Handbuch Sozialraumorientierung. Группа авторов

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Handbuch Sozialraumorientierung - Группа авторов

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sozialräumlichen Kontext der Menschen zu berücksichtigen (Sozialraumorientierung). Lebensverhältnisse und -zusammenhänge seien dabei nicht aus einer quasi Expert*innenperspektive von außen zu betrachten, sondern aus der Perspektive der von sozialen Problemen Betroffenen und unter Berücksichtigung deren Bedeutungszuschreibung und Bewältigungsstrategien. Diese Lebensweltorientierung ermögliche Sozialer Arbeit, Bewältigungshilfen unter Nutzung vorhandener individueller, sozialer und räumlicher Ressourcen und Potenziale (Ressourcenorientierung). Dies wiederum bedinge eine Offenheit für Anliegen und Themen einer themenübergreifenden Sozialen Arbeit. Das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe wird nach dem Arbeitsprinzip GWA zur »Aktivierung der Menschen in ihrer Lebenswelt« konkretisiert (Oelschlägel 2013: 191), womit auch politisch aktives Lernen und Handeln gemeint ist. Dazu sei die Aufgabe scheinbarer Neutralität zugunsten von Parteilichkeit für die jeweilige Klientel erforderlich.

      Gesellschaftliche Entwicklungen im vierten Quartal des 20. Jahrhunderts, wie ökologische Krisen, Massenarbeitslosigkeit, neue Armut, Jugendproteste, Veränderungen der Parteienlandschaft, Entstehung alternativer oder hedonistischer Milieus, stärkere Individualisierung etc. (Beck 1986), haben in den Sozialwissenschaften zu einer Ausdifferenzierung und Suche nach neuen Gesellschaftsbeschreibungen geführt (Pongs 1999; 2000). Mit der Orientierung an Alltag und Lebenswelt bzw. der Beachtung subjektiver Deutung, Sinngebung und Bewertung von Lebensqualität aus Sicht der Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation ist »Lebensweltorientierung« (Thiersch 1992) seit den 1980er Jahren zu einem zentralen Handlungskonzept der Sozialen Arbeit geworden.

      In Gesellschaften mit großer Wertepluralität und -vielfalt können unterschiedliche Werte möglicherweise unsicher und ängstlich machen. Deshalb würde Kontakt und Konfrontation mit Fremden und Fremdem von manchen Menschen tendenziell eher vermieden, wodurch Unverständnis, Missverständnis und Misstrauen eher noch anwüchsen (Sennett 1983; Hinte/Lüttringhaus/Oelschlägel 2007: 102ff.). Im Gegensatz zu »Verteilungskonflikten« wirken »Wertekonflikte« nach Fehmel (2014) eher sozial desintegrativ, wenn und weil kein Wertekonsens, also eine Verständigung über allseits geteilte Werte, hergestellt werden kann. Wenn Wertehomogenität und Wertekonsens, angesichts unterschiedlicher Lebensentwürfe und pluraler Lebensstile, nicht (mehr) herstellbar sind, gehört gerade die Aushandlung von Regeln, etwa im Sinne der von Norbert Elias (1976) beschriebenen Zivilisationsprozesse, des Ausbalancierens von Machtpotenzialen mittels Diskussionen über Alltägliches, Einigendes und Strittiges, zum gesellschaftlichen Auftrag Sozialer Arbeit in Gemeinwesen, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft, sozialer Lage und Lebensstile auf vergleichsweise engem Raum zusammen leben (müssen).

      Während Oelschlägel und andere begrifflich an »Gemeinwesenarbeit« festhielten, verwendeten Hinte u. a. zunächst Begriffe wie »Stadtteilarbeit« oder »stadtteilbezogene Soziale Arbeit« (Hinte/Metzger-Pregizer/Springer 1982) und entwickelten ein sog. »Fachkonzept«, das zur Anwendung in einigen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit, vorwiegend der »Jugendhilfe« (Hinte/Treeß 2007), der »Offenen Jugendarbeit« (Deinet 2005) oder der »Hilfe zur Erziehung«, (Peters/Koch 2004) ausgearbeitet wurde.

      Etwa ab Ende der 1990er Jahre erfuhr der Terminus »Stadtteilorientierung« eine Umformulierung in »Sozialraumorientierung«, verbunden mit zunehmender Verbreitung und Potenzial zu einem integrativen Handlungskonzept, mit Wirkungen über die Soziale Arbeit hinaus auch in anderen Disziplinen, wie weiter oben bereits ausgeführt.

      Zu den Prinzipien sozialraumorientierter Arbeit nach Hinte u. a. (2007: 9) gehört zunächst, die Adressat*innen Sozialer Arbeit nicht als Bittsteller*innen, sondern als leistungsberechtigte Menschen anzusehen und zu ›behandeln‹. Dementsprechend ginge es darum, deren Willen bzw. Interessen zum Ausgangspunkt jeglicher Arbeit zu machen, nach vorhandenen und mobilisierbaren Handlungsmotiven zu suchen und nicht auf unspezifische Wünsche oder Bedarfe zu bauen. Weiterhin habe unter Berücksichtigung und zur Förderung der Selbstwirksamkeitserfahrungen hilfebedürftiger Menschen aktivierende Arbeit Vorrang vor betreuender Tätigkeit. Bei der Gestaltung von Arrangements spielten personale und sozialräumliche Ressourcen eine entscheidende Rolle, weil die Gestaltung von Hilfen, die sich in erster Linie an vorhandenen standardmäßigen Angeboten und Dienstleistungen oder den Institutionstraditionen und Organisationslogiken orientieren, zu oft ins Leere führten, d. h. nicht angenommen würden und damit unwirksam blieben. Weil sich die sozialen Kreise von Menschen in aller Regel weder auf das handlungsfeldspezifische Klientel Sozialer Arbeit noch auf die Themen sozialer Problemlagen beschränken, also Menschen, aus ganzheitlicher Sichtweise, nicht auf Merkmale oder Symptome sozialer Problematiken reduziert werden könnten, seien Aktivitäten Sozialer Arbeit immer zielgruppen- und bereichsübergreifend anzulegen. Diese handlungsfeldübergreifende Ausrichtung erfordere die Vernetzung und Integration verschiedener sozialer Dienste als Grundlage einer nachhaltig wirksamen Sozialen Arbeit.

      Maria Lüttringhaus (2007: 277ff.) entwickelte aus der Diskussion mit Hinte und Oelschlägel sog. »Leitstandards der Gemeinwesenarbeit«, die als Operationalisierung der Ziele sozialraumorientierter Sozialer Arbeit verstanden werden können. Diese bauen sowohl auf dem »Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit« von Boulet/Krauss/Oelschlägel (1980) als auch auf Hinte/Treeß’ »Prinzipien stadtteilbezogener bzw. sozialraumbezogener Arbeit« (2007) auf. Im Folgenden werden diese Leitstandards zusammengefasst und mit eigenen Ergänzungen des Autors dieses Beitrages erweitert dargestellt.

      Als ersten Leitstandard benennt Maria Lüttringhaus zielgruppenübergreifendes Handeln als sozialraumbezogene Betrachtungs- und Herangehensweise, die Themen ganzheitlich angeht und grundsätzlich alle Menschen in den Blick nimmt, nicht nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe und ein bestimmtes Thema. Mit der Orientierung an Interessen, Bedürfnissen und Themen der Menschen ist ein weiterer Leitstandard beschrieben, bei dem die Motivation der Menschen den Ausgangspunkt bildet. Hierzu seien Themen aufzugreifen, die von den Menschen vor Ort als wichtig erachtet und deklariert werden. Fachkräften Sozialer Arbeit komme dabei die Aufgabe zu, nach den Veränderungsmotiven der Menschen aktiv zu suchen, anstatt sie für ihre fachlich-professionellen Ziele zu motivieren. Durch die Förderung der Selbstorganisation und der Selbsthilfekräfte könnten Menschen dazu ermutigt und unterstützt werden, ihre Angelegenheiten vor Ort selbst zu gestalten. Hilfreich dazu seien ein Ermöglichungs- und Unterstützungsmanagement sowie die Schaffung von Öffentlichkeit und die Initiierung öffentlicher Diskurse. Dabei handelten Fachkräfte Sozialer Arbeit nicht für, sondern mit den Menschen vor Ort und ermöglichten damit Kompetenz- und Lernerfahrungen. Angestrebt würden somit die selbstbestimmte, aktive Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen, mehr Lebensqualität und Gesundheit.

      Ressourcenorientierung meint nach den von Lüttringhaus erstellten Leitstandards, in sozialräumlichen Kontexten vorhandene Ressourcen zu finden, zu nutzen, zu aktivieren, zu fördern und auch neue Ressourcen zu erschließen, aufzubauen und systematisch zu entwickeln. Gemeint sind persönliche Ressourcen einzelner Menschen, soziale Ressourcen von mehreren Menschen in Beziehungsnetzen wie Fähigkeiten und Ideen, aber auch materielle Ressourcen, wie Räume und Geld oder infrastrukturelle Ressourcen von Organisationen, Diensten, Verwaltung, Wirtschaft, Politik, Verkehr etc.

      Um solcher Art wirksame Arbeit leisten zu können, bedürfe es nach Lüttringhaus ressortübergreifenden Handelns, als weiterem Leitstandard sozialräumlichen Arbeitens, dessen Horizont über den Bereich des Sozialen hinausreiche. Dazu sei seitens der Fachkräfte Sozialer Arbeit die Suche und Förderung bereichsübergreifender Kooperationen unter Berücksichtigung so unterschiedlicher Bereiche wie Arbeit, Freizeit, Bildung, Kultur, Wohnen, Gesundheit, Wirtschaft, Verkehr und Umwelt nötig. Die Verpflichtung zu offensiver sozialer Kommunalpolitik ergebe sich aus der Zielsetzung Sozialer Arbeit, zur Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen beizutragen, und könnte als sektorenübergreifende SRO integraler Bestandteil kommunalpolitischer Strategie werden.

      Mit Vernetzung und Kooperation ist ein letzter Leitstandard bezeichnet. Dabei geht es um die Schaffung und Stärkung sozialraumorientierter sozialer Netzwerke sowohl unter der Bevölkerung als auch zwischen Fachkräften Sozialer Arbeit und anderen lokalen Akteuren, nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur Entwicklung gemeinsamer Lösungen durch Kooperationen. Die Balance zwischen Austausch und

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