein so viel beschäftigter und im ganzen so oberflächlicher Mann tun konnte, um mich auf anderm Fuße als die übrigen zu behandeln, äußerte ich niemals gegen meine Gefährten, wie ich an diesen Ort gekommen war, und nie im mindesten verriet ich, daß ich darüber bekümmert war. Daß ich im geheimen aufs tiefste litt, erfuhr niemand außer mir. Wie sehr ich litt, läßt sich gar nicht mit Worten schildern, wie ich schon sagte. Aber ich behielt meinen Schmerz für mich und verrichtete meine Arbeit. Ich begriff von vornherein, daß wenn ich nicht ebensogut wie die übrigen arbeitete, ich mich nicht vor Geringschätzung und Mißachtung schützen könnte. Bald wurde ich auch mindestens so flink und anstellig wie irgend einer der andern Lehrlinge, und obwohl ich mich immer freundlich zu ihnen zeigte, waren mein Betragen und meine Manieren doch so verschieden von den ihrigen, daß sich eine natürliche Grenze zwischen uns bildete. Die Männer nannten mich gewöhnlich »das Herrchen« oder »den jungen Suffolker«. Ein gewisser Gregory, der oberste der Packer, und ein anderer namens Tipp, der Rollkutscher, der eine rote Jacke trug, redeten mich zuweilen »David« an, aber ich glaube, es war in besonders vertraulichen Momenten, oder wenn ich mich bemüht hatte, sie bei der Arbeit zu unterhalten mit irgend einer Erzählung aus den früher gelesenen Büchern, die jetzt rasch meinem Gedächtnis entschwanden. Kartoffelkloß rebellierte einst gegen meine Ausnahmestellung, aber Mick Walker legte es ihm im Umsehen.
Den Gedanken an eine Erlösung aus diesem Dasein hatte ich ganz aufgegeben. Ich bin fest überzeugt, daß ich mich nicht eine Stunde lang damit aussöhnte oder mich anders als höchst unglücklich fühlte, aber ich duldete still, und selbst Peggotty entdeckte ich teils aus Liebe zu ihr und teils aus Scham in keinem Briefe die Wahrheit, obgleich ich viele schrieb.
Mr. Micawbers Verlegenheiten vermehrten noch die Last auf meinem Gemüte. In meiner Verlassenheit wurde ich der Familie ordentlich zugeneigt und ging herum, beschäftigt mit Mr. Micawbers Berechnungen von Auskunftsmitteln und beschwert mit der Last von Mr. Micawbers Schulden. Sonnabend nachmittag, wo mein Hauptfest war – teils weil es etwas Großes war, mit sechs oder sieben Schilling in der Tasche nach Hause zu gehen, nach den Läden zu blicken und zu denken, was man mit einer solchen Summe alles kaufen könne, teils weil ich zeitig nach Hause ging – machte mir Mrs. Micawber im Vertrauen die herzzerreißendsten Mitteilungen; auch Sonntags früh, wo ich die Portion Tee oder Kaffee, die ich mir des Abends zuvor gekauft hatte, in einem kleinen Rasiertopf wärmte und lange beim Frühstück blieb. Es war gar nicht ungewöhnlich, daß Mr. Micawber zu Anfang dieser Sonnabendsunterhaltung heftig schluchzte und gegen Ende ein lustiges Lied zum besten gab. Es kam vor, daß Mr. Micawber in Tränen gebadet zum Abendessen nach Hause kam und erklärte, jetzt bliebe ihm nur noch das Gefängnis übrig, und zu Bette ging, mit einer Berechnung beschäftigt, wieviel es wohl kosten würde, seine Wohnung mit Erkerfenstern ausstatten zu lassen, für den Fall, »daß sich etwas finden sollte«, wie seine Lieblingsredensart lautete. Und Mrs. Micawber war genau ebenso.
Eine merkwürdige freundschaftliche Gleichheit, die vielleicht ihren Ursprung in unsern gegenseitigen Verhältnissen fand, entsprang zwischen mir und diesen Leuten trotz der lächerlichen Verschiedenheit unserer Jahre. Aber nie ließ ich mich bewegen, eine der vielen Einladungen, mit ihnen zu essen oder zu trinken, anzunehmen, denn ich wußte recht gut, daß sie mit Bäcker und Fleischer schlecht standen und oft nicht zuviel für sich hatten, bis Mrs. Micawber mir ihr ganzes Vertrauen schenkte. Dies tat sie eines Abends mit folgenden Worten:
»Master Copperfield,« sagte Mrs. Micawber, »ich betrachte Sie nicht als Fremden und stehe daher nicht an, Ihnen zu sagen, daß Mr. Micawbers Geldverlegenheiten jetzt zu einer Krisis kommen.«
Das betrübte mich tief, und ich sah Mrs. Micawbers rote Augen mit der größten Teilnahme an.
»Mit Ausnahme der Kruste von einem Holländer Käse – die doch für kleine Kinder nicht zum Essen taugt –« sagte Mrs. Micawber, »ist auch buchstäblich kein Krümchen mehr in der Speisekammer. Als ich mich noch bei Papa und Mama befand, war ich gewohnt, von der Speisekammer zu sprechen, und ich brauche das Wort, fast ohne es zu wissen. Ich will damit nur sagen, daß nichts zu essen im Hause ist.«
»O Gott!« sagte ich ganz erschrocken.
Ich hatte noch zwei oder drei Schillinge von meinem Wochengelde in der Tasche – woraus ich schließe, daß es Mittwoch abend gewesen sein muß – zog sie eilfertig aus der Tasche und bat Mrs. Micawber mit aufrichtig gefühlter Teilnahme, sie als Darlehen anzunehmen. Aber sie küßte mich, steckte mir wieder das Geld in die Tasche und sagte, daß daran nicht zu denken sei.
»Nein, lieber Master Copperfield,« sagte sie, »das sei ferne von mir! Aber Sie sind verständig über Ihre Jahre hinaus und können mir einen andern Dienst erweisen, wenn Sie wollen, und einen Dienst, den ich mit Dank annehmen werde.«
Ich bat Mrs. Micawber, ihn mir zu nennen.
»Das Silberzeug habe ich schon selbst verpfändet«, sagte Mrs. Micawber. »Sechs Tee-, zwei Salz- und ein paar Zuckerlöffel habe ich zu verschiedenen Zeiten im geheimen mit eigenen Händen versetzt. Aber die Zwillinge sind ein großes Hindernis; und für mich mit meinen Erinnerungen an Papa und Mama sind diese Gänge sehr schmerzlich. Ein paar Kleinigkeiten können wir immer noch entbehren. Aber Mr. Micawber würden seine Empfindungen nie gestatten, sie persönlich zu versilbern; und Clickitt – das Mädchen aus dem Armenhause – ist eine gemeine Seele und würde sich unangenehme Freiheiten herausnehmen, wenn man ihr so viel Vertrauen schenkte. Master Copperfield, wenn ich Sie bitten dürfte –«
Ich verstand jetzt Mrs. Micawber und bat sie, ganz über mich zu verfügen. Schon diesen Abend fing ich an, die tragbaren Gegenstände im Hause zu verwerten, und trat eine ähnliche Expedition fast jeden Morgen an, ehe ich ins Geschäft ging.
Mr. Micawber hatte auf einer kleinen Kommode ein paar Bücher, die er seine Bibliothek nannte; diese kamen zuerst an die Reihe. Ich trug eines nach dem andern zu einem Antiquar in City-Road und verkaufte sie um jeden Preis. Die eine Hälfte dieser Straße, in der Nähe unserer Wohnung, war ganz von Buch- und Vogelhändlerläden eingenommen. Der Antiquar, der in einem kleinen Hause unweit seines Standes wohnte, pflegte sich jeden Abend zu betrinken und jeden Morgen von seiner Frau tüchtig ausgescholten zu werden. Mehr als einmal, wenn ich frühzeitig hinging, traf ich ihn noch im Bette, entweder mit einer Wunde in der Stirn oder einem blauen Auge als Erinnerung für seine nächtlichen Ausschweifungen – er mußte Wohl in der Trunkenheit rauflustig sein –, und er suchte dann mit zitternder Hand die nötigen Schillinge in den verschiedenen Taschen seiner Kleider zusammen, die auf dem Boden herumlagen, während sein Weib, mit einem Kind auf den Armen und in niedergetretenen Schuhen, nie aufhörte zu keifen. Manchmal hatte er das Geld verloren, und dann hieß er mich wiederkommen. Aber seine Frau hatte immer ein paar Schillinge – die sie ihm vielleicht während der Trunkenheit aus der Tasche geholt hatte – und schloß den Kauf heimlich auf der Treppe ab, während wir zusammen hinunter gingen.
Auch bei dem Pfandleiher wurde ich sehr bekannt. Der Hauptbuchhalter, der hinter dem Ladentisch saß, schenkte mir viel Beachtung, und ließ mich oft, während ich mein Geschäft mit ihm abschloß, ein lateinisches Substantiv oder Adjektiv deklinieren oder ein lateinisches Verbum konjugieren. Nach derartigen Geschäften bereitete mir Mrs. Micawber meistens ein kleines Vergnügen in Gestalt eines bescheidenen Abendessens, und diese Abende hatten für mich immer einen besonderen Reiz.
Endlich kamen Mr. Micawbers Bedrängnisse zu einer Krisis, und er wurde eines Morgens früh verhaftet und in das Kings-Bench-Gefängnis in dem Borough gebracht. Als er fortging, sagte er zu mir, daß der Gott des Tages jetzt für ihn versunken sei – und ich glaube wirklich, ihm