Letzte Fragen. Thomas Nagel
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Der Gegenstand sexueller Anziehung ist ein bestimmtes Individuum, das die Qualitäten, die ihm seine Attraktivität verleihen, allerdings transzendiert. Werden mehrere Menschen von ein und derselben Person aus unterschiedlichen Gründen angezogen – wegen ihrer Haare, ihrer Augen, ihrer Gestalt, ihres Lachens oder ihrer Intelligenz – haben wir nichtsdestoweniger das Gefühl, daß der Gegenstand ihres Verlangens derselbe ist. Wir haben dieses Gefühl unter Umständen sogar dann noch, wenn die Liebenden, etwa weil es sich sowohl um Männer als auch um Frauen handelt, unterschiedliche sexuelle Ziele verfolgen. Die verschiedensten Eigenschaften, die jeweils auf spezifische Weise anziehend wirken mögen, scheinen ein elementares Gefühl auslösen zu können, das sich wiederum in den unterschiedlichsten Zielen und Wünschen äußern kann. Eine sexuelle Einstellung gegenüber einem Menschen bildet sich zwar aufgrund gewisser anziehend wirkender Eigenschaften aus, aber diese Qualitäten sind nicht das Objekt dieser Einstellung.
Ganz anders verhält es sich, sobald jemand den Wunsch nach einem Omelett hat. Verschiedene Leute können aus uneinheitlichen Gründen ein Verlangen nach einem Omelett verspüren – der eine, weil es so locker gebacken ist, der andere wegen der Pilze und wieder ein anderer wegen der einzigartigen Verbindung von Aroma und visuellem Eindruck, und dennoch erheben wir den gemeinsamen Gegenstand ihrer Erregungszustände nicht in den Rang eines transzendenten Omeletts. Statt dessen können wir sagen, daß mehrere Wünsche rein zufällig auf dasselbe Objekt gerichtet sind: Jedes andere Omelett mit den entsprechenden Qualitäten würde es auch tun. Dagegen kann nicht jede Person mit derselben Gestalt oder derselben Art zu rauchen zum Objekt eines spezifischen sexuellen Verlangens werden, auch wenn das Verlangen durch ebendiese Eigenschaften geweckt worden ist. Es mag sein, daß bestimmte Eigenschaften mehrmals auftauchen, aber dann handelt es sich um eine andere sexuelle Anziehung mit einem jeweils anderen konkreten Objekt; das ursprüngliche Verlangen überträgt sich nicht einfach auf einen anderen Menschen. (Das gilt sogar in den Fällen, in denen der neue Gegenstand unbewußt mit dem früheren identifiziert wird.)
Wie wichtig dieses Moment ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie kompliziert die psychologische Wechselwirkung gerät, die dem Phänomen sexueller Anziehung zugrunde liegt. Dies wäre unbegreiflich, sobald der Gegenstand der sexuellen Anziehung nicht in einer konkreten Person bestünde, sondern nur in irgendeiner Person einer bestimmten Art. Und mit der Anziehung fängt es ja erst an, die Erfüllung umfaßt dann noch viel mehr als bloß das Verhalten und die Berührung, worin die Anziehung zum Ausdruck kommt.
Die beste mir bekannte Erörterung dieser Fragen findet sich bei Sartre im dritten Teil seines Werks Das Sein und das Nichts.1 Seine Überlegungen zu sexuellem Verlangen, zu Liebe, Haß, Sadismus und Masochismus wie auch zu weiteren Einstellungen gegenüber anderen Menschen sind an eine allgemeine Theorie des Bewußtseins und des Körpers gebunden, die ich hier weder darstellen noch voraussetzen kann. Sartre setzt sich nicht mit Perversionen auseinander, was zum Teil damit zusammenhängt, daß er das sexuelle Verlangen als Ausprägung unseres fortgesetzten Versuchs eines verkörperten Bewußtseins ansieht, mit der Existenz anderer zu Rande zu kommen – ein Versuch, der jedoch zum Scheitern verurteilt ist, und dies unabhängig davon, ob er in der Form sexuellen Verlangens oder in einer der anderen Formen auftritt, zu denen sowohl Sadismus und Masochismus (vielleicht sogar Abweichungen, die nicht auf Personen gerichtet sind) als auch diverse nichtsexuelle Einstellungen gehören. Nach Sartre bleiben alle Versuche, den anderen als ein anderes Subjekt in meine Welt zu integrieren – also ihn zugleich als ein Objekt für mich und als Subjekt, für das ich ein Objekt bin, zu begreifen –, instabil sind und dazu verurteilt, nach der einen oder anderen dieser Seiten hin auszuschlagen und damit zu scheitern. Entweder reduziere ich den anderen vollständig auf ein Objekt – in diesem Fall entzieht sich seine Subjektivität meinem Besitz oder meiner Aneignung, die ich auf jenes Objekt ausdehnen kann; oder aber ich werde lediglich zu einem Objekt für den anderen, und auch in diesem Falle bin ich nicht mehr dazu in der Lage, mir seine Subjektivität anzueignen. Darüber hinaus ist keiner dieser beiden Aspekte stabil; jeder ist ständig in der Gefahr, von dem anderen verdrängt zu werden. Dies hat zur Konsequenz, daß es so etwas wie eine erfolgreiche sexuelle Beziehung nicht geben kann, denn das dem sexuellen Verlangen zugrunde liegende letzte Ziel kann prinzipiell nicht erreicht werden. Deshalb ist es letzten Endes unwahrscheinlich, daß im Rahmen dieser Auffassung zwischen erfolgreicher bzw. erfüllter und erfolgloser bzw. unerfüllter Sexualität unterschieden werden kann, und Raum für den Begriff der Perversion bleibt.
Weder mache ich mir diesen Aspekt seiner Theorie zu eigen noch kann ich die meisten seiner metaphysischen Voraussetzungen zugestehen, aber das Bild, das Sartre von dem Versuch zeichnet, finde ich durchaus interessant. Er sagt, daß sich die Art von Besitz, die das Objekt sexuellen Verlangens ist, durch ein »zweifaches wechselseitiges Zufleischwerdenlassen« verwirklichte; und dies wiederum werde typischerweise in Form einer Liebkosung in folgender Weise herbeigeführt:
»Ich mache mich zu Fleisch, um den anderen dafür zu gewinnen, für sich und für mich sein eigenes Fleisch zu realisieren, und meine Liebkosungen lassen mein Fleisch für mich erstehen, insofern es für den anderen Fleisch ist, das ihn zum Fleische geboren werden läßt.«2
Diese Fleischwerdung wird abwechselnd als ein Verkleben oder als eine Trübung des Bewußtseins beschrieben, das vom Fleisch, in dem es verkörpert ist, überflutet wird.
Die Position, die ich – wie ich hoffe, mit den Mitteln einer weniger dunklen Sprache – vertreten möchte, hat zwar mancherlei mit Sartres Ansichten gemein, unterscheidet sich von ihnen aber darin, daß, sie nicht von vornherein ausschließt, daß Sexualität bisweilen ihr Ziel erreicht, womit dann auch eine Basis für den Begriff der Perversion hergestellt wäre.
Sexuelles Verlangen führt stets eine Art Wahrnehmung mit sich, jedoch nicht nur eine einzelne Wahrnehmung des Objekts der sexuellen Begierde, denn der paradigmatische Fall wechselseitigen Verlangens zeichnet sich durch ein komplexes System einander überlagernder wechselseitiger Wahrnehmungen aus – und zwar spielen hier nicht nur Wahrnehmungen des Sexualobjekts eine Rolle, sondern vor allem auch Selbstwahrnehmungen. Darüber hinaus erfordert das sexuelle Gewahren eines anderen zunächst einmal, daß man seiner selbst gewahr wird, und zwar in weit höherem Maße als dies bei gewöhnlicher Sinneswahrnehmung der Fall ist. Das Erlebnis wird durch den Blick (die Berührung u. dgl.) des Sexualobjekts gleichsam wie ein regelrechter Angriff auf einen selbst empfunden.
Wir wollen einen Fall untersuchen, bei dem sich die einzelnen Elemente voneinander trennen lassen. Um der Klarheit willen werden wir uns einstweilen auf den etwas künstlichen Fall des Verlangens aus der Distanz beschränken. Nehmen wir also an, ein Mann und eine Frau – nennen wir die beiden hier Romeo und Julia – befänden sich jeweils auf der entgegengesetzten Seite eines Partyraumes, an dessen Wänden zahlreiche Spiegel angebracht sind, so daß es möglich wird, jemanden unbeobachtet zu beobachten – ja, sich gegenseitig unbeobachtet zu beobachten. Jeder unserer beiden nippt an seinem Martini und mustert die anderen Gäste in den Spiegeln. Irgendwann wird Romeo nun Julia bemerken. Er wird vom Anblick ihrer weichen Haare und der schüchternen Art wie sie an ihrem Martini nippt, irgendwie ergriffen und schließlich sexuell erregt. Sagen wir hierfür im folgenden X spüre Y, wann immer X ein sexuelles Verlangen nach Y verspürt. (Y muß dabei keine Person sein, und