Seele auf Eis. Reiner Laux

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Seele auf Eis - Reiner Laux Klarschiff

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erlebte ich in meinem Verfahren mit dem Gutachter Schalmer: Das Kölner Gericht, das sich in Beweisnot sah, beschloss ein weiteres Größengutachten einzuholen, und zwar durch den Sachverständigen Professor Dr. Schalmer, der Professor für experimentelle Rechtsmedizin an der Uni Bonn war. Schalmer betrieb außerdem ein privates anthropologisches Institut, in dessen Rahmen er regelmäßig Gerichtsgutachten erstellte. Prof. Dr. Schalmer hatte ein kompliziertes Computersimulationsverfahren entwickelt, für das er einerseits die überfallenen Banken aufsuchte und dort seine aufwendige Simulation durchführte. Andererseits mussten erneut Aufnahmen von mir mit Foto- und Videokamera aufgenommen werden. Was im zentralen Kölner Polizeipräsidium unter strenger Bewachung durchgeführt wurde.

      Zum Ende des Jahres 1997 hatte der Sachverständige Schalmer sein von der Kammer sehnlichst erwartetes Größengutachten abgeschlossen. Er schickte es dem Gericht, meinen Anwälten und mir zu. Gleich zu Beginn des neuen Jahres 1998 trug Prof. Dr. Schalmer das umfangreiche Gutachten vor und versuchte es zu erläutern. Er tat es stockend, hölzern, sich im Reich der Worte sichtlich unwohl fühlend, die mit seinem verkomplizierenden Übereifer nicht Schritt halten konnten. Richter Schalter und seine beiden beisitzenden Richter versuchten den Ausführungen zu folgen, während die vier Amateurrichter schon nach den ersten Sätzen das Handtuch warfen und sich desorientiert im Gerichtssaal umschauten. Mein Staatsanwalt drehte sich immer mal wieder mit der Belustigung zu dem Gutachter an seiner Seite um, mit der ein Fachidiot einen anderen Fachidioten so wenig verstehen kann, wie er ihn verstehen will.

      Meinen vom Fokus seines Siegeswillens offensichtlich geblendeten Vorsitzenden Richter Schalter schienen die Ausführungen des Prof. Dr. Schalmer, der mich anhand seiner komplizierten Computersimulation überführt sah, zu überzeugen. Er nickte befriedigt, während meine Verteidiger und ich amüsiert das Schalmersche Gestotter verfolgten. Wir hatten in der Analyse des ausführlichen schriftlichen Textes erkannt, dass das gesamte Gutachten auf Sand, sprich auf Unbekannten aufgebaut war und die auf Annahmen fußenden „empirischen“ Daten letztlich Scharlatanerie und problemlos zu zerpflücken waren.

      Es folgte eine Meisterleistung des Kreuzverhörs durch meinen Anwalt Fuchs, der den Sachverständigen Schalmer behutsam ironisch durch sein Gutachtengebäude bis auf die Basisebene zu den Grundpfeilern führte, um vor unser aller Augen die gesamte Expertise über Schalmer langsam zusammenstürzen zu lassen. Schalmer stammelte auf die Fragen nach den Ausgangsdaten schlussendlich nur noch „Ich ging davon aus“, „Ich habe angenommen“, „Das war meine Annahme“, sodass selbst der gelangweilte Staatsanwalt nur noch belustigt den Kopf schüttelte.

      Der Richter unterstützte nun erwartungsgemäß die von den Anwälten aufgeworfenen Fragen, und als der nun gänzlich in sich zusammengesunkene Gutachter Professor Doktor Schalmer, der schon so viele Angeklagte mit seinem berauschenden Verfahren überführt hatte, aus dem Gerichtssaal schlich, war das Gutachten ein verbranntes Beweismittel.

      Auch dieser Fall zeigt, wie gefährlich in all seinen Konsequenzen ein unkontrolliertes Gutachten sein kann. In den Gerichtsverfahren, in denen das Schalmersche Gutachten zu einer Verurteilung geführt hatte, waren die verteidigenden Anwälte (und auch die Angeklagten) offensichtlich nicht in der Lage, die analytische Sorgfalt und Akribie aufzuwenden, um die Scharlatanerie des Schalmerschen Verfahrens entlarven zu können. Ich hatte bei meinem einmaligen Rendezvous mit der deutschen Justiz das Pech (wie das Glück), gleich mehreren gefährlich unfähigen Gutachtern ausgeliefert zu sein. Doch auch verantwortungsvolle, sorgfältig bemühte Gutachter, die hoffentlich in der Überzahl sind, sind nur Menschen, die Fehler machen können. Der gutachterlichen Entscheidungsmacht sollte grundsätzlich ein kontrollierendes Korrektiv zur Seite gestellt werden.

      Das würde natürlich auch nur zu einer Chancenverbesserung führen, womit aber schon viel erreicht wäre. Bei der ganzen Begutachtung geht es immer nur um einen Wahrscheinlichkeitswert, wobei dem Rechtsprinzip der Verhältnismäßigkeit zu folgen ist. Wenn ein Delinquent zu 95 % als rückfallresistent gilt, so wird er aus der Haft entlassen werden, da das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu gelten hat und es keine 100%ige Sicherheit geben kann. Wird der Entlassene doch wieder straffällig, kann sich auch der Gutachter auf die herausgestellten 5 % berufen. Natürlich ist das nicht befriedigend, doch wenn man dem Verhältnismäßigkeitsgebot nicht folgt und sich auf ein einziges vages Verunglimpfungsgutachten beziehen kann, kommt es nicht nur zu Fällen wie meinem, sondern werden noch skandalösere Fehlentscheidungen wie im Fall des Gustl Mollath möglich, der entrechtet und völlig ungerechtfertigt für 7 ½ Jahre in der geschlossenen Psychiatrie verschwand.

      Gerade bei psychologischen Gutachten ist der persönliche Ermessensspielraum so grenzenlos wie unüberprüfbar. Das zeigt sich auch daran, dass in den Fällen in denen zwei Gutachten von zwei voneinander unabhängigen Sachverständigen eingeholt wurden, jene manchmal zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen kamen, sodass ein drittes Gutachten eingefordert werden musste, welches wiederum zu einem nochmals anderen Ergebnis kam („Drei Gutachter, vier Meinungen“). Häufig also ein Lotteriespiel, wie auch ein erfahrener deutscher Gefängnisdirektor feststellte, der formulierte, dass „die wissenschaftliche Forschung zur Aussagekraft der Gefährlichkeitsprognosen (…) darauf hindeuten, dass oft eine höhere Trefferquote erzielt werden könnte, wenn einfach eine Münze geworfen würde.“ (Thomas Galli, Die Schwere der Schuld) Der bekannte Kriminalprognostiker, Professor Rudolf Egg, erklärt dazu, dass die Wettervorhersage mehr Wahrscheinlichkeit aufweist als eine Kriminalprognose.

      Warum wird dieses ganze im ehrwürdigen Mantel der Wissenschaftlichkeit daherkommende absurde Theater des Gutachterwesens der Gesellschaft als seriös verkauft? Zum einen hat der Staat ein Interesse an der Gutachterindustrie, da die Justiz sich in schwierigen Entscheidungen auf die Sachverständigenbewertung berufen und ihre Hände in Unschuld waschen kann, wenn sich eine Prognose letztlich als falsch erweist. Andererseits – wir leben in einer kapitalistischen Verwertungsgesellschaft und der Rubel muss rollen − hat sich mit der Gutachterindustrie ein lukrativer Geschäftszweig entwickelt, der dem Sachverständigenheer goldene Pfründe garantiert (Ein einziges Gutachten bringt dem „Sachverständigen“ Tausende von Euro ein. Das Schalmersche Gutachten in meinem Verfahren kostete 20.000 DM, die man mir, obwohl wir es als unwissenschaftliche Scharlatanerie entlarvt hatten, nach Abschluss des Prozesses in Rechnung stellte). Der Öffentlichkeit wiederum wird mit der Flut an fragwürdigen Therapievorgaben im Knast und den abschließenden Gutachterbewertungen eine Scheinsicherheit vorgegaukelt, die regelmäßig entlarvt wird, wenn ein angeblich erfolgreich therapierter vormaliger Straftäter im gleichen Segment wieder straffällig wird.

      Gerade in der Kriminalitätssparte, die Experten und Öffentlichkeit besonders beschäftigt, bin ich äußerst skeptisch. Zum einen glaube ich (Wie auch so mancher Gutachter, dem natürlich genauso viele andere Gutachter wiedersprechen werden), dass im Bereich der menschenzerstörerischen Schwerkriminalität eine mörderisch sadistische Sexualität oder eine Pädosexualität (ausgelebte Pädophilie) ebenso wenig therapierbar und auflösbar sind wie eine Heterosexualität oder eine Homosexualität. Zum anderen, wie soll ein allgemeiner Gewalttäter, ein Pädosexueller oder ein chronischer Vergewaltiger mittels unfreiwilliger Therapie zu einem befriedeten Selbstverständnis und einer einvernehmlichen Erwachsenensexualität gerade im repressiven Lebensraum Knast hingeführt werden, in dem er einer höchst ungesunden Mischung aus Sexualitätsunterdrückung, Homophobie, Knastschwulsein und sexueller und täglicher allgemeiner Gewalt ausgesetzt ist?!

      Ich hatte einen Psychologen gefunden. Der Psychologe Besser schien wach, intelligent und aufgeschlossen zu sein und war mir vom ersten Moment an sympathisch gewesen. Er bereitete mich auf eine Wartezeit von mindestens einem Jahr vor, bevor die Gespräche beginnen konnten.

      Zur Erläuterung: Man unterscheidet im Strafvollzug zwischen Therapiegesprächen und Explorationsgesprächen, zu denen sich Strafgefangene und Psychologen jeweils zu Vieraugengesprächen treffen. Bei den Therapiegesprächen soll die verurteilte Straftat aufgearbeitet werden, wobei eine Schweigepflicht des Therapeuten vorherrscht (solange ihm keine geplanten Straftaten anvertraut werden), sodass der Gefangene sich unbelastet öffnen kann. Bei den Explorationsgesprächen (mit einem anderen Psychologen)

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