Letzte Fragen. Thomas Nagel

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Letzte Fragen - Thomas Nagel eva taschenbuch

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Tuns geschieht, ist etwas, das ich ihnen angetan habe. Die katholische Moraltheologie sucht diese Unterscheidung mit den Mitteln einer Lehre zu präzisieren, die als ›Doktrin der Doppelwirkung‹ bekannt wurde und besagt, daß ein moralisch wesentlicher Unterschied besteht, je nachdem, ob man den Tod eines Unschuldigen vorsätzlich als Zweck oder vorsätzlich als Mittel zum Zweck bewirkt (oder zuläßt) – oder ob man ihn als bloße Nebenwirkung von etwas gänzlich anderem bewirkt (oder zuläßt), das man mit Absicht tut. Im letzteren Fall handelt es sich auch dann nicht um Mord, wenn man sich über die Folgen im klaren ist; moralische Verbote werden also nicht verletzt, wenngleich das, was man tut, nach wie vor aus anderen Gründen verkehrt sein mag (etwa aus Gründen der Zweckmäßigkeit). In nuce besagt das Prinzip der Doppelwirkung, daß es bisweilen erlaubt sein kann, mit Wissen etwas als Nebenwirkung einer Handlung hervorzubringen oder zuzulassen, das als Mittel oder Zweck hervorzubringen oder zuzulassen absolut verboten wäre. Und auf Kriege oder Revolutionen bezogen, gestattet dieses Prinzip, bis zu einem gewissen Ausmaß sogar ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung anzurichten, wenn es sich dabei um eine unbeabsichtigte Nebenwirkung von Bombenangriffen auf Munitionsfabriken oder feindliche Soldaten handelt. Aber auch das wäre nur zulässig, wenn der zu zahlende Preis infolge der eigenen militärischen Ziele wirklich gerechtfertigt wäre.

      Und dennoch: Obschon das Prinzip der Doppelwirkung zur Erklärung einleuchtender moralischer Wertungen wichtig und nützlich ist, bin ich nicht davon überzeugt, daß es einen generell anwendbaren Maßstab dafür an die Hand gibt, welche Konsequenzen aus absolutistischer Sicht zu ziehen wären. Seine Anwendung ist nämlich nicht immer klar, und es läßt Unsicherheit aufkommen läßt, wo keine Unsicherheit sein müßte.

      In Indochina werden ständig ländliche Siedlungen, in denen man Partisanenkämpfer vermutet oder aus denen schon einmal mit Handfeuerwaffen geschossen wurde, mit großangelegten Flächenbombardements, Tieffliegereinsätzen, Napalm und menschenvernichtenden Schrot- und Splitterwaffen angegriffen. Wie berichtet wird, besteht der überwiegende Teil der Getöteten und Verwundeten nach solchen Flächenangriffen dann in Frauen und Kindern, auch wenn sich bisweilen der eine oder andere Kämpfer ebenfalls unter den Opfern befinden mag. Dennoch betrachtet die Regierung diese Verluste in der Zivilbevölkerung stets als bedauerliche Nebenwirkung von etwas, das einen legitimen Angriff auf einen bewaffneten Feind darstellen sollte.

      Man könnte denken, es sei doch ein leichtes, dies als pure Sophisterei abzutun: Wenn jemand ein Dorf zerbombt, kaputt schießt oder abbrennt, in dem sich hundert Menschen aufhalten, unter denen sich seiner Meinung nach zwanzig Partisanen befinden, mag er aus statistischen Gründen damit rechnen, die meisten Partisanen umzubringen, wenn er die meisten Dorfbewohner umbringt; weshalb soll sein Angriff auf die Hundert dann nicht schlicht und einfach ein Mittel sein, die Partisanen zu vernichten? Nun, sobald einer keinerlei Anstrengung unternimmt, zwischen Partisanen und Zivilisten zu unterscheiden, was bei einem Flächenangriff auf ein kleines Dorf ja auch nicht möglich ist, kann er schwerlich noch den Tod all der Bewohner als bloße Nebenwirkung abtun, die umzubringen er sich, hätten ihm selektivere Mittel zur Verfügung gestanden, erst gar nicht die Mühe gemacht hätte.

      Hierbei stellt sich aber ein Problem: Dieses Argument hängt wesentlich von einer bestimmten Beschreibung der Tat ab, und die Replik könnte daher lauten, daß das gegen die Partisanen eingesetzte Mittel nicht etwa sei: jedermann im Dorf zu töten – sondern lediglich dies: das Gebiet, in dem sich bekanntermaßen diese zwanzig Partisanen befinden, mit einem vernichtenden Bombenteppich zu belegen. Sollten sich dann zufälligerweise auch Zivilisten in diesem Gebiet aufhalten, wäre ihr Tod eine Nebenwirkung dieser Maßnahme.5

      Aufgrund solcher kasuistischer Probleme ziehe ich es vor, unsere ursprüngliche unanalysierte Unterscheidung zwischen dem, was man Menschen antut, und dem beizubehalten, was ihnen bloß aufgrund dessen, was man tut, widerfährt. Das Prinzip der Doppelwirkung kodifiziert für viele Fälle eine Approximation dieses prinzipiellen Unterschieds, und unter Umständen kann man es so weit präzisieren, daß es noch mehr leistet. Sicherlich bedarf unsere ursprüngliche Unterscheidung selber der Klärung, insbesondere weil zu dem, was wir anderen in diesem Sinne antun, häufig auch das gehört, was ihnen infolge unseres Tuns widerfährt. Jedenfalls ist es in einem Fall wie dem oben geschilderten offensichtlich, daß man, indem man das Dorf bombardiert, Zivilisten in ihm niedermetzelt oder verstümmelt. Anders in entschuldbaren Extremsituationen: Gibt man das einzig verfügbare Medikament einem von zwei Erkrankten, hat man, auch wenn infolgedessen der andere zu Tode kommt, diesen anderen nicht umgebracht oder vorsätzlich umkommen lassen.

      Die zweite begriffliche Schwierigkeit ist die folgende: Daß der Absolutismus seine Aufmerksamkeit auf Taten statt auf ihre Folgen richtet, bereichert nicht einfach im Katalog der Werte das Inventar des Schlechten um einen weiteren, besonders schlimmen Posten: es wird nicht einfach nur gesagt, daß die schlechteste Sache auf der Welt vorsätzlicher Mord an Unschuldigen ist. Denn wäre das wirklich alles, könnte man in der Tat einen Mord damit rechtfertigen wollen, daß er eine größere Zahl anderer Morde verhindert habe – oder zehntausend Morde mit verhinderten hunderttausend. Man kennt diese Argumentation, doch wenn eine solche Maßnahme tunlich wäre, gäbe es im Grunde kein absolutes Mordverbot mehr. Der Absolutismus verlangt von uns, Mord unsererseits um jeden Preis zu meiden, nicht etwa, ihn um jeden Preis zu verhindern.

      Man könnte auch einen weniger strengen deontologischen Standpunkt als den Absolutismus einnehmen, ohne deshalb gleich dem Utilitarismus zu verfallen. Es gibt für uns zwei Möglichkeiten, die moralische Relevanz der Unterscheidung von vorsätzlichem und nicht vorsätzlichem Töten anzuerkennen, ohne Absolutist zu sein. Zum einen könnten wir Mord als einen besonders schlimmen Posten in unseren Katalog des Schlechten aufnehmen, als ungleich gravierender als zufälliges oder ungewolltes Töten. Die andere Möglichkeit bestünde darin, vorsätzliches Töten eines Unschuldigen für unzulässig zu erklären, es sei denn, dies wäre der einzige Weg, ein ganz besonders erhebliches Übel (z. B. den Tod von gleich fünfzig unschuldigen Menschen) zu verhindern. Man könnte dies dann die ›Schwelle‹ nennen, von der ab das Mordverbot nicht mehr zum Tragen käme. Dieser Standpunkt ist offenkundig nicht mehr absolutistisch, doch ebensowenig mißt er Mord so einfach utilitaristisch eine negative Valenz in Höhe der negativen Valenz der Schwelle zu. Das ist leicht einzusehen: Hätte ein Mord die negative Valenz von fünfzig akzidentellen Toden, wäre es aus rein utilitaristischen Gründen zulässig, einen Mord zu begehen, um dadurch einen anderen Mord plus irgend ein minder schweres weiteres Übel zu verhindern, etwa einen gebrochenen Arm. Schlimmer noch, aus rein utilitaristischen Gründen sähen wir uns dann gezwungen, einen Mord selbst dann zu verhindern, wenn unser Eingreifen gar den akzidentellen Tod von neunundvierzig Menschen nach sich zöge, die andernfalls nicht zu Tode gekommen wären. Ein deontologisches ›Mordverbot mit Schwelle‹ hingegen würde nicht zu derlei Konsequenzen führen, denn es besagt gerade nicht einfach bloß, daß das Geschehen bestimmter Handlungen überaus schlecht sei und mithin um jeden Preis verhindert werden müsse, sondern fordert vielmehr alle potentiellen Akteure zum Unterlassen derartigen Tuns auf, es sei denn unter ungemein extremen Umständen. In Wahrheit ließe sich mit einem deontologischen Mordverbot sogar die Auffassung vereinbaren, daß im Endeffekt die negative Valenz eines Mords nicht erheblicher sei als die eines akzidentellen Todesfalles. Obwohl die Einführung von Schwellen den hier untersuchten Konfliktfällen einen Teil ihrer Schärfe nehmen dürfte, glaube ich allerdings nicht, daß sie diese Konflikte völlig beseitigen oder fundamental verändern würde. Es gäbe sie auch weiterhin noch in Form von Kollisionen zwischen beliebigen deontologischen Aufforderungen und den knapp unterhalb der jeweiligen Schwelle liegenden utilitaristischen Valenzen.

      Schließlich möchte ich noch einige Bemerkungen zu einer weitverbreiteten Kritik am Absolutismus anführen, die auf einem Mißverständnis beruht. Es wird manchmal behauptet, derartige Verbote rührten von einer Art von ›moralischem Eigennutz‹ her, vom Vorrang der Pflicht, die eigene moralische Unschuld zu wahren, sich nur nicht die Hände schmutzig zu machen, was immer mit dem Rest der Welt auch geschehe. Wäre das die absolutistische Position, könnte man

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