Letzte Fragen. Thomas Nagel

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Letzte Fragen - Thomas Nagel eva taschenbuch

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Beispiels wollen wir uns einmal auf die visuelle Wahrnehmung konzentrieren.) Romeo spürt also Julia, er bemerkt sie nicht bloß. In diesem Stadium wird er von einem Objekt erregt, das selbst nicht erregt ist; mithin hat sein Körper ihn stärker sexuell ergriffen als ihr Körper sie.

      Nehmen wir nun weiter an, daß Julia in just diesem Augenblick Romeo in einem anderen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand ihrerseits spürt; doch bislang weiß noch keiner der beiden, daß er vom anderen gesehen wird (die Reflexionswinkel der Spiegel ermöglichen Profilansichten). Romeo beginnt nun, an Julia die kaum sichtbaren Zeichen sexueller Erregung zu bemerken: den unverwandten Blick unter halb geschlossenen Augenlidern, die erweiterten Pupillen, das leichte Erröten. Das intensiviert natürlich ihre körperliche Präsenz für ihn, und er bemerkt dies nicht nur, sondern spürt es auch. Für ihn bleibt seine Erregung allerdings immer noch unbeantwortet. Aber nun erkennt Romeo, der Blickrichtung Julias geschickt folgend, ohne ihr dabei aber in die Augen zu sehen, daß ihr Blick durch den Spiegel an der entgegengesetzten Wand auf ihn gerichtet ist: Er bemerkt, ja spürt, daß Julia ihn spürt. Das ist nun aber ein ganz neues Stadium, denn in Romeo wird ein Gefühl der Verkörperung geweckt, und zwar nicht nur durch seine eigenen Reaktionen, sondern auch durch die Augen und die Reaktionen des anderen. Dieses Stadium läßt sich außerdem von demjenigen unterscheiden, in dem Romeo Julia anfänglich gespürt hat. Denn die sexuelle Erregung kann auch dadurch ausgelöst werden, daß jemand spürt, daß er selbst von einem anderen Menschen gespürt wird – so daß er durch die Wahrnehmung des Verlangens des anderen Menschen bestürmt wird, und nicht bloß durch die Wahrnehmung des anderen Menschen.

      Aber es gibt noch ein weiteres Stadium. Nehmen wir an, daß Julia, die ein bißchen langsamer ist als Romeo, nun auch spürt, daß er sie spürt. Dies versetzt Romeo nun wiederum in die Lage zu bemerken – und dadurch auch erregt zu werden – daß sie in Erregung gerät, weil er sie spürt. Er spürt, daß sie spürt, daß er sie spürt. Dies ist erneut ein anderes Stadium der Erregung, denn nun wird sich Romeo seiner Sexualität bewußt, da er sowohl ihre Wirkung auf Julia bemerkt als auch beobachtet, daß sie erkennt, daß diese Wirkung auf ihn zurückzuführen ist. Wenn sie nun auch in dieses Stadium kommt, also spürt, daß er spürt, daß sie ihn spürt, wird es langsam schwierig, noch weitere iterierende Stadien anzugeben oder sich gar vorzustellen, obwohl sie vielleicht logisch durchaus von den anderen Stadien unterschieden werden könnten. Wären die beiden nun allein, würden sie sich vermutlich umdrehen, um sich direkt anzusehen – und die Vorgänge würden sich auf einer anderen Ebene fortsetzen. Physische Berührung und Geschlechtsverkehr sind die natürlichen Erweiterungen dieses komplizierten visuellen Austauschs; und bei gegenseitiger Berührung können die Wahrnehmungsvorgänge ebenso verwickelt sein wie im visuellen Fall, aber sie lassen einen weitaus größeren Spielraum für Nuancierungen und Intensitätsabstufungen.

      Normalerweise laufen diese Vorgänge natürlich bei weitem nicht so geordnet ab – manchmal handelt es sich ja gerade um einen regelrechten Ausbruch – aber ich glaube, daß dieses sich überlappende System jeweils verschiedener sexueller Wahrnehmungen und Interaktionen in der einen oder anderen Ausprägung die Grundbedingungen jeder vollentwickelten sexuellen Beziehung ausmacht, und daß Beziehungen, die nur einen Teil dieses Komplexes umfassen, in einem signifikanten Sinne unvollkommen sind. Diese Darstellung ist lediglich schematisch, was indessen unvermeidlich ist, sofern Allgemeingültigkeit angestrebt werden soll. Jede wirklich sexuelle Handlung trägt weit spezifischere psychologische Züge und unterscheidet sich von anderen durch charakteristische Einzelheiten. Dafür sind nicht nur die angewandten physischen Techniken und anatomischen Besonderheiten verantwortlich, sondern auch eine Unmenge von Eigenheiten, die für das Bild charakteristisch sind, das die Beteiligten voneinander und von sich selbst haben, und die in die sexuelle Handlung eingehen. (Uns allen ist nicht unbekannt, daß Menschen nicht selten ihre eigenen sozialen Rollen mitsamt denen ihrer Partner mit ins Bett nehmen.)

      Dennoch ist das allgemeine Schema von großer Bedeutung. Die darin enthaltenen Überwucherungen verschiedener Stadien wechselseitiger Wahrnehmung sind ein Beispiel für eine Art von Komplexität, die für menschliche Interaktionen typisch ist. Denken wir als Beispiel einmal an Aggression: Ärgere ich mich über jemanden, möchte ich ihn das auch spüren lassen. Entweder möchte ich, daß es bei ihm zu Selbstvorwürfen kommt, indem ich ihn dazu bringe, sich durch die Augen meines Ärgers zu sehen, und das, was er dabei sieht, selber abstoßend zu finden. Oder ich möchte bei ihm zu reziprokem Ärger oder zu Furcht Anlaß geben, indem ich ihn dazu bringe, meinen Ärger als eine Bedrohung oder als einen Angriff zu empfinden. Was ich erreichen will, hängt davon ab, weshalb und wie sehr ich mich ärgere, aber in beiden Fällen spielt der Wunsch eine Rolle, im Objekt meines Ärgers bestimmte Gefühle hervorzurufen. Die Befriedigung meiner Emotion besteht darin, daß ebendies gelingt; und zwar indem ich Herrschaft über die Gefühle meines Objekts ausübe.

      Ein anderes Beispiel für ein solches reflexives wechselseitiges Erkennen finden wir im Phänomen des Bedeutens und der Bedeutung, denn bei ihm scheint die Absicht im Spiel zu sein, einer anderen Person eine Meinung oder andere Wirkung zu vermitteln, indem die Person auf ebendiese eigene Absicht, die Wirkung hervorzurufen, aufmerksam gemacht wird. (Diese Einsicht geht auf Grice3 zurück, dessen Position ich an dieser Stelle nicht im Detail referieren möchte.) Sexualität hat nun eine verwandte Struktur: Sie beinhaltet das Verlangen, daß der Partner dadurch erregt wird, daß er mein Verlangen nach seiner Erregung bemerkt.

      Es ist nicht ganz leicht, die elementaren Typen des Gewahrens und der Erregung zu definieren, aus denen sich diese Komplexe zusammensetzen, und deshalb bleibt meine Diskussion lückenhaft. In gewissem Sinne ist das Objekt des Gewahrens im eigenen Fall dasselbe wie beim sexuellen Gewahren einer anderen Person, obwohl das Gewahren in beiden Fällen nicht dasselbe ist; der Unterschied ist ebenso beträchtlich wie der zwischen dem Gefühl, ärgerlich zu sein, und dem Gefühl, den Ärger einer anderen Person zu verspüren. Alle Stadien sexueller Wahrnehmung sind verschiedene Ausprägungen der Identifikation einer Person mit ihrem Körper. Es wird nämlich die eigene oder eines anderen Unterwerfung unter, respektive das eigene oder das andere Eintauchen in den Körper wahrgenommen, ein Phänomen, das von Paulus und Augustinus mit Widerwillen erkannt wurde – beide hielten »das Gesetz der Sünde in meinen Gliedern« für eine gravierende Bedrohung der Herrschaft des heiligen Willens.4 Für sexuelles Verlangen und dessen Äußerung ist das Verschmelzen von unwillkürlicher Reaktion mit bewußter Kontrolle von eminenter Wichtigkeit. Die Erektion, aber auch die anderen unwillkürlichen physischen Komponenten der Erregung, symbolisierten für Augustinus die Revolution, die sein Körper gegen ihn führte. Auch Sartre betont die Tatsache, daß der Penis kein willkürlich kontrolliertes Organ ist. Aber bloße Unwillkürlichkeit ist auch für andere körperliche Vorgänge charakteristisch. Beim sexuellen Verlangen verbinden sich unwillkürliche Reaktionen mit der Unterwerfung unter spontane Impulse: Nicht nur der Puls und die Sekretion, sondern auch die Handlungen unterliegen der Herrschaft des Körpers; im Idealfall ist willkürliche Kontrolle lediglich erforderlich, um die Äußerung jener Impulse in geeignete Bahnen zu lenken. Bis zu einem gewissen Grade trifft dies auch auf einen Trieb wie den Hunger zu, aber in diesem Fall übt der Körper eine beschränktere, weniger umfassende und weniger extreme Herrschaft aus.

      Der Körper wird nicht auf dieselbe Weise ganz von Hunger ausgefüllt wie er von Verlangen durchdrungen sein kann. Aber die Eigenschaft, die das spezifisch sexuelle Eintauchen in den Körper am besten hervorhebt, besteht darin, daß dieser Vorgang sich in den schon beschriebenen Komplex wechselseitiger Wahrnehmung einzufügen vermag. Hunger führt zu spontanen Interaktionen mit Nahrung; sexuelles Verlangen hingegen führt zu spontanen Interaktionen mit anderen Personen, deren Körper ihre Souveränität in gleicher Weise geltend machen, indem sie unwillkürliche Reaktionen und spontane Impulse in ihnen hervorrufen. Diese Reaktionen werden wahrgenommen und ihre Wahrnehmung wird ihrerseits wahrgenommen, und auch diese Wahrnehmung wird wiederum wahrgenommen. In jedem Stadium wird die Herrschaft des Körpers über die Person gefestigt, und der Sexualpartner kann durch physische Berührung, Penetration und Umklammerung leichter in Besitz genommen werden.

      Verlangen ist also nicht allein die Wahrnehmung einer immer schon vorhandenen Verkörperung

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