Der kleine Fürst Jubiläumsbox 6 – Adelsroman. Viola Maybach
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Sie würde noch bleiben, diese Entscheidung hatte sie schon während des Gesprächs mit ihrem Vater gefällt, und sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass sie nicht nur aus Liebe zu Helena blieb. Nein, sie hatte, seit sie in Helenas elegantem Stadthaus war, einen neuen Weg beschritten, auf dem sie noch ein wenig sicherer werden wollte. Zunächst war sie durchaus unwillig gewesen, aber mittlerweile trug sie einige von ihren neuen Sachen richtig gern, und es gefiel ihr, wenn sie bemerkte, wie auf der Straße wohlwollende Blicke auf ihr ruhten.
Sehr behutsam hatte zudem Robert Kahrmann es übernommen, ihre Umgangsformen zu verändern. Sie wusste genau, dass er das auf Geheiß ihrer Großmutter tat, und zuerst hatte sie sich einen Spaß daraus gemacht, so zu tun, als verstünde sie ihn nicht. Aber mittlerweile hörte sie auf ihn. Sie bemühte sich, nicht mehr so oft zu fluchen, sie warf sich nicht mehr breitbeinig in einen Sessel, sie lümmelte sich beim Essen nicht mehr quer über den halben Tisch. Es war schon seltsam, dachte sie jetzt, dass ihre Eltern sie seit Jahren vergeblich angefleht hatten, sich an ihre gute Erziehung zu erinnern – und dass sie jetzt hier, bei ihrer Großmutter, plötzlich bereit war, diesen Wunsch zu erfüllen.
Was hatte sich geändert? Sie
wusste es nicht – aber ihr fiel doch auf, dass Armin von Thaden immer öfter durch ihre Gedanken spukte und dass sie sich wünschte, er könnte sie jetzt sehen. Dann würde er immerhin feststellen müssen, dass es nicht nur die grobe und unfreundliche Charly gab, sondern auch noch eine andere, die sich benehmen konnte und bei Bedarf sogar richtig hübsch aussah.
»Charly?« Robert Kahrmann stand in der Tür. »Ihre Großmutter möchte gern mit Ihnen sprechen. Es geht um eine Einladung.«
»Eine Einladung? Für mich? Ich gehe nirgends hin, Robert, ganz bestimmt nicht.«
»Warten Sie es ab«, lächelte er.
Es ging tatsächlich um eine Einladung. »Sofia von Kant hat angerufen«, berichtete Helena ihrer Enkelin.
»Von Schloss Sternberg?«, fragte Charlotta.
»So ist es, ja. Sofia meinte, du brauchtest vielleicht ein wenig Abwechslung von deinem Pflegerinnendasein bei deiner alten Großmutter, und deshalb lädt sie dich zu einem familiären Abendessen nach Sternberg ein. Es kommen nur einige Freunde der Kinder und ein guter Freund von Friedrich – ich habe ihr nämlich gleich gesagt, dass ich dich sicherlich nicht würde überreden können, wenn es um eine größere Einladung ginge.«
»Du kannst mich auch so nicht überreden!«, sagte Charlotta. »Ich will hier bleiben, Omi.«
»Unsinn!«, erklärte Helena. »Es wird Zeit, dass du unter Leute kommst, damit sich herumspricht, wie schön du bist. Und nettere Menschen als die Schlossbewohner von Sternberg findest du nirgends. Außerdem warst du schon dort, vor ungefähr neun oder zehn Jahren.«
»Ich weiß. Ich glaube, ich habe mich schrecklich benommen«, murmelte Charlotta. »Aber das Fürstenpaar war sehr nett – ihr Sohn war damals noch ziemlich klein, vier oder fünf, glaube ich. Er ist mir immer nachgelaufen. Und dann waren da noch zwei Kinder…«
»Anna und Konrad von Kant«, bestätigte Helena. »Anna ist zwei Jahre jünger als der kleine Fürst, Konrad ein Jahr älter.«
»Der kleine Fürst? Heißt er immer noch so?«, wunderte sich Charlotta.
»Diese Frage habe ich auch gestellt, als ich kürzlich auf Sternberg war«, lächelte Helena. »Ja, die Leute halten an diesem Namen fest. Christian ist übrigens ein sehr netter Junge geworden.«
»Omi, muss das wirklich sein?«, seufzte Charlotta.
»Ja«, erklärte Helena geradeheraus. »Robert fährt dich, das ist schon geklärt. Er übernachtet auch auf Sternberg.«
»Und wie willst du hier ohne uns zurechtkommen? Das geht doch gar nicht.«
»Vorsicht, Vorsicht – mach nie den Fehler, dich für unersetzlich zu halten!«, warnte Helena. »Ich möchte, dass du die Einladung annimmst, hörst du? Und am Sonntag, wenn du zurückkommst, wünsche ich mir einen ausführlichen Bericht von dir. Darauf freue ich mich jetzt schon, und deshalb bin ich bereit, ein paar Stunden auf dich und Robert zu verzichten.«
»Es sind mehr als ein paar Stunden«, bemerkte Charlotta, aber trotz dieses Einwands hatte sie ihren Widerstand bereits aufgegeben.
Es interessierte sie tatsächlich, Schloss Sternberg und seine Bewohner wiederzusehen – und wenn sie gleichzeitig ihrer Großmutter mit diesem Besuch eine Freude machen konnte, warum nicht?
»Also gut, ich fahre«, sagte sie und gab Helena einen Kuss. »Aber weitere Einladungen möchte ich nicht haben, Omi, die eine genügt.«
Als sie das Zimmer verlassen hatte, lächelte Helena. Sie hatte es immer gewusst, dass Charlotta eine Art Rohdiamant war, der nur noch den richtigen Schliff brauchte, um seinen Glanz erstrahlen zu lassen. Nun war es so weit. Marianne und Ludwig würden staunen, wenn ihre Tochter zu ihnen zurückkehrte – und vermutlich würden sie sie kaum wiedererkennen!
*
»Ludwig, meinst du, ich könnte von Samstag bis Sonntag einen kleinen Ausflug machen?«, fragte Armin. »Da ich ja ohnehin noch etwas länger bleibe…«
Ludwig dachte mit Schrecken an seine Tochter Sara. Wollte Armin etwa mit ihr…? Aber die nächsten Worte seines jungen Freundes beruhigten ihn in dieser Hinsicht. »Sofia von Kant von Schloss Sternberg rief mich an. Sie hat ein paar Gäste zu einem Abendessen am Samstag eingeladen – und da ich länger nicht auf Sternberg war, meinte sie, es wäre schön, wenn ich auch käme. Es ist ja nicht allzu weit bis dorthin, also würde ich gerne fahren, aber natürlich nur, wenn du es für vertretbar hältst, dass wir unsere Arbeit ein wenig ruhen lassen.«
»Aber natürlich ist das vertretbar«, erklärte Ludwig. »Grüß bitte herzlich auf Sternberg, meine Mutter steht mit Baronin Sofia und Baron Friedrich in regelmäßigem Kontakt.«
»Tatsächlich?«, fragte Armin. »Die Welt ist doch wirklich klein!«
»Sieh mal, wer da kommt!«
Armin drehte sich um und sah einen Wagen auf den Hof rollen. Gleich darauf stieg eine ihm bestens bekannte weibliche Person auf der Beifahrerseite aus, die ihn verschmitzt anstrahlte. Hinter dem Steuer hatte Peter von Isebing gesessen. »Rosalie!«, rief Armin. »Wieso wusste ich nicht, dass du kommst?«
Ludwig, Rosalie und Peter lachten. »Weil es eine Überraschung sein sollte«, erklärte Rosalie. »Was dachtest du denn?«
Peter stellte sie seinem Vater vor, dann umarmte Rosalie ihren Bruder.
»Die Überraschung ist wahrhaftig gelungen«, meinte Armin und fragte dann besorgt: »Wird das denn hier nicht zu eng, Ludwig?«
»Überhaupt nicht – Charly ist ja nicht da!«, erklärte Ludwig. »Und du weißt doch mittlerweile selbst, dass wir im Notfall einfach ein bisschen zusammenrücken. Ein zusätzlicher Gast findet bei uns immer noch ein Bett – und Marianne und ich waren sehr gespannt darauf, deine Schwester kennenzulernen.«
»Ist Mama im Haus?«, fragte