Letzte Fragen. Thomas Nagel

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Letzte Fragen - Thomas Nagel eva taschenbuch

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des Subjekts verstärkt. Dies erklärt, weshalb es so wichtig ist, daß auch der Partner erregt ist, und zwar nicht einfach nur erregt, sondern erregt durch die Wahrnehmung meines Verlangens. Und es wird auch erklärt, in welchem Sinne Vereinigung und Besitz das Objekt des Verlangens sind: Physische Inbesitznahme hat auf die Erschaffung des sexuellen Objekts im Spiegel des eigenen Verlangens zu zielen, nicht nur darauf, daß das Objekt sich meines Verlangens und seiner eigenen privaten Erregung bewußt wird.

      Auch wenn dies ein korrektes Modell reifer Sexualität sein sollte, wäre es indes unplausibel, jederlei Abweichung davon als pervers zu bezeichnen. Geben sich zum Beispiel die Partner beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr jeweils eigenen heterosexuellen Phantasien hin und umgehen sie auf diese Weise das Erkennen ihres eigentlichen Partners, handelt es sich nach unserem Modell um eine unvollkommene sexuelle Beziehung. Im allgemeinen gilt dies aber allemal noch nicht als Perversion. Solche Beispiele lassen vermuten, daß eine einfache Unterscheidung zwischen pervertierter und unpervertierter Sexualität zu stark nivelliert, um die Phänomene noch angemessen systematisieren zu können.

      Doch eine ganze Reihe bekannter Abweichungen stellen verstümmelte oder unvollständige Abarten der vollständigen Konfiguration dar und können dann als Perversionen des wichtigsten Antriebs aufgefaßt werden. Wird sexuelles Verlangen daran gehindert, seine voll ausgeprägte zwischenmenschliche Form anzunehmen, ist es wahrscheinlich, daß es in anderer Form auftritt. Der Begriff der Perversion läßt darauf schließen, daß störende Einflüsse zu einer Abweichung von der normalen sexuellen Entwicklung geführt haben. Auf diese kausale Bedingung kann ich an dieser Stelle nicht ausführlich eingehen. Doch wenn Perversionen in einem gewissen Sinne unnatürlich sind, müssen sie sich aus einer Beeinträchtigung der Entwicklung einer Fähigkeit ergeben, die potentiell vorhanden ist.

      Es ist schwierig, diese Bedingung anzuwenden, weil situationsbedingte Faktoren bei allen Menschen die Ausprägung der spezifischen Form des sexuellen Antriebs beeinflussen. Insbesondere frühkindliche Erlebnisse scheinen die Wahl des sexuellen Objekts stark zu beeinflussen. Wenn aber einige Kausaleinflüsse störend, andere dagegen lediglich formend sein sollen, dann heißt das, daß gewisse allgemeine Aspekte humaner Sexualität ein fest umrissenes Potential realisieren, während viele der Einzelheiten, in denen sich die Menschen voneinander unterscheiden, Realisierungen eines unbestimmten Potentials sind: Diese Einzelheiten lassen sich deshalb nicht in natürliche oder weniger natürliche klassifizieren. Die Frage, worin das fest umrissene Potential besteht, ist deshalb von größter Bedeutung, wenngleich die Differenzierung zwischen einem fest umrissenen und einem unbestimmten Potential unklar ist. Offensichtlich kann ein Wesen, das nicht dazu in der Lage ist, die von mir beschriebenen Stadien interpersoneller sexueller Wahrnehmung auszubilden, nicht dieses Mangels wegen als abweichend bezeichnet werden. (Wenngleich sogar ein Huhn in einem erweiterten Sinn pervers genannt werden könnte, sobald es aufgrund von Konditionierung eine fetischistische Fixierung auf ein Telefon ausbildete.) Aber wenn Menschen die Tendenz haben, irgendeine Form wechselseitiger interpersoneller sexueller Wahrnehmung zu entwickeln, können Fälle, in denen diese Entwicklung blockiert wird, durchaus als unnatürlich oder pervers klassifiziert werden.

      Einige bekannte Abweichungen lassen sich auf diese Weise beschreiben. Narzißtische Praktiken und Geschlechtsverkehr mit Tieren, Kindern oder leblosen Gegenständen scheinen bei einer primitiven Form des ersten Stadiums sexuellen Fühlens stehengeblieben zu sein. Handelt es sich um einen unbelebten Gegenstand, bleibt das Erlebnis völlig auf die Wahrnehmung der eigenen sexuellen Verkörperung beschränkt. Bei kleinen Kindern und Tieren kann zwar die Verkörperung des anderen wahrgenommen werden, aber die Reziprozität stößt auf Hindernisse: Es ist schwerlich möglich, daß das sexuelle Objekt das Verlangen des Subjekts erkennt und daraufhin beginnt, sich selbst sexuell wahrzunehmen. Auch Voyeurismus und Exhibitionismus sind unvollständige Beziehungen. Der Exhibitionist hat den Wunsch, sein eigenes Verlangen zur Schau zu stellen, braucht aber dabei selbst nicht verlangt zu werden; er kann sich sogar davor fürchten, die sexuelle Aufmerksamkeit anderer zu erregen. Und für einen Voyeur ist es nicht einmal notwendig, überhaupt von seinem Objekt wahrgenommen zu werden und schon gar nicht, daß das Objekt seine Erregung wahrnimmt.

      Wenden wir unser Modell hingegen auf die unterschiedlichsten Formen heterosexuellen Geschlechtsverkehrs zwischen zwei erwachsenen Partnern an, scheint überhaupt keine dieser Ausprägungen mehr eindeutig als Perversion gelten zu können. In unseren Tagen findet sich kaum noch jemand, der etwas gegen Oralverkehr einzuwenden hätte, und so angesehene Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Lawrence und Mailer haben die Vorzüge des Analverkehrs angepriesen. Anscheinend kann im Prinzip also jeder körperliche Kontakt zwischen einem Mann und einer Frau, der für beide mit sexueller Lust verbunden ist, ein mögliches Medium für das System jener mehrstufigen interpersonellen Wahrnehmung darstellen, in dem, wie ich dargelegt habe, der grundlegende psychologische Gehalt sexueller Beziehungen besteht. Mithin stützt unsere Analyse einen liberalen Gemeinplatz zu diesem Thema.

      Die wirklich schwierigen Fälle sind Sadismus, Masochismus und Homosexualität. Die ersten beiden werden weiterhin als Perversionen aufgfaßt, über Homosexualität herrscht Uneinigkeit. In allen drei Fällen hängt das Problem teilweise mit kausalen Faktoren zusammen: Ergeben sich die fraglichen Dispositionen nur dann, wenn die normale Entwicklung gestört worden ist? Aber weil in dieser Frage das Wort »normal« vorkommt, ist sie schon der Form nach zirkulär. Es zeigt sich, daß wir ein unabhängiges Kriterium für einen störenden Einfluß benötigen, aber über kein solches verfügen.

      Vielleicht ist es möglich, Sadismus und Masochismus als Perversionen zu klassifizieren, weil dabei keine interpersonelle Reziprozität erreicht wird. Der Sadismus ist schließlich darauf ausgerichtet, passive Selbstwahrnehmung bei anderen hervorzurufen; aber die Handlungen des Sadisten sind aktiv und setzen voraus, daß willkürliche Kontrolle ausgeübt wird – und dadurch kann verhindert werden, daß er sich selbst im erforderlichen Sinn als ein körperliches Subjekt von Leidenschaften wahrnimmt. De Sade behauptet, das Ziel sexuellen Verlangens bestehe darin, unwillkürliche Reaktionen des Partners hervorzurufen, und zwar in erster Linie hörbare. Sicherlich ist die Zufügung von Schmerzen das wirksamste Mittel, dies zu erreichen, aber dabei ist es erforderlich, daß der Sadist seine eigene Spontaneität bis zu einem gewissen Grade einschränkt! Ein Masochist drängt dagegen seinem Partner dieselbe Unfähigkeit auf, die der Sadist sich selbst auferlegt. Der Masochist kann eine befriedigende Verkörperung nur als Objekt der Kontrolle einer anderen Person erfahren, nicht aber als Objekt ihres sexuellen Verlangens. Er verhält sich passiv nicht in Relation zur Leidenschaft seines Partners, sondern im Hinblick auf dessen nichtpassives Verhalten. Außerdem ist die für Schmerz und physischen Zwang charakteristische Unterwerfung unter den Körper von ganz anderer Art als sie für sexuelle Erregung typisch ist: Schmerz führt nicht etwa zu Gelöstheit, sondern zu Verkrampfung. Diese Beschreibungen sind vielleicht nicht in allen Fällen richtig. Aber in dem Maße, in dem sie zutreffen, stellen Sadismus und Masochismus Störungen im zweiten Stadium der Wahrnehmung dar, der Wahrnehmung von sich selbst als einem Objekt des Verlangens.

      Homosexualität läßt sich indessen keinesfalls in derselben Weise aus phänomenologischen Gründen als Perversion einstufen. Es gibt hier nichts, wodurch die Entfaltung des gesamten Spektrums interpersoneller Wahrnehmungen zwischen Gleichgeschlechtlichen ausgeschlossen würde. Die Frage muß also in Abhängigkeit davon entschieden werden, ob Homosexualität auf störende Einflüsse zurückgeführt werden kann, welche die natürliche Tendenz zu einer heterosexuellen Entwicklung blockieren oder beeinträchtigen. Und die Einflüsse müßten dabei in weitaus höherem Grade störend sein als jene, die zu einer Vorliebe für große Brüste, für blonde Haare oder für dunkle Augen führen. Denn auch dabei handelt es sich um Zufälligkeiten der sexuellen Neigungen, in denen sich die Menschen voneinander unterscheiden, ohne allerdings pervers zu sein.

      In Frage steht also, ob sich die männlichen und weiblichen Dispositionen naturgemäß heterosexuell äußern, sofern sie nicht gestört werden. Das ist eine recht dunkle Frage, und ich weiß nicht, wie man sie beantworten könnte. Mancherlei spricht tatsächlich für eine aggressiv-passiv Differenzierung zwischen männlicher und weiblicher Sexualität. In unserer Kultur löst gewöhnlich die Erregung

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